Diese Frage stellten mir David und Catherine. Sie moderieren als Ehepaar die Gruppensitzungen zum Thema Gesundheit für die YWAM Together Konferenz, die in diesem Monat (September 2016) in Kansas City stattfindet. In dieser Ausgabe präsentiere ich meine Antwort.
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YWAM Together ist eine internationale Konferenz, die Mitarbeiter von Jugend mit einer Mission zusammenbringt mit anderen Christen, die in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft tätig sind. Meist werden in diesem Zusammenhang sieben Gesellschaftsbereiche unterschieden (Familie, Religion, Erziehung, Wirtschaft, Kunst und Unterhaltung, Politik und Medien). Gesundheit zählt normalerweise nicht dazu, obwohl es dafür gute Gründe geben würde. Man beachte zum Beispiel, wieviel Aufmerksamkeit gesundheitlich relevanten Themen im Fernsehen und in anderen Medien gewidmet wird, und wieviel Weltanschauliches dabei mitschwingt.
Diesen Inhalt gibt es in englischer Sprache auch als Audio-Podcast…
Übrigens, David and Catherine bestehen darauf, in ihren Sitzungen von einem health track zu sprechen. Sie reden also von Gesundheit, nicht von Medizin oder Gesundheitsvorsorge. Wie wir sehen werden, gilt das auch für die Bibel. Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Wir sollten uns nicht darauf beschränken, Krankheiten zu heilen und es dann dabei zu belassen, wie es in der Praxis oft passiert: Ist der Patient nicht mehr krank oder verletzt, dann hören Behandlung und Begleitung auf. Dabei sollte das eigentliche Ziel doch Gesundheit sein und nicht nur Heilung in diesem engeren Sinn.
Es trifft natürlich zu, dass die Bibel viel über Heilung spricht. In den meisten Fällen finden diese Heilungen in einem bestimmten Kontext statt. Es geht darum, die Gegenwart des Gottesreiches zu demonstrieren und seine Botschaft zu bestätigen. Dabei wird immerhin sichtbar, dass Gott ein positives Verhältnis zu Gesundheit hat.
Wir lernen allerdings wenig darüber, wie wir im normalen Alltag als Christen mit diesem Thema Gesundheit umgehen sollten. Wenn Christen von Krankheit oder von anderen Gesundheitsproblemen betroffen sind, geht es um Jüngerschaft und geistliches Wachstum, nicht um Mission oder Evangelisation. In diesem Kontext ist es meist nicht wichtig, ob Heilung sofort stattfindet oder Zeit braucht. Sie muss auch nicht offensichtlich übernatürlich sein. Wichtiger ist, dass gesund leben als wesentliches Element in der Nachfolge Christi verstanden wird, auch wenn dieses Thema in christlichen Kreisen oft vernachlässigt wird. Auch aus diesem Grund werde ich das Thema Heilung weitgehend außer Betracht lassen und mich stattdessen auf das Thema Gesundheit konzentrieren.
Zum Abschluss dieser Einführung noch dies: Es handelt sich hier um eine persönliche Reflexion über das Thema. Meine Vorgehensweise eignet sich nur für eine erste Erkundung des Themas. Vieles, was relevant ist, bleibt außer Betracht. Die Idee Gesundheit spielt eine Rolle in Schriftstellen, die dieses Wort gar nicht verwenden und die ich hier nicht erwähnen werde.
Was sagt die Bibel also über Gesundheit?
Was sagt die Bibel also über Gesundheit? Auf den ersten Blick nicht viel. Das Wort „Gesundheit“ erscheint in meiner englischen Bibel (English Standard Version, ESV) nur elfmal. Diese Bibelstellen werde ich später besprechen.
Es gibt selbstverständlich mehr zum Thema. Was mir als erstes in den Sinn kommt, sind die vielen Gebote im Gesetz des Moses, deren Einhaltung man als gesund bezeichnen könnte, wie zum Beispiel:
- Kein Aas essen (5.Mo. 14,21; dieses könnte Infektionskrankheiten übertragen)
- Auf unreine Tiere verzichten (3.Mo. 11; der Konsum dieser Tiere verbindet sich oft mit Gesundheitsrisiken)
- Menschen mit Hautkrankheiten isolieren (3.Mo. 13-14)
- Fäkalien außerhalb des Lagers begraben (5.Mo. 23:13-15)
- Den Sabbat einhalten
Allerdings sind die meisten Bibelgelehrten der Meinung, dass Ursprung, Begründung und Zweck dieser Gebote nicht mit dem Thema Gesundheit in Verbindung stehen. Es ist gut für die Gesundheit, regelmäßig einen Tag nicht zu arbeiten; die Begründung für den Sabbat lautet aber anders. Bei den anderen aufgelisteten Beispielen geht es um zeremonielle Reinheit. Gott war zu heilig, als dass man irgendetwas, das mit dem Tod zu tun hatte, in seine Gegenwart bringen dürfte. Jemand, der etwas Totes berührt hatte, sollte sich dem Heiligtum und somit Gott fernhalten. Nicht alle Tiere, die als Speise verboten werden, sind für die Gesundheit schädlich. Manchmal ist der Grund für ein Verbot, dass ein bestimmtes Tier nicht einer gewissen Idealvorstellung entspricht: Es handelt sich um einen Wiederkäuer ohne durchgespaltene Klauen. Oder das Tier hat durchgespaltene Klauen, ist aber kein Wiederkäuer. Manche der Hautkrankheiten, die in 3. Mose 13 beschrieben werden, sind nicht übertragbar; Quarantäne wäre deswegen aus Gesundheitsgründen nicht nötig.
Wir schauen uns heute diese Gesetze an und staunen, wie gesund manche davon sind. Wir erkennen sie allerdings als gesund, nicht, weil der Text uns das sagt, sondern weil wir dies aus anderen Quellen wissen. Die Vorteile für die Gesundheit sind eher unbeabsichtigt oder nebensächlich. Sie finden sich auf jeden Fall nicht als Begründung im Text. Auch wenn der Nutzen für die Gesundheit real ist, bietet er keine ausreichende Erklärung, weil er nicht alle Einzelfälle abdeckt.
Das gleiche trifft auch auf das sogenannte Daniel-Fasten zu. In Daniel 1 entscheiden sich Daniel und seine Freunde, auf Fleisch und Wein zu verzichten und sich nur von Gemüse zu ernähren. Es tat ihrer Gesundheit gut, auf die bestimmt großzügigen Fleischportionen (und Weinmengen) am Hof des Königs zu verzichten. Bestimmt würde es auch vielen von uns in der westlichen Welt guttun, uns für eine Weile nur von Gemüse zu ernähren. Gesundheit war aber nicht der Grund für ihren Verzicht. Es ging ihnen ebenfalls um zeremonielle Reinheit: Sie wollten sich nicht mit unreinen Speisen verunreinigen.
Der Daniel-Plan und das Daniel-Fasten sind vielleicht eine gute Idee, sie sind aber nicht „was die Bibel über Gesundheit lehrt“. In keiner der hier aufgeführten Bibelstellen hatte der biblische Autor die Absicht, seine Leser zum Thema Gesundheit zu unterrichten.
Der Tod als Teil vom Leben
Bevor wir uns den Aussagen zuwenden, die sich explizit mit dem Thema Gesundheit befassen, etwas zum Thema Tod. Als Christen schaffen wir es oft nicht, den Tod als einen natürlichen Teil des Lebens zu betrachten. Manche scheuen sich sogar, das Wort Tod in den Mund zu nehmen oder den Tod bei ernsthafter Krankheit als möglichen Ausgang in Betracht zu ziehen, aus Angst, dass sie so ihren Glauben untergraben und ihre Zweifel ausdrücken würden. Die Erzväter und andere Glaubenshelden des Alten Testaments hatten kein so gestörtes Verhältnis zum Tod und zum Sterben. Auf ihrem Sterbebett gaben sie letzte Anweisungen und sprachen wichtige Segensworte.
Nicht alles, was mit dem Tod zu tun hat, ist negativ. Es gibt eine Art, gut zu leben; es gibt auch eine Art, gut oder weniger gut zu sterben. Vorausgesetzt, dass der Tod nicht unerwartet und plötzlich eintrifft, bietet diese Lebensphase des Sterbens uns eine letzte Chance, etwas gut zu tun, Dinge gut abzuschließen und noch einen letzten Segen zurückzulassen.
Dazu gäbe es wesentlich mehr zu sagen, was diese kurze Abhandlung aber nicht zulässt. Wenigstens so viel sei gesagt: Wenn wir uns über gesund leben und über Gesundheitsvorsorge in einem breiteren Sinne als nur Krankheiten heilen Gedanken machen wollen, müssen wir uns auch mit den Themenbereichen Tod und Sterben befassen.
Gesundheit: Schalom
Jetzt wenden wir uns den Bibelstellen zu, die sich explizit zum Thema Gesundheit äußern. Ich verwende dazu die English Standard Version (ESV). Neun dieser Bibelstellen befinden sich im Alten Testament; drei davon verwenden das hebräische Wort schalom (2.Sam. 8,10; 1.Chron. 8,10; Ps. 38,10). Dieses Wort wird oft mit Frieden übersetzt, seine Bedeutung ist aber wesentlich breiter. Je nach Kontext könnte man auch mit Wohlergehen, Wohlfahrt, Wohlstand oder Gesundheit übersetzen.
Gesundheit ist Schalom. Diese Feststellung ist Gold wert. Sie macht klar, wie ganzheitlich die Bibel über Gesundheit denkt. Genauso wie das biblische Verständnis von Frieden sich nicht auf die Abwesenheit von Krieg beschränkt, wird Gesundheit nicht auf die Abwesenheit von Krankheit reduziert. Gesundheit wird nicht einmal auf körperliches Wohlergehen reduziert. Damit wir über Gesundheit biblisch denken, müssen wir den hebräischen Begriff schalom verstehen. Dieses Wort steht für Gottes umfassendes Vorhaben für alles.
Damit wir über Gesundheit biblisch denken, müssen wir den hebräischen Begriff schalom verstehen.
In diesem Zusammenhang ist besonders Psalm 38 interessant:
„Es … ist nichts Heiles [wörtlich: kein schalom] an meinen Gebeinen wegen meiner Sünde“ (Ps. 38:4b).
Die moderne Medizin hat lange gebraucht, um zu dieser Einsicht zu gelangen, und hat bis heute Mühe mit der praktischen Umsetzung: Menschen bilden eine psychosomatische Einheit. Wir „haben“ nicht eine Seele (Gr. psyche) und einen Körper (Gr. soma); wir sind (und funktionieren als) eine Psyche-Soma-Einheit. Was in einer Dimension unseres Wesens passiert, beeinflusst andere Dimensionen. Die Verbindungen zwischen unserem körperlichen, emotionalen, mentalen, sozialen und geistig-seelisches Befinden sind vielfältig. Dieser Punkt ist so wichtig, dass ich wiederhole:
- Körperliche Gesundheit
- Emotionale Gesundheit
- Mentale Gesundheit
- Soziale Gesundheit
- Geistig-seelische Gesundheit
Diese Bereiche sind zutiefst miteinander verflochten. Gelegentlich mag es sinnvoll sein, sie zu trennen und über Gesundheit in einem Teilbereich zu reden. Dabei ist dann aber wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass diese Bereiche sich gegenseitig beeinflussen. Fehlende Gesundheit in einem Bereich wird sich langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit auf andere Bereiche negativ auswirken.
Gesundheit: Psalter und Sprüche
Psalm 41,4 verwendet im Hebräischen kein Wort, das Gesundheit bedeutet, auch wenn die ESV so übersetzt. Eine wörtliche Übersetzung lautet: „Der Herr wendet sein Bett in oder von Krankheit.“ Dieser Psalm bestätigt aber die Einsicht, die ich im vorhergehenden Abschnitt formulierte: Es gibt eine Verbindung zwischen dem psychischen Bereich und der körperlichen Gesundheit, wie der nächste Vers klarmacht: „Ich sprach: HERR, sei mir gnädig! Heile mich; denn ich habe an dir gesündigt“.
Vers 2 gibt uns den Grund, weshalb Gott „sein Bett von Krankheit wendet“: „Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt!“ Anders gesagt, die soziale Gesundheit eines einfühlsamen und großzügigen Menschen nimmt Einfluss auf seine körperliche und psychische Gesundheit.
Sprüche 16,24 zeigt eine ähnliche Verbindung auf:
Freundliche Reden sind Honigseim,
trösten die Seele und erfrischen [ESV: health to] die Gebeine.
Was Menschen über uns sagen, beeinflusst unsere körperliche Gesundheit, wahrscheinlich indem sich diese Worte auf unser mentales und emotionales Wohlbefinden auswirken.
Das Wort (Hebr. marpee), das hier verwendet wird und von der ESV mit health übersetzt wird, bedeutet eher Heilung, wie zum Beispiel in Sprüche 12,18 und 13,17. Das ändert aber nichts an der Tatsache: Alle drei Sprüche belegen die tiefgreifende gesundheitliche Wirkung, die Worte haben können.
Bestimmt ließen sich sowohl im Buch Psalter wie auch in Sprüche weitere Beispiele für enge psychosomatische Verbindungen finden.
Gesundheit: Jesaja und Jeremia
Als Hiskia krank wird und ihm gesagt wird, dass er sterben wird, betet er: „Herr, lass mich wieder genesen [ESV: restore me to health] und leben!“ (Jes. 38,16). Der Begriff Gesundheit wird hier im Grundtext nicht verwendet. Trotzdem liefert der Text uns eine weitere Einsicht. Hiskia betet: „Siehe, um Trost [Hebr.: schalom] war mir sehr bange“ (Jes. 38,17a). Anders gesagt, Hiskia wünscht sich Leben und schalom – wesentlich mehr als nur das Ende seiner Krankheit.
Die englische Version des Buches Jeremia verwendet das Wort Gesundheit dreimal. Es handelt sich in allen drei Versen um das hebräische Wort aruchah, das Heilung oder Reparatur bedeutet. Jeremia 8,22 fragt: „Warum ist denn die Tochter meines Volks nicht geheilt? (ESV: Why then has the health of the daughter of my people not been restored?)”. Hier geht es offensichtlich weder um körperliche Gesundheit noch um die Gesundheit von Einzelpersonen, sondern um die Gesundheit einer Gemeinschaft, in diesem Fall der Bevölkerung von Juda. Damit stellen sich ganz neue Fragen, wie zum Beispiel: Was bedeutet es überhaupt für eine Gemeinschaft, gesund zu sein?
Die restlichen zwei Verse in Jeremia (30,17 und 33,6) reden von der zukünftigen Heilung dieser Gemeinschaft:
Siehe, ich will sie heilen (Hebr. aruchah) und gesund machen (Hebr. marpee, wie in Sprüche 16,24), und will ihnen dauernden Frieden (Hebr. schalom) gewähren. Denn ich will das Geschick Judas und das Geschick Israels wenden und will sie bauen wie im Anfang und will sie reinigen von aller Missetat, womit sie wider mich gesündigt haben; und will ihnen vergeben alle Missetaten, womit sie wider mich gesündigt und gefrevelt haben. Und das soll mein Ruhm und meine Wonne, mein Preis und meine Ehre sein unter allen Völkern auf Erden, wenn sie all das Gute hören, das ich Jerusalem tue. Und sie werden sich verwundern und entsetzen über all das Gute und über all das Heil (Hebr. schalom), das ich der Stadt geben will.
Gesundheit schließt offensichtlich wesentlich mehr ein, als nur nicht krank sein!
Gesundheit: Neues Testament
Es bleiben zwei weitere Verse. Nachdem Petrus einen Lahmen heilt, erklärt er diese Heilung damit, dass Jesus ihm „die Gesundheit gegeben“ hat (Apg. 3,16). Das verwendete Substantiv (Gr. holokleria) wird im Neuen Testament nur hier verwendet und bedeutet normalerweise Ganzheit oder Vollständigkeit. Da es sich in diesem Kontext offensichtlich um eine körperliche Heilung handelt, ergibt die Übersetzung Gesundheit Sinn. Die Verwendung dieses griechischen Wortes legt nahe, dass es einen Idealzustand gibt, in dem jemand in der Lage ist, all seine Fähigkeiten einzusetzen. Dieser Zustand ist das Ziel der Heilung.
Es stellt sich deswegen die Frage, ob unser Denken über Gesundheit und Gesundheitsvorsorge sich weniger auf Krankheit und ihre Beseitigung konzentrieren sollte, ein negativ formuliertes Ziel. Stattdessen bietet sich die ganzheitliche Vorstellung von Gesundheit als positiv formuliertes Ziel an.
3. Johannes 2 bildet einen passenden Abschluss. Dieser Vers verwendet das Verb hygiainoo (vom gleichen Stamm wie das Wort Hygiene):
Mein Lieber, ich wünsche, dass es dir in allen Dingen gut gehe und du gesund [ESV: in good health] seist, so wie es deiner Seele gut geht.
Wieder zeigt sich die ganzheitliche Sicht auf Gesundheit: Es geht um das Wohlergehen sowohl des Körpers wie auch der Seele.
In diesem Vers zeigt sich darüber hinaus ein weiterer Anhaltspunkt für einen breiteren und positiveren Ansatz im Bereich Gesundheitsvorsorge als nur die Pflege von Leuten mit Gesundheitsproblemen. Der Apostel Johannes – angenommen, er war tatsächlich der Autor dieses Briefes – findet die Gesundheit seines Schützlings Gaius wichtig genug, um für sie zu beten.
Wenn aber Gesundheit wichtig genug ist, dass wir für sie beten, ist sie es auch wert, mehr für sie zu tun. Bei anderen Anliegen, für die wir beten, machen wir das ja normalerweise auch.
So führt uns diese sehr persönliche Note im 3. Johannesbrief zu einem Thema im Bereich Jüngerschaft, das wir leicht übersehen. Körperlich gesund zu sein ist ein Geschenk. Diese Gesundheit zu erhalten ist, wenigstens zum Teil, kein Geschenk; es ist unsere Aufgabe, mit diesem Geschenk verantwortungsvoll umzugehen.
Allgemeine Konsequenzen des mosaischen Gesetzes
Wir haben schon gesehen, dass manche Gebote gesundheitsfördernd sind. Darüber hinaus lassen sich aus dem Gesetz auch allgemeine Schlussfolgerungen zum Thema Gesundheit ziehen.
1. Eine Welt, die Gesetze als Grundlage hat, ist eine geordnete Welt, die es uns ermöglicht, auf unsere Gesundheit Einfluss zu nehmen.
Ein Gesetzbuch deutet darauf hin, dass das Leben geordnet stattfinden kann, dass es Regeln gibt, nach denen man sein Leben gestalten kann, und dass somit ein gewisses Maß an Lenkung und Einflussnahme möglich ist. Wir finden diese grundlegende Einsicht schon im ersten Kapitel der Bibel, Genesis 1. Die Welt, wie sie hier geschaffen und beschrieben wird, ist eine geordnete und vorhersehbare Welt. Am Schöpfungsprozess beteiligen sich keine Geister oder Mächte außer Gott. Wir sind nicht den Launen und der Willkür von Göttern und Dämonen ausgeliefert.
Für diejenigen von uns, die der westlichen Zivilisation angehören, ist es fast unmöglich nachzuvollziehen, wie radikal und revolutionär die Weltanschauung von Genesis 1 damals war. Zu jener Zeit hatte kein Mensch je so über die Welt gedacht.
Dieser Grundstein der jüdischen und der christlichen Theologie hat weitreichende Konsequenzen für unsere Sicht auf Gesundheit. Sie ist weder eine reine Glückssache, noch ist sie voll beherrschbar.
2. Das mosaische Gesetz macht die Menschen dafür verantwortlich, wie sie ihr Leben führen und wie sie mit ihrer Gesundheit umgehen.
Das Gesetz erwartet von allen in Israel, dass sie danach leben; jeder in Israel stand in der Verantwortung vor Gott. Das Gesetz gibt es nicht nur für diejenigen, die sich professionell damit befassen, obwohl Teile des Gesetzes hauptsächlich für Priester oder Leviten anwendbar waren. Der weitaus größere Teil war die Verantwortung aller. Es gibt hier ein Prinzip der Demokratisierung im besten Sinne des Wortes: Das Volk regiert an erster Stelle sich selbst. Auch daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen für unseren Umgang mit Gesundheit.
3. Das mosaische Gesetz motiviert dazu, ein gutes (und das heißt unter anderem ein gesundes) Leben zu führen.
Die beiden vorhergehenden Punkte sind sehr allgemein. Das liegt aber in der Art der Sache. Wir können von der Bibel kaum erwarten, dass sie uns die Details für ein Leben in Gesundheit liefert. Wie wir gleich anhand von Jesaja 28 sehen werden, ist es an uns, diese Einzelheiten zu entdecken.
In den letzten Jahrhunderten wurde betreffend Gesundheit, Krankheit und Heilung viel entdeckt und wir haben viel dazugelernt. Immer öfter ist das Problem nicht, dass wir nicht genug wissen. Allzu oft ist das Problem mangelnde Motivation. Wir setzen das, was wir wissen, nicht um. Wir wissen, was gut für uns ist, aber wir tun es nicht; wir wissen, was schlecht für uns ist, wir tun es aber trotzdem. Mehr Erkenntnis und mehr Information wird unser Verhalten nicht unbedingt verändern (cf. Thema Rauchen).
Die Thora ist genau genommen gar kein Gesetzbuch. Das hebräische Wort Thora bedeutet Unterricht oder Anweisung. Die Thora funktionierte in Israel nicht wie unsere Gesetzbücher: als eine Sammlung aller gesetzlichen Regeln für Richter und Anwälte. Die Thora deckt längst nicht alle möglichen Fälle ab und ist in diesem Sinne unvollständig. Mehr als ein Drittel besteht aus Geschichten. Der fünfte und abschließende Teil der Thora ist keine Zusammenstellung von Gesetzen, sondern eine Predigt voller Erklärungen und Ermahnungen, ein leidenschaftlicher Aufruf, nach diesen Anweisungen zu leben. Anders gesagt, vieles im mosaischen Gesetz hat das Ziel zu motivieren statt zu informieren. Genau das braucht es heute, wenn wir Menschen dazu bewegen wollen, gesünder zu leben: Motivation. Die Thora kann uns als Modell dabei helfen.
Die Menschheit auf Entdeckungsreise
Jesaja 28 endet mit einer Meditation, die an die Weisheitsliteratur der Bibel erinnert. Sie zeigt auf, dass Gott weiß, was er tut. Das trifft sowohl in der Landwirtschaft zu wie auch in Gottes Umgang mit Israel (Jes. 28,23-29). Das für den Vergleich gewählte Thema ist die Landwirtschaft, das Gesagte lässt sich aber leicht auf andere Betätigungsfelder anwenden.
In der Landwirtschaft gilt: Es gibt bestimmte Vorgehensweisen und eine bestimmte Reihenfolge, die man einhalten sollte. Die richtige Vorgehensweise hängt vom Gewächs ab. Jedes Gewächs und jede Frucht ist anders und braucht deswegen eine andere, geeignete Behandlung. Laut Jesaja hat der Bauer diese Einsichten und Techniken von Gott gelernt; sie sind Teil seines wunderbaren Rates und seiner herrlichen Weisheit (Jes. 28,29).
Wenn wir aber fragen, wie der Bauer diese Dinge gelernt hat, stellen wir fest, dass es sich dabei um einen langen Entwicklungsprozess handelt, in dem vieles versucht wurde und man von den Fehlern lernte. Diese Vorgehensweise passt gut zum Glauben an ein geordnetes Universum, das man verstehen kann.
Im Gesundheitswesen ist es nicht anders. Es gilt zu lernen, indem man experimentiert und entdeckt. So unterrichtet uns Gott. Wir erwarten von der Bibel nicht, dass sie uns in Sachen Landwirtschaft für das 21. Jahrhundert aufklärt. Wir sollten von der Bibel auch nicht erwarten, dass sie uns einen vollständigen Plan für Gesundheitsvorsorge und für ein gesundes Leben liefert. Immerhin gibt sie uns eine Grundlage und einen Anfangspunkt.
Abschließendes Wort
Das letzte Wort gebe ich einem jüdischen Denker, dessen Schriften zu den Apokryphen (eine Sammlung von jüdischen Schriften aus biblischen Zeiten, die aber nicht Teil der Bibel sind) gerechnet werden. Sein Name ist Jesus Sirach. Das Zitat macht sichtbar, wie die Grundlage der hebräischen Bibel jemanden schon vor 2000 Jahren dazu inspirierte, über ein gesundes Leben nachzudenken:
Schmerz, Schlaflosigkeit und Qual
und Magendrücken hat der törichte Mensch.
Gesunden Schlaf hat einer, der den Magen nicht überlädt;
steht er am Morgen auf, fühlt er sich wohl.
Hast du dich dennoch von Leckerbissen verführen lassen,
steh auf, erbrich sie und du hast Ruhe. [Ich bin nicht sicher, ob das eine gute Idee ist]
Höre, mein Sohn, und verachte mich nicht
und du wirst schließlich meine Worte begreifen.
Bei all deinem Tun sei bescheiden,
so wird dich kein Schaden [NRSV: sickness] treffen. (Jesus Sirach 31,20-22; Einheitsübersetzung)
Literaturangaben
Deutsche Bibelgesellschaft (1984), Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)
Katholische Bibelanstalt (1980), Die Bibel: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift: Altes und Neues Testament (Stuttgart: Katholische Bibelanstalt)