End Bible Poverty Now, würde Henrietta C. Mears heute vermutlich sagen

Fast hätte ich dieses Thema fallen lassen. Henrietta Mears erregte zunächst meine Aufmerksamkeit, als ich herausfand, dass sie als Sonntagsschullehrerin (dafür hielt ich sie anfangs) ein Buch veröffentlicht hatte mit einer Einführung in jedes Bibelbuch; dieses Buch hatte sich vier Millionen Mal verkauft (Leyda o.J.). Vier Millionen? Was ist das für ein Buch? Und was war sie für eine Sonntagsschullehrerin!?

Diesen Brief gibt es in Englisch auch als Video Podcast

Deshalb bestellte ich das Buch und nahm mir Zeit für eine sorgfältige Lektüre. Aber ich wurde enttäuscht. Das Buch ist eindeutig dispensationalistisch geprägt, und diese Theologie überzeugt mich nun mal nicht. Darüber hinaus tendiert das Buch zu sicheren und bestimmten Aussagen, auch wo es keinen Konsens gibt, und wo man besser eine Meinungsvielfalt eingestehen würde; wir wissen nun mal nicht alles sicher. Anders gesagt, das Buch vermittelt, was die Leser denken (oder glauben) sollten, nicht wie sie denken sollten, wie sie sich eine eigene Meinung zu einem Thema bilden könnten oder wie man mit offenen Fragen leben kann.

Deshalb hätte ich meine geplante Ausgabe von Create a Learning Site zum Thema Henrietta Mears fast nicht geschrieben. Ihr Buch wollte ich nicht empfehlen; es gibt bessere – heutzutage (damals, als sie das Buch verfasste, gab es allerdings noch keine gute Alternative).

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Dann kam JMEM mit dem Projekt End Bible Poverty Now. Diese Initiative hat das Ziel:

  • Die Bibel bis 2033 in jede Sprache dieser Welt zu übersetzen
  • Die Bibel allen Menschen zugänglich zu machen
  • Und gleichzeitig das Verständnis der Bibel (Englisch: biblical literacy) zu fördern

Wir könnten das letzte Teilziel auch als eine Art Alphabetisierungsprogamm betrachten: Die meisten Menschen können zwar lesen, wenn sie aber nicht verstehen, was sie (in der Bibel) lesen, sind sie effektiv „Bibel-Analphabeten“. [Auf Deutsch klingt das vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, in Englisch ist es nicht unüblich, von biblical literacy oder auch computer literacy usw. zu reden.]

Nachdem ich von diesem Projekt erfuhr, erschienen mir Henrietta Mears als Person und ihr Buch wieder ein sinnvolles Thema für Create a Learning Site. Denn ihr großer Beitrag war die Förderung des Bibelverständnisses (biblical literacy) in ihrer Kirche (First Presbyterian Church in Hollywood; sie war somit ein Hollywood-Star) und in buchstäblich tausenden weiteren Kirchen weltweit. Wer war sie und wie schaffte sie das?

Wer war Henrietta Mears?

Henrietta Cornelia Mears (1890-1963) wurde in Norddakota geboren und verbrachte den größten Teil ihrer Kindheit und Jugend in Minnesota. Etwas ungewöhnlich für jene Zeit: sie studierte Chemie und wurde Chemielehrerin an der Highschool. Während ihres Studiums und neben ihrer beruflichen Tätigkeit unterrichtete sie immer in der Sonntagsschule und in Bibelgruppen, und zwar mit Erfolg. Sie war so erfolgreich, dass die First Presbyterian Church in Hollywood ihr 1928 eine bezahlte Stelle als Director of Christian Education, also Intendant oder Leiterin des gesammten Bereiches der christlichen Bildung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene anbot. Diese Stelle hatte sie bis zu ihrem Tod 1963 inne.

Unter ihrer Führung explodierte das Sonntagsschulprogramm förmlich: von 450 auf 6000 Teilnehmer in nur fünf Jahren (Leyda o.J.). Dass Henrietta Mears eine begabte Lehrerin war, ist nicht der einzige Grund für diesen Erfolg. Wichtig war z.B. auch, dass sie darauf bestand, für jede Altersgruppe ein eigenes, altersgerechtes Programm zu entwickeln und ihre Mitarbeiter (größtenteils Freiwillige) gründlich auszubilden. Ihr Ziel war:

Das Wort klar und richtig zu unterrichten, damit Menschen Christus als Retter und Herrn kennen lernen und geistlich wachsen, treu in guten Werken (zitiert in Leyda o.J.)

Es gab allerdings ein Problem. Mears fand kein Unterrichtsmaterial, das ihr brauchbar erschien. Verfügbares Material war entweder alt und langweilig (und wurde modernen didaktischen Ansprüchen nicht gerecht) oder es war zu modern, so dass es nicht an Wunder glaubte. Sie begann deshalb, ihr eigenes Unterrichtsmaterial zu schreiben.

Als andere Gemeinden davon hörten, baten sie um Kopien. Es war das vordigitale Zeitalter; es gab nicht einmal Kopiermaschinen. Als die Anfragen überhandnahmen, gründete Mears zusammen mit anderen deshalb den Verlag Gospel Light Publications, der bis heute existiert, um das Sonntagsschulmaterial zu verlegen. Das allein reichte aus, um sie zur bekanntesten und einflussreichsten Sonntagsschullehrerin Nordamerikas zu machen.

Ihre Wirkung beschränkte sich aber nicht auf die Sonntagsschule. Sie interessierte sich besonders für Studenten. Jedes Jahr nahmen Hunderte Studierende an ihrer Bibelschulung für Studenten Teil (diese Altersgruppe unterrichtete sie am liebsten selbst). Viele von ihnen wurden einflussreiche Gemeindemitglieder, Pastoren, Leiter und Missionare, besonders diejenigen, die sie als ehrenamtliche Mitarbeiter für ihre Bibelprogramme ausbildete. Unter ihnen war Bill Bright, der Gründer von Campus Crusade for Christ, eine Organisation, die heutzutage unter dem Namen Cru mit mehr als 25.000 Mitarbeitern in fast jedem Land der Welt aktiv ist. Während der ersten elf Jahre befand sich das Büro von Cru im Wohnhaus von Henrietta Mears. (Nebenbei erwähnt: Billy Graham betrachtet sie als die einflussreichste Frau in seinem Leben, nach seiner Mutter und seiner Ehefrau.)

Damit wird klar, dass Henrietta Mears, vielleicht mehr noch als eine Sonntagsschullehrerin, eine Ausbilderin und Mentorin von werdenden Leitern war:

Ihr größtes Vermächtnis waren wohl die Leiter, die Dr. Mears herausforderte, motivierte und trainierte für die Sache Christi weltweit … Schon relativ jung entdeckte sie ihr Lebensziel: „Junge Leute zur Führungsverantwortung auffordern und ihre Führungskompetenz entwickeln“ (Clinton, 1995, p. 355), und diese Vision behielt sie beständig im Auge. (Leyda o.J.)

Henrietta Mears hat somit einiges mehr zustande gebracht als nur das eine Buch, Alles, was man über die Bibel wissen muss, obwohl dieses Buch für ihre Zeit wichtig war.

Es handelt sich bei diesem Buch um eine Überarbeitung ihrer Unterrichtsnotizen für ein Jahr Sonntagsschule für Jugendliche im Highschool-Alter. In einem Jahr sollten diese Teenies also jedes Buch der Bibel kennen lernen und anschließend eine Ahnung von seinem Inhalt haben. Kennen die Erwachsenen in Deiner Gemeinde die Bücher der Bibel so gut?

Wie schaffte sie das alles?

Es gibt mehrere Faktoren, die ihren Erfolg – mindestens zum Teil – erklären:

Die ganze Bibel. Henrietta Mears bestand auf ein umfassendes Unterrichtsprogramm, wozu insbesondere auch eine Einführung in jedes einzelne Buch der Bibel gehörte. Ihr Buch enthält den Lehrstoff für einen einjährigen Kurs zu jedem Bibelbuch.

Sie fragte sich nicht am Montag: „Welche Bibelgeschichte oder welches Thema sollte ich am nächsten Sonntag unterrichten?“

Altersgerecht. Sie bestand ebenfalls darauf, dass jede Altersgruppe ein eigenes Programm haben sollte, auf altersspezifische Bedürfnisse und Lernmöglichkeiten ausgerichtet.

Beste Bildungstheorie und Praxis. Sie versuchte, den neuesten Einsichten der Pädagogik und der Didaktik ihrer Zeit gerecht zu werden und sie umzusetzen. Im christlichen Bildungswesen, besonders in der Gemeinde, geht es um mehr als Didaktik; trotzdem kommt man ohne sie nicht aus.

Mitarbeitertraining. Damit dies alles funktionierte, investierte sie viel Zeit in die Ausbildung und das Training der ehrenamtlichen Mitarbeiter.

Praktische Jüngerschaft. Was sie lehrte, hatte einen Bezug auf den Alltag. Sie bildete nicht Gelehrte, sondern Jünger Jesu aus.

Gebet. Diejenigen, die sie kannten, bezeugten, wie wichtig Gebet als Grundlage für ihr Leben und ihren Dienst war.

Menschen. Jede einzelne Person war wichtig für sie. Sie war vielen Ratgeberin und Mentorin.

Außergewöhnliche Hüte. Berühmt machten sie auch die besonders auffallenden Hüte und andere Mode-Accessoires. Ob das auch ihren geistlichen Einfluss verstärkte…?

Biblical Literacy

Henrietta Mears war offensichtlich eine außergewöhnlich begabte und energiegeladene Frau; es hat keinen Sinn, sie kopieren zu wollen. Wir können aber ihr Anliegen übernehmen und einen Beitrag leisten zum Ziel des biblical literacy, sozusagen eine Alphabetisierungskampagne für die ganze Gemeinde.

Stell Dir eine Kirche vor, in der alle Mitglieder die ganze Bibel kennen und zwar so, dass dieses Wissen eine sichtbare Auswirkung in ihrem Alltag hat.

Falls Du mehr über Henrietta Mears erfahren möchtest (in Englisch)

Richard J. Leydas Aufsatz für das Christian Educators of the 20th Century Project bildet einen guten Anfangspunkt: http://www.talbot.edu/ce20/educators/protestant/henrietta_mears/.

Literaturangaben

Richard J. Leyda (ohne Jahr), “Henrietta Cornelia Mears”, http://www.talbot.edu/ce20/educators/protestant/henrietta_mears/ (besucht 27. Okt. 2015)

Henrietta C. Mears (2004), Alles, was man über die Bibel wissen muss (SCM Brockhaus)

Das Zitat von Henrietta Mears ist http://www.goodreads.com/author/quotes/307908.Henrietta_C_Mears (ohne Jahr; besucht 27. Okt. 2015) entnommen.

Illustrations

Pixabay, 2015, https://pixabay.com/de/kinder-lesung-bibel-bett-945422/ CC0

Lao schoolgirls reading book, 2009, https://en.wikipedia.org/wiki/File:Lao_schoolgirls_reading_books.jpg,
CC BY 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en

Holy Bible Old Testament and New Translated into the Indian Language (Jim Eliot’s Übersetzung der Bibel in die Massachusett Sprache), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Holy_Bible_Old_Testament_and_New_Translated_into_the_Indian_Language.jpg Public Domain

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