Was machen wir mit den Gesetzen und Vorschriften im Alten Testament? Vor kurzem war ich eingeladen, eine Woche zum Thema Thora, den ersten fünf Büchern der Bibel, zu unterrichten. Das gab mir Gelegenheit, mich wieder mit dieser Frage zu befassen. Sie ist wichtig, weil es sich um einen größeren Abschnitt der Bibel handelt, weil Christen die Frage sehr unterschiedlich beantworten und weil je nach Antwort das Leben als Christ ganz anders aussehen kann.
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Vorab
Wie stehen wir zum Gesetz? Mein Versuch, hier auf diese Frage eine Antwort zu finden, besteht aus drei Teilen, die ich in zwei Ausgaben von Create a Learning Site darlegen möchte: wie würde das Gesetzes im Neuen Testament verstanden (in dieser Ausgabe), Gründe, weshalb man das Gesetz studieren sollte, und Überlegungen, wie wir dieses Gesetz heute umsetzen und leben könnten (in der nächsten Ausgabe).
Zunächst eine Klarstellung. Das Wort Gesetz wird in der Bibel nicht immer in der gleichen Bedeutung verwendet. Im Sprachgebrauch außerhalb der Bibel steht Gesetz oft für eine Sammlung von Regeln und Vorschriften. In der Bibel handelt es sich meistens um jene Vorschriften, die Mose am Berg Sinai erhielt, und die aus dem Bund zwischen Gott und Israel hervorgingen. Das Wort wird aber auch verwendet als Bezeichnung für die Bücher des Gesetzes (1. bis 5. Mose). Diese beiden Bedeutungen, Schrift und mosaisches Gebot, sind verwandt aber nicht identisch. Wie wir sehen werden, handelt es sich um einen wichtigen Unterschied.
Zweitens, ein Eingeständnis. Es handelt sich um ein riesiges und komplexes Thema. Es ist nicht möglich, in diesen zwei Ausgaben alle themenbezogenen Bibelstellen aufzugreifen. Es gibt keine einfache Antwort. In mancher Hinsicht hat das Gesetz weiterhin eine gewisse Gültigkeit (es wird zum Beispiel im Neuen Testament zitiert), aber nicht in jeder Hinsicht. Dieses „mancher“ und dieses „gewisse“ zu definieren ist eine große Herausforderung.
Drittens, ein Vorschlag. Bevor du diesen Text weiterliest, würde es sich lohnen, 2. Mose 21-23 zu lesen. Diese Kapitel vermitteln einen Eindruck von den Themen, über die ich hier spreche. Falls du mit dem Gesetz im Alten Testaments nicht vertraut bist, könnten diese Kapitel eine Überraschung darstellen. Wahrscheinlich wirst du der Verurteilung von manchen Praktiken intuitiv sofort zustimmen – aber nicht allen. Vor allem die harten Bestrafungen, die vorgeschrieben werden, könnten dich schockieren. Manches kommt dir unmenschlich vor. Der Sklave darf nach sechs Jahren gehen, aber seine Frau und Familie muss er unter Umständen zurücklassen (2. Mo. 21,4). Ein Mann verkauft seine Tochter als Sklavin (2. Mo. 21,7). Vermutlich wirst du bei manchem automatisch annehmen, dass es für uns heute nicht mehr zutrifft. Aber warum? Hättest du auf diese Frage eine gute Antwort?
Es sind nur drei Kapitel, die Themenvielfalt ist allerdings enorm. Auch in der Form sind diese Gebote recht unterschiedlich. Manche sind kurz und knapp und absolut formuliert. Andere sind etwas länger und stellen eine Art Fallstudie dar, mit Beschreibung einer Situation oder eines Ereignisses. Andere wiederum beschreiben Rituale, die wir heutzutage nicht praktizieren. Der Text zeigt uns eine Gesellschaft, die sich stark von der unseren unterscheidet. Wie in aller Welt könnte dieses Material uns heute etwas sagen? Eine vollständige Antwort würde mindestens ein ganzes Buch voraussetzen, ich möchte hier aber immerhin einen Anfang machen, indem ich deutlich versuche zu machen, wie das Neue Testament das alttestamentliche Gesetz versteht.
Wie spricht Paulus über das Gesetz?
Fast die Hälfte der Vorkommen des Wortes Gesetz im Neuen Testament finden sich in Römer und Galater. Es macht also Sinn, mit Paulus anzufangen.
Nach Paulus sind wir nicht unter dem Gesetz: „Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch, weil ihr ja nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade“ (Röm. 6,14). „Regiert euch aber der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz“ (Gal. 5,18). Denn: „Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet durch den Leib Christi (Röm. 7,4). Das Ergebnis: „Nun aber sind wir vom Gesetz frei geworden und ihm abgestorben, das uns gefangen hielt, sodass wir dienen im neuen Wesen des Geistes und nicht im alten Wesen des Buchstabens“ (Röm. 7,6). Paulus sagt