„Die letzte Schlacht“ und das Millennium II

Gegen Ende seines Buches schreibt Johannes von der letzten Schlacht und von tausend Jahren. In der vorherigen Ausgabe habe ich versucht darzulegen, dass diese Bilder oder Symbole flexibler sind, als die meisten Leser erkennen. „Die Schlacht“ findet durch die ganze Heilsgeschichte hindurch statt (deswegen ist „Krieg“ vielleicht die bessere Übersetzung). Mehr noch, dieser Krieg ist die Heilsgeschichte, dargestellt in Antwort auf die Frage, wie mit dem Bösen in der Welt abgerechnet wird. Was ist aber das Millennium?

Bild: Phillip Medhurst, 2008, “Apocalypse 30: Satan bound for 1000 years,” CC BY-SA 3.0

Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich die herkömmlichen Ansichten dazu kurz darstellen. Für manche von euch ist dies ein altbekanntes Thema; fühlt euch in dem Fall frei, diesen Abschnitt zu überspringen. Wenn das Thema für dich aber neu ist oder du eine Auffrischung brauchst, ist dieser Abschnitt hoffentlich hilfreich.

Die klassischen Endzeittheorien

In der Kirchengeschichte hat man die tausend Jahre in Offenbarung 20 auf drei unterschiedlichen Weisen verstanden. Jede dieser Auslegungen führt zu einem eigenen Endzeitszenario, das nach dem Millennium genannt wird. Es gibt zwei wichtige Fragen. Erstens, wann findet die Wiederkunft Christi statt: vor dem Millennium (Prämillennialismus) oder danach (Postmillennialismus)? Zweitens, ist das Millennium eine zukünftige oder eine gegenwärtige und symbolische Realität (wie im Amillennialismus)?

Es gibt eine weitere Ansicht, den Dispensationalismus oder die Heilszeitenlehre, die eine Variante des Prämillennialismus ist. Sie unterscheidet sich allerdings erheblich von dieser älteren Ansicht. Unter Evangelikalen übt sie einen großen Einfluss aus, auch bei denen, die den Begriff gar nicht kennen. Ich werde diese Möglichkeit deswegen ebenfalls auflisten.

Der Prämillennialismus erwartet, dass auf die Wiederkunft Christi ein tausendjähriges Reich auf Erden folgt. Während dieser Zeit regiert Jesus die Welt mit Jerusalem als Hauptstadt. Satan ist gebunden und kann auf der Erde keinen Einfluss nehmen. Dieses Zeitalter ist deswegen durch Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand gekennzeichnet. Nach den tausend Jahren wird Satan für kurze Zeit freigelassen und es findet eine zweite „letzte Schlacht“ statt. Dabei wird Satan für immer besiegt.

Der Dispensationalismus ist eine Form des Prämillennialismus. Er entstand um 1830. Dieses Endzeitsystem ist wesentlich komplexer als der klassische Prämillennialismus. So geht der Dispensationalismus zum Beispiel davon aus, dass es sieben Jahre vor der sichtbaren Wiederkunft Christi eine „geheime Entrückung“ geben wird. Es gibt detaillierte Prognosen darüber, was sich in diesen sieben Jahren alles ereignen wird. Die meisten Bücher zum Thema Endzeit präsentieren eine Variante dieser Theorie.

Der Postmillennialismus geht davon aus, dass die Wiederkunft erst nach einer langen Zeit des Friedens und des Wohlstandes stattfindet, einem goldenen Zeitalter oder anders gesagt „Millennium“. Diese Blütezeit der Menschheit ist das Ergebnis des Evangeliums, das in der ganzen Welt gepredigt wird und zur Umwandlung und Reformation aller Völker und Kulturen führt. So wirkt der Sauerteig des Gottesreiches: langsam aber sicher, bis der ganze Teig durchsäuert ist. Das Senfkorn wächst und wird zu einem großen, mächtigen Baum. Der Stein aus Daniels Traum zerstört die Weltreiche und wächst zu einem großen Berg, der die ganze Erde beherrscht. Dieses goldene Zeitalter wird keine vollkommene Welt sein, sie wird aber innerhalb der Geschichte die Macht und die Weisheit des Evangeliums sichtbar machen. Gott siegt nicht erst ganz am Schluss durch den Einsatz roher Gewalt, sondern verwandelt die Menschheit und ihre Geschichte durch Wahrheit und Liebe von innen heraus.

