Sechs Gründe, das Buch Numeri (4. Mose) zu lesen

Wann hast du zuletzt das 4. Buch Mose gelesen?

Als Vorbereitung für diese Ausgabe habe ich das Buch an einem Wochenende ganz durchgelesen – nur damit ich mit Uncle Sam’s Finger auf dich zeigen kann!

Im Ernst: Dieses Buch ist es Wert, gelesen zu werden. Wer auch immer entschieden hat, es unter dem Titel „Numeri“ zu veröffentlichen, hat nicht viel von Marketing verstanden; wer außer einem Mathematiker würde gerne ein Buch über Zahlen lesen? (Dieser Titel geht zurück auf die Septuaginta, die griechische Übersetzung des Alten Testaments aus dem 2. Jahrhundert v.Chr., und auf die Vulgata, die wichtigste lateinische Übersetzung aus dem 5. Jahrhundert.)

Lass dich davon nicht abschrecken. Dieses Buch hat viel mehr zu bieten als nur Zahlen. Hier sind sechs Gründe, weshalb es sich lohnt, dieses Buch zu lesen, und ich bin mir sicher, dass es noch mehr Gründe gibt.

Diesen Brief gibt es in Englisch auch als Video Podcast

1. Es ist das Lieblingsbuch meiner Frau

Wenn du Franziska fragst, welches ihr Lieblingsbuch der Bibel ist, wird sie wahrscheinlich sagen: „4. Mose!“ (An manchen Tagen sagt sie vielleicht, dass sie etwa 66 Lieblingsbücher hat.) Das bedeutet etwas. Nämlich, dass das Buch unmöglich langweilig sein kann.

2. Die Vorteile von Struktur und Ordnung

Das Buch fängt mit einem chaotischen Haufen Menschen an. Daraus wird in wenigen Kapiteln eine geordnete Truppe, die sich wesentlich effizienter fortbewegt. Zu viel Struktur wirkt einengend und erstickend; das richtige Maß macht das Leben einfacher.

In Kapitel 2 wird das Lager der Israeliten organisiert: Jeder Stamm bekommt seinen Platz auf einer der vier Seiten der Stiftshütte. Damit sind auch die Reihenfolge beim Aufbrechen und die Marschordnung festgelegt. Die Zelte der Priester und Leviten bilden ein inneres Rechteck zwischen Stiftshütte und den übrigen Israeliten. Es werden die Aufgaben der Leviten festgelegt (4. Mo. 3-4). Zusätzlich werden Posaunen angefertigt (4. Mo. 10,1-11). Sie ermöglichen die Kommunikation im Lager. So kann das Volk oder die Anführer zusammengerufen oder auch ein Signal zum Aufbruch gegeben werden.

3. Nicht Murren!

Das Buch warnt wiederholt davor, zu murren oder sich zu beklagen. Nun mache ich das sowieso nicht. Oder selten. Auf jeden Fall nicht oft, ab und zu vielleicht. Bestimmt nicht so oft wie andere Menschen. Also gut… Ich beklage mich wohl doch. Allerdings nur über wichtige Sachen, wie zum Beispiel langsames Internet oder einen langsamen Computer. Oder kein Internet! Über das Wetter. Über Kälte oder Hitze. Hm…

Bist du wie ich, dann brauchst du diese Warnung von Zeit zu Zeit ebenfalls.

4. Achtung Unglauben (wie Götzendienst)

Mit der Erzählung über die zwölf Spione bringt das Buch auch eine Warnung vor Unglauben. Zehn von ihnen glauben nicht, dass Gott in der Lage ist, das einzuhalten, was er zugesagt hat. Zum zweiten Mal will Gott das gesamte Volk vernichten und mit Mose und seinen Nachkommen neu anfangen. Das erste Mal war, als die Israeliten das goldene Kalb anbeteten (2. Mo. 32). Damit wird klar, wie schwerwiegend dieser Vorfall war: Unglauben ist genauso schlimm wie Götzendienst.

Unglauben ist nicht das Gleiche wie Zweifel, Zögern oder Unsicherheit. Es geht hier nicht um Kleingläubigkeit; es ist gar kein Glaube da. Wir könnten daher denken, dass uns das nicht sehr betrifft; so schlimm ist es um uns nicht bestellt. Es gibt allerdings keine scharfe Grenze zwischen Kleingläubigkeit und Unglauben. Israels Unglauben ist eine menschliche Reaktion, und wir sind ebenfalls Menschen. Aus diesem Grund sind uns diese Geschichten überliefert: Es könnte auch uns passieren.

Mich hat überrascht, wie Mose und Gott in 4. Mose 14,13-20 reagieren. Mose wiederholt seine Fürbitte nach dem Vorfall mit dem goldenen Kalb (2. Mo. 32). Beide Male ist der Kern seines ersten Arguments: Was werden die Leute sagen? Es geht um Gottes Ehre und Ansehen unter den Völkern. In 2. Mose erinnert er Gott anschließend an seine Verheißung an Abraham, Jakob und Isaac. In 4. Mose zitiert er als sein zweites Argument die Selbstoffenbarung Gottes, als ihm Gott erschien:

Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber, und er rief aus: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied! (2. Mo. 34,6f; Luther 1984)

Und Gott gibt nach, unverzüglich, ohne Wenn und Aber. Offensichtlich hat Mose verstanden, mit Gottes Zorn umzugehen: Man erinnere ihn an seine Ehre und seine Güte.

