Alles oder nichts, es hängt davon ab, wie man sie benutzt.
Um was geht es? Seit 2011 gibt es die SourceView Bibel (abgeleitet vom englischen Begriff Source, gleich Quelle). Sie wurde von David Hamilton herausgegeben. Sie ist einzigartig, weil sie den Bibeltext in vier Farben wiedergibt, je nachdem, wer der Sprecher oder Verfasser ist:
- Der Erzähler
- Gott
- Die Hauptperson
- Weitere Personen, die im Buch eine Rolle spielen
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Während der YWAM Together Konferenz in Kansas City dieses Jahr wurde die zugehörige App veröffentlicht, die zu weitaus mehr im Stande ist als eine in vier Farben gedruckte Bibel. Ich werde hier nicht versuchen, die Möglichkeiten weiter zu erklären. Stattdessen empfiehlt sich ein Besuch an der SourceView Webseite (http://sourceviewbible.com/) oder iTunes App Store oder Google Play.
Zusätzlich gibt es die Möglichkeit den Bibeltext farblich markiert anzuzeigen, je nachdem, mit welchem Gesellschaftsbereich der Text sich befasst. Es ist mir nicht klar, ob diese Option zu SourceView selbst gehört oder eigentlich Teil ist von SphereView, einer Erweiterung zur SourceView App (dazu gleich mehr). Es werden sieben solche Bereiche unterschieden. Darüber, ob eine bestimmte Bibelstelle für einen oder mehrere dieser Bereiche relevant ist, lässt sich natürlich diskutieren. Es war für mich gelegentlich nicht nachvollziehbar, wieso eine bestimmte Aussage für den betreffenden Gesellschaftsbereich codiert wurde. Das muss aber nicht schlecht sein; es zwingt einen zum Nachdenken.
SourceView ist als kostenloses Download für Apple und Android Geräte verfügbar. Es lässt sich mit der SphereView Erweiterung, auch Spheres genannt, ergänzen. Für eine gewisse Zeit kann man diese Erweiterung kostenlos verwenden; ab Dezember wird sie etwas kosten. Diese Erweiterung erlaubt es nachzuschauen, was bestimmte Bücher oder Personen über einen Gesellschaftsbereich zu sagen haben.
Diese zwei Apps sind höchst originell (deswegen widme ich ihnen diese ganze Ausgabe, obwohl es die Apps nicht in deutscher Sprache gibt; die verwendete Übersetzung ist die gut lesbare und einfache New Living Translation). Es gibt heutzutage nicht wenige Bibel-Apps und viele davon leisten im Großen und Ganzen Ähnliches. SourceView und SphereView sind anders; sie imitieren nicht schlichtweg, was andere Apps bieten, sondern sind einzigartig.
Jetzt zurück zu meiner Frage.
Was stimmt denn nicht mit dieser App?
Was stimmt denn nicht mit der SourceView Bibel-App? Wie schon gesagt, alles oder nichts, je nachdem, wie man sie verwendet. Folgende Stolpersteine gilt es zu vermeiden:
(1) Lesen ohne Kontext. Dieses Problem gibt es nicht nur mit SourceView. Das gilt für die meisten Bibel-Apps. Sie erlauben es, von Bibelstelle zu Bibelstelle zu springen und Verse aus unterschiedlichsten Kontexten zu verbinden und zu kombinieren, wie wenn es für die Bedeutung eines Verses unwichtig wäre, wo in der Bibel er steht. In Wirklichkeit kann jede Aussage nur im Zusammenhang des Buches, in dem die Aussage gemacht wird, vollständig und richtig verstanden werden. Ohne Kontext gibt es keine Bedeutung, aber in einem so genannten Hypertext (einem Text mit Links zum Anklicken) kann man diese Wahrheit schnell aus den Augen verlieren.
(2) Lesen ohne Geschichtsbewusstsein. Es kann leicht passieren, dass man alle Bibelworte gleich behandelt, wie wenn sie alle auf gleiche Art und Weise Gottes Wort für uns wären. In Wirklichkeit gibt es aber eine fortschreitende Offenbarung, in der sich die Wahrheit immer klarer und deutlicher entfaltet. Es brauchte weit über 1000 Jahre, bis die Bibel vollständig war. Für die Auslegung ist es wichtig, wann in diesem historischen Prozess ein bestimmter Text geschrieben wurde. Eine gedruckte Bibel hat die Bücher in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet, die zwar nicht perfekt ist, aber doch immerhin eine gewisse Abfolge sichtbar macht: Zu jeder Zeit sieht und fühlt man, ob man sich am Anfang, in der Mitte oder gegen Ende des Buches befindet. Bits und Bytes besitzen diese sichtbaren und fühlbaren Eigenschaften nicht. Wenn man eine Weile hin und her springt, verliert man schnell das Gefühl für Zeit.
Diese beiden Stolpersteine gehören zusammen: Man verliert den literarischen und den historischen Kontext aus den Augen. Sie sind nicht neu und es gibt sie nicht nur bei Bibel-Apps. Mindestens seit es Kapitel und Verse gibt, haben Menschen immer wieder den Kontext ignoriert. Es handelt sich also nicht um ein Argument gegen Bibel-Apps. Eine Konkordanz (ein Buch, in dem Bibelverse nach Schüsselworten alphabetisch aufgelistet werden) enthält die gleiche Gefahr, und doch verbrennen wir unsere Konkordanzen (vorausgesetzt, wir haben noch welche in Buchform) nicht. Allerdings erhöht sich bei Bibel-Apps wie SourceView diese Gefahr, da es so leicht und einfach ist, quer durch die Bibel hin und her zu springen. Umso wichtiger ist es, sich dieser Gefahr bewusst zu sein.
Die nächsten zwei Stolpersteine treffen auf SphereView zu.
(3) Eine “Blueprint”-Mentalität. Wenn es um die Bibel geht und darum, was sie über die verschiedenen Gesellschaftsbereiche zu sagen hat, spricht David Hamilton von einem Entwurf. Landa Cope, die YWAM-Mitarbeiterin, die David dazu inspirierte, die Bibel anhand von Gesellschaftsbereichen zu studieren, verwendet den Begriff Vorlage. Dieses Wort gefällt mir, weil sich eine Vorlage anpassen und je nach Bedarf und Zweck ausfüllen lässt, wie zum Beispiel eine Vorlage in Microsoft Word.
Es gefällt mir aber nicht, wenn in diesem Kontext das englische Wort blueprint (Blaudruck), verwendet wird. Es handelt sich beim Blaudruck im wörtlichen Sinne um eine technische Zeichnung, einen detaillierten Plan für zum Beispiel ein Haus, eine Brücke oder ein Schiff. Die Bibel ist kein solcher Blaudruck. Und Gott ist kein Blaudruck-Gott. Es gibt in der Bibel eine Art Blaudruck für die Stiftshütte, aber das war es auch schon.
Schau dir die Schöpfung an. Was Gott will, und meines Erachtens gilt das auch für die menschliche Gesellschaft, ist Kreativität und Vielfalt. Kreativität und Vielfalt kommen nicht zu Stande, indem man einen Blaudruck oder einen Bauplan umsetzt. Es gibt natürlich ein gewisses Maß an Kreativität, wenn der Bauplan vom Architekten erstellt wird. Wenn aber der Bau anfängt, hört die Kreativität auf. Wir würden es nicht gerne sehen, wenn Brücken- oder Flugzeugbauer beim Bau kreativ werden und ein paar neue Ideen ausprobieren. Das Leben (individuell und kollektiv) ist in diesem Sinne aber nicht wie ein Bau und lässt sich nicht entsprechend planen.
Was Gott uns gibt, ist nicht ein Blaudruck, sondern sind Grundlagen. Dazu gehören Grenzen und Verbote, wie zum Beispiel: Du sollst keinen Ehebruch begehen. Dazu gehören eventuell eine Vision und gewisse Idealvorstellungen für den betreffenden Bereich. Dazu gehört aber auch, dass vieles ungesagt bleibt und offengelassen wird. Deswegen ist, um beim Beispiel zu bleiben, jede Ehe einzigartig. Das alles lässt sich gut mit einer Vorlage, nicht aber mit einem blueprint vergleichen.
(4) Jede Aussage in der Bibel als allgemein und absolut maßgebend zu betrachten, besonders wenn eine Stelle in der App für einen bestimmten Gesellschaftsbereich markiert ist. Vieles in der Bibel ist aber beschreibend, nicht vorschreibend. Der Text erzählt uns was geschah, nicht unbedingt was geschehen soll. Und selbst wenn ein Text etwas vorschreibt oder fordert, ist diese Forderung möglicherweise nicht allgemein gültig oder lässt sich nur mit Anpassungen an unserer Zeit und unserer Kultur umsetzen. Einfach tun, was die Bibel sagt, ist nicht immer richtig. Diejenigen zum Beispiel, die aufgrund von 1 Korinther 11 darauf bestehen, dass Frauen in der westlichen Welt im Gottesdienst eine Kopfbedeckung tragen sollten, tun genau das Gegenteil von dem, was Paulus für die Gemeinde in Korinth wollte: sich kulturell angebracht kleiden, ohne Anstoß zu erregen.
Diese vier Stolpersteine sind nicht neu; neue digitale Möglichkeiten erhöhen aber die Gefahr, dass wir die Bibel als Ganzes aus den Augen verlieren. Gerade im Zeitalter der Bibel-Apps hängt die Qualität unserer Bibelauslegung stark davon ab, wie gut unser Verständnis der Bibel insgesamt und ihrer Zusammenhänge ist. Es bleibt somit wichtig und unerlässlich, ganze Bibelbücher in ihrem Zusammenhang zu lesen.
Die SourceView App bietet dazu übrigens eine coole Möglichkeit: Finde drei Mitleser und lies zusammen mit ihnen ein Bibelbuch laut vor. Jeder von euch übernimmt dabei eine der vier Farben. Das Lesen wird so zu einem Rollenspiel.