Der Amillennialismus versteht das Millennium als Symbol für das gegenwärtige Zeitalter. Das „A“ im Namen bedeutet normalerweise „nicht“, was in diesem Fall irreführend ist. Es geht nicht darum, das Millennium zu verneinen, sondern darum, es symbolisch zu deuten. Es handelt sich nicht um ein zukünftiges Zeitalter zwischen Wiederkunft und Vollendung. Wie eine symbolische Deutung aussehen kann, wird später in dieser Ausgabe noch erklärt.

Einige Grundsätze zum Buch Offenbarung

Zunächst aber eine Zusammenfassung der Grundsätze, die in der vorherigen Ausgabe vorgestellt wurden.

1. Vieles in der Offenbarung hängt zusammen mit ihrer historischen Verwurzelung im römischen Reich. Das Buch schaut nicht in eine ferne Zukunft, 2000 Jahre oder mehr nach seiner Abfassung. Eine solche Zukunftsschau wäre für die damaligen Leser gar nicht relevant gewesen.

2. Vieles im Buch ist symbolisch. Einzelheiten und Ereignisse sind oft nicht wörtlich zu verstehen, sondern stehen für etwas Anderes. Dieser Grundsatz könnte im Prinzip auch für die Idee der tausend Jahre oder der Fesselung des Satans gelten.

3. Das Buch ist nicht chronologisch angeordnet. Stattdessen gibt es Wiederholung und Parallelismus: Die Abschnitte, die jeweils aus sieben Szenen bestehen, überschneiden sich mindestens zum Teil. In jedem Abschnitt, ausgenommen den Briefen, markiert die sechste Szene das Ende – das Ende des Bösen – und die siebente Szene zeigt, was darauf folgt. Das gilt auch für die Abschnitte. Der sechste Abschnitt (Offb. 19-20) besteht aus sieben Gerichtsszenen, in denen mit Satan, den beiden Tieren und ihren Nachfolgern abgerechnet wird. Der siebte Abschnitt (Offb. 21-22) zeigt uns das neue Jerusalem und die neue Welt.

4. Jeder Abschnitt beginnt mit einer Einleitung, die uns einen Einblick in die himmlische Wirklichkeit gibt. In Offenbarung 19,11-16 geht es dabei um Jesus, der als Krieger in die Schlacht reitet.

Einige Gedanken zur Idee des Millenniums

1. Bei unserem Versuch, die tausend Jahre in der Offenbarung zu verstehen, sind folgende Überlegungen wichtig: Anders als die letzte Schlacht ist das Millennium kein Thema im Alten Testament. Es gibt keine weitere Bibelstelle, die das Millennium erwähnt. Manchmal wird auf alttestamentliche Prophetien über eine herrliche und wiederhergestellte Schöpfung verwiesen. Diese Prophetien reden aber vom „Endzustand“, von der neuen Schöpfung, nicht von einer vorübergehenden Zwischenzeit zwischen Geschichte und Ewigkeit.

2. Es wird oft davon ausgegangen, dass die Herrschaft beschrieben in Offenbarung 20,4-6 auf Erden stattfindet. Das wird in dieser Bibelstelle aber nicht gesagt. Die meisten Throne, die in diesem Buch erwähnt werden, befinden sich im Himmel. Das scheint auch für diesen Abschnitt zuzutreffen. Diese wichtige Beobachtung hilft uns, die folgende Frage zu beantworten.

3. Was ist der Zweck dieses Abschnittes? Es geht nicht darum, uns Informationen über Abläufe in der Zukunft zu vermitteln. Es handelt sich stattdessen um eine Ermutigung für diejenigen, die ihr Leben für ihren Glauben verlieren werden. Für sie gibt es eine Belohnung. Sie werden lebendig (und bleiben somit nicht tot) und befinden sich im Himmel, wo sie mit Christus herrschen. Dabei handelt es sich um eine Parallele zu Offenbarung 6,9-10. Dort sieht Johannes die Seelen der Märtyrer „unter dem Altar“ – einem Ehrenplatz, der symbolisch zeigt, wie kostbar ihr Opfer in Gottes Augen ist. Es gibt auch eine Parallele zur Erfahrung der zwei Zeugen in Offenbarung 11,11-12. Nach ihrem Tod, der nur dreieinhalb Tage dauert, stehen sie auf und fahren in den Himmel.

4. Manche erkennen in der Kampfszene in Offenbarung 12,7-12 eine weitere Parallele zu Offenbarung 20. Offensichtlich geht es in der zweiten Hälfte des Buches darum, wie das Böse sowohl satanischer als auch menschlicher Herkunft endgültig überwunden wird. Dabei kann man Offenbarung 12 als Anfang und Offenbarung 20 als Ende dieses Krieges verstehen. Es ist aber auch möglich, beide als unterschiedliche bildliche Darstellungen desselben Ereignisses zu sehen: Christus, der durch seinen Tod am Kreuz den Satan besiegt. Nach diesem Verständnis bildet Offenbarung 20,1-6 eine Parallele zu Kapitel 12; es handelt sich um ein Flashback.

Auch wenn dies nicht zutreffen würde, geht es in Offenbarung 20 auf jeden Fall darum, dass Satan am Schluss besiegt wird – nicht um ein geträumtes Friedensreich, in dem Christus tausend Jahre lang von Jerusalem aus die Welt regiert.

5. Zahlen in der Offenbarung sind nicht wörtlich zu verstehen, sondern besitzen einen symbolischen Wert. Zehn ist eine Zahl der Vollständigkeit; wir haben zehn Finger. Tausend ist 10 × 10 × 10, eine sehr große und vollständige Zahl, die in diesem Fall für eine sehr lange Zeit steht. Diese Zeitdauer bildet einen Gegensatz zu den dreieinhalb Jahren der Herrschaft und des scheinbaren Sieges des Tieres (Offb. 13,5-7) und zu den dreieinhalb Tagen der scheinbaren Niederlage der zwei Zeugen (Offb. 11,7-9). So wird sichtbar, dass es darum geht, die Märtyrer und Verfolgten zu ermutigen, nicht darum, ein detailliertes Zukunftsszenario zu beschreiben.

Das Millennium: Einmal? Fortschreitend? Sich wiederholend?

Wenn das Millennium kein zukünftiges Gottesreich auf Erden ist, wie sollten wir es dann verstehen? Wie bei „der Schlacht“, gibt es mehrere Alternativen.

1. Die traditionelle amillennialistische Auslegung versteht das Millennium als Symbol für das Zeitalter der christlichen Gemeinde. Satan wurde am Kreuz entmachtet: „Der Starke“ wurde gefesselt (so Mt. 12,29) oder, wie es im Kolosserbrief 2,15 (Menge) heißt, „die Mächte und die Gewalten [wurden] völlig entwaffnet“. Eine Folge dieses Sieges: Er kann die Nationen „nicht mehr verführen“ (Offb. 20,3), anders als in der Zeit vor Christus, als alle Völker außer Israel in Finsternis lebten. Als weitere Folge finden sich die verstorbenen Heiligen im Himmel wieder und herrschen mit Christus. Diese Auslegung betrachtet Offenbarung 20,1-3 als Flashback: Die Fesselung Satans geschah am Kreuz und liegt deswegen zeitlich vor dem letzten Kampf, der unmittelbar vor und nach Offenbarung 20,1-6 zweimal beschrieben wird (G. K. Beale argumentiert ausführlich für diese Sicht; 1999:972ff).

Bevor weitere Optionen dargelegt werden, will ich darauf hinweisen, dass es in Offenbarung 20,1-6 zwei Szenen gibt. Jede Szene fängt mit der Formel „und ich sah“ (Offb. 20,1 und 20,4). In der zweiten Szene (20,4-6; genau genommen endet dieser Abschnitt erst mit Vers 10) geht es um die Märtyrer; es handelt sich um eine kontinuierliche und himmlische Realität. Die Märtyrer, die scheinbar alles verloren, haben aber in Wirklichkeit gar nichts verloren: Sie finden sich im Himmel wieder und herrschen mit Christus. Die erste Szene (20,1-3) ist anders und dynamischer. Das führt zu zwei weiteren Alternativen.

2. Die fortschreitende Auslegung. Man kann Offenbarung 20,1-3 auch so verstehen, dass die hier beschriebene Wirklichkeit sich stufenweise und fortschreitend durchsetzt. Sie ist wie der Sauerteig und wie das Senfkorn aus den Gleichnissen Jesu. Eine solche fortschreitende Fesselung des Satans passt gut zum Postmillennialismus.

3. Das zyklische (Muster) Verständnis. Man kann die Schlacht und die Fesselung des Satans auch als Muster in der Geschichte betrachten, als ein Phänomen, das sich wiederholt. Dieses Muster zeigt sich, wenn Satan – in den Worten der Offenbarung – die Völker der Welt verführt.

In diesem Fall versteht man den Ausdruck „die Völker nicht mehr verführen“ (Offb. 20,3) also anders als im Amillennialismus. Offenbarung 20,8-9 zeigt, was passiert, wenn Satan die Völker verführt: Sie versammeln sich zum Kampf und greifen „das Heerlager der Heiligen“ an. Die Völker verführen heißt also, das Volk Gottes mit voller Kraft anzugreifen.

Ein solcher Angriff findet dann statt, wenn Ideologie und Staatsmacht einen Großteil ihrer Ressourcen darauf verwenden, die Kirche zu zerstören. Wie Pilatus, Kaiphas und Herodes sich gegen Jesus verschworen, so wandte sich das römische Reich im zweiten und dritten Jahrhundert gegen die Kirche. Was auf diesen Angriff folgte, war eine sehr lange Zeit (ein „Millennium“) der relativen Ruhe für die Kirche, die es ihr ermöglichte, sich in Europa und von dort in die ganze Welt zu verbreiten.

Das römische Reich schaffte es nicht, die Kirche zu zerstören. Das Muster wiederholt sich. Weitere Staatsmächte und Ideologien versuchten ähnliches. Am Schluss lag die Ideologie in Scherben aber die Kirche überlebte. Jeder Durchlauf verringerte die Macht Satans und fesselte ihn weiter.

Schlussfolgerung: Das Millennium ist jetzt

In jeder der drei alternativen Auslegungen des Millenniums macht es Sinn zu sagen: Das Millennium ist jetzt. Spätestens hier wird klar, dass vieles in diesem Buch nicht den Verlauf der Geschichte vorhersagen will, sondern vielmehr die Geschichte deuten will. Gleichzeitig gilt, dass die Botschaft der Vision sich nicht leicht systematisieren lässt. Sie gibt keine Chronologie her, keinen Ablauf von Endzeitereignissen. Stattdessen gibt sie uns eine Gesamtschau über die Vollendung der Gottesherrschaft.

Angefangen mit Offenbarung 12 lesen wir, wie der geistliche Kampf sich änderte, als Christus seinen Dienst auf Erden vollendete. Der Satan wurde damals endgültig besiegt („er wurde auf die Erde geworfen“, heißt es in Offb. 12,7-9; er wurde gefesselt und eingesperrt, so Offb. 20,1-3). Gleichzeitig gilt: Er wird zunehmend besiegt. Und: Letztendlich wird er vollkommen besiegt.

Unterdessen befinden sich die Märtyrer und die verstorbenen Heiligen im Himmel und herrschen mit Christus. Jeder Versuch auf Erden, Völker dazu zu verführen, die Kirche anzugreifen und zu zerstören, versagt und führt dazu, dass Satan gefesselt wird, d.h. aufs Neue an Macht verliert.

Und so – wer hätte das gedacht? – besiegt ein Lamm einen Drachen. Was für eine Geschichte…

Literaturangaben

Deutsche Bibelgesellschaft (1984), Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)

Deutsche Bibelgesellschaft (1994), Die Heilige Schrift übersetzt von Hermann Menge (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)

K. Beale (1999), The New International Greek Testament Commentary: The Book of Revelation (Grand Rapids, MI: Eerdmans) [Der beste Kommentar zum Buch, den ich kenne!]

K. Beal & D. Campell (2015), Revelation: A Shorter Commentary (Grand Rapids, MI: Eerdmans) [Eine Kurzfassung dieses Kommentars.]

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