5. Bileam: Eine lustige Geschichte

Numeri enthält auch die Bileam-Geschichte. Sie ist lustig: Der Prophet öffnet seinen Mund, um Israel zu verfluchen –  es wird aber ein Segen. Und dann ist da auch noch der sprechende Esel, 3000 Jahre vor Shrek!

Die Geschichte ist aber nicht nur lustig. Sie dokumentiert einen bösartigen Angriff auf Gottes Volk und seinen Plan, kurz vor dem entscheidenden Durchbruch. Sie zeigt, wie real Gottes Schutz ist. Die Israeliten wussten nichts von dem, was geschah. Gott war aber an Ort und Stelle. Damit wird auch klar: Die äußerlichen Gefahren und Bedrohungen, ob direkter Angriff, verdeckte Aktion (wie hier) oder Mangel an Wasser und Nahrung in der Wüste, waren nie wirklich kritisch. Die weitaus größere Gefahr war – und ist – der Feind in ihnen – und in uns.

Die Bileam-Geschichte endet nicht in Kapitel 24. Numeri 25 gehört auch dazu, obwohl Bileam hier gar nicht mehr erwähnt wird. Erst in Numeri 31,16 wird klar, wer hinter der Verführung durch moabitische und midianitische Frauen steckte:

Siehe, haben nicht diese die Israeliten durch Bileams Rat abwendig gemacht, dass sie sich versündigten am HERRN durch den Baal-Peor, sodass der Gemeinde des HERRN eine Plage widerfuhr? (Luther 1984)

6. Interessante Zugaben

Das Buch 4. Mose bietet abwechselnd Erzählung und Abschnitte mit Gesetzen und Vorschriften. Auch diese Vorschriften enthalten Überraschungen, besonders diejenigen, die Frauen betreffen. Auf den ersten Blick schockieren sie vielleicht unser modernes Empfinden. Wenn wir aber versuchen, sie im Kontext der damaligen Zeit zu verstehen, wird klar, wie fortschrittlich und modern sie sind.

Die Möglichkeit, als Nasiräer oder Gottgeweihter ein Gelübde abzulegen und sich so für eine gewisse Zeit Gott hinzugeben, stand Frauen ebenso offen wie Männern.

Das Ritual in 4. Mose 5:11-31 für Frauen, deren Ehemänner sie des Ehebruchs verdächtigen, hat eine ungerechte Seite: Weshalb gibt es kein vergleichbares Ritual für verdächtigte Männer? Immerhin handelt es sich bei dieser Form eines so genannten Gottesgerichts um eine harmlose Prozedur – es sei denn, Gott greift ein. Anders gesagt, es gilt erstmals die Unschuldsvermutung. Damals und später funktionierte ein Gottesgericht normalerweise ganz anders. Die verdächtigte Person wurde in eine lebensgefährliche Situation gebracht: Feuer, Ertrinken oder Gift. Sie würde nur überleben, wenn Gott auf wunderbare Weise eingreifen würde, um sie zu retten. Man ging also davon aus, dass die Person schuldig war.

Numeri 27 berichtet, wie die Töchter Zelofhads (eines Mannes, der ohne männlichen Nachkommen gestorben war) zu Mose und den Leitern des Volkes kommen, um einen Erbteil zu beanspruchen. Das erfordert Mut. In dieser von Männern dominierten Gesellschaft stehen sie auf und fordern, was sie für ihr Recht halten. Ein Gesetz dazu gab es noch nicht, aber Gott stellt sich auf ihre Seite: „Die Töchter Zelofhads haben recht geredet“ (4. Mo. 27,7).

Zur Orientierung: Gesamtbild

Damit wir bei der Wanderung durch dieses Buch den Überblick nicht verlieren, kurz etwas zur Struktur, zum Aufbau des Buches. Sowohl Geographie wie Chronologie spielen dabei eine Rolle. Numeri beginnt am Berg Sinai, wo Vorbereitungen für die Reise getroffen werden (Nu. 1,1-10,10). Es endet mit weiteren Vorbereitungen, diesmal für die Landeinnahme, in den Feldern Moabs (Nu. 22-36). Zwei Generationen sind involviert. Ein wesentliches Element in diesen zwei Abschnitten sind die beiden Volkszählungen (Nu. 1 und 26). Der dritte, mittlere Abschnitt beschreibt die 38 Jahre, die Israel durch die Wüste wandert, eingeschlossen in zwei kürzeren Reiseberichten. Daher ergibt sich dieser Aufbau:

  1. Mose 1,1-10,10      Sinai: Reisevorbereitung
  2. Mose 10,11-14,45  Von Sinai bis Kadesch: Die erste Generation versagt
  3. Mose 15-19            Die erste Generation stirbt
  4. Mose 20-21            Von Kadesch bis Moab: Die zweite Generation im Anmarsch
  5. Mose 22-36            Moab: Vorbereitung für die Landeinnahme

Damit werden die ganzen 38 Jahre eigentlich in nur fünf Kapiteln (15-19) abgedeckt – wovon drei Anweisungen und Vorschriften enthalten und somit nicht zur Erzählung beitragen. Wie Gary Schnittjer (2006: 373) klarmacht:

Das Verhältnis zwischen Text und Zeit im Falle der 38 Jahre Wüstenwanderung ist ein theologisch bedeutsamer Punkt. Als die erste Generation der Israeliten bei Kadesch endgültig gegen Gott rebelliert, ist ihre Geschichte vorbei. Sie verschwinden aus der Erzählung. Diese Beobachtung trifft den Leser noch härter, wenn er realisiert, dass die einzigen Ereignisse aus den 38 „stillen Jahren“, von denen berichtet wird, der Aufruhr Korachs und seiner Rotte und ihr Nachspiel sind, darunter der grünende Stab Aarons (4. Mo. 16f).

Die zweite Generation

Eine wichtige chronologische Markierung bleibt im Text etwas verborgen. 4. Mose 20,29 erwähnt den Tod Aarons. Laut 4. Mose 33,38 geschah dies im 40. Jahr nach dem Auszug aus Ägypten. Das heißt, dass die große Mehrzahl der Israeliten, die in Kapitel 20 und 21 eine Rolle spielen, schon zur zweiten Generation gehören.

Zusammen mit 4. Mose 25 zeigen diese Kapitel, dass auch die zweite Generation zur Rebellion, zum Ungehorsam und zum Murren tendiert. Schnittjer argumentiert, dass sie gleich sündhaft sind wie ihre Vorfahren (2006: 426, 438f) oder gar noch schlimmer (434, 441); es ist nur der Gnade Gottes zu verdanken, dass sie trotzdem in das Land einziehen werden.

Ich glaube aber nicht, dass die zweite Generation durchgehend schlecht dargestellt wird. Es hat eine gewisse Veränderung zum Besseren stattgefunden. Sie verfallen nicht in den Unglauben ihrer Eltern. Wenn das Volk sich mit den Töchtern Moabs und Midians versündigt, eine Episode, die an 2. Mose 32 und an die Verirrung mit dem goldenen Kalb erinnert, ist es einer von ihnen, Pinehas, der durch entschiedenes Handeln Plage und Gericht aufhält. Als Israel sich mit dem Kalb versündigte, hatte dessen Vater, Aaron, es nicht geschafft effektiv durchzugreifen.

In 4. Mose 32 bitten die Stämme Gat, Ruben und der halbe Stamm Manasse um Land auf der Ostseite des Jordan. Schnittjer sieht das als Beweis, „dass die jüngere Generation gleich sündhaft war wie die alte“ (438). Nachdem Mose sie konfrontiert und ihnen vorwirft, dass sie kurz davor stehen, die Sünde von Kadesch zu wiederholen, schreibt Schnittjer: „Glücklicherweise taten die zweieinhalb Stämme Buße“ (438). Allerdings deutet nichts im Text darauf hin, dass hier Buße, Umkehr oder eine Herzensveränderung stattfindet. Mir kommt es vor, dass sie vom Anfang an mit der richtigen Einstellung kamen. Gerade hier wird klar, dass sie nicht sind wie ihre Eltern, auf jeden Fall nicht in jeder Hinsicht. Immerhin ist ein Maß an Glauben herangewachsen.

Schlussfolgerung

Trotzdem ist 4. Mose kein glückliches Buch. Am Schluss steht Israel bereit, in das Land der Verheißung einzuziehen. Es ist wohl keine Frage mehr, dass Gott seine Zusagen erfüllen wird. Aber wird es Israel? Nachdem das Volk bisher so konsequent versagt hat, erscheint dies unwahrscheinlich.

Das bringt uns zu einer wesentlichen Einsicht, die uns helfen kann, den Inhalt des Buches zu schätzen: Von Natur aus gehöre ich zum gleichen Geschlecht wie sie. Ihr Problem war nicht, dass sie Israeliten waren, sondern dass sie Menschen waren. Ohne Gott steht keiner von uns besser da. Gerade deswegen lohnt es sich, Numeri zu lesen. Wie Paulus sagt: Es geschah uns zum Vorbild (1. Kor. 10,6).

Oder hättest du unter jenen Bedingungen besser abgeschnitten als sie?

Lesetipp: Lies statt eines Verses oder eines Absatzes mindestens ein ganzes Kapitel auf einmal – oder auch mehr, indem du dir einige Stunden vormerkst, damit du das Buch in einer oder zwei Sitzungen ganz durchlesen kannst.

Literaturangaben

G.E. Schnittjer, The Torah Story: An Apprenticeship on the Pentateuch (Grand Rapids, MI: Zondervan, 2006)

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Bild: Public Domain, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Unclesamwantyou.jpg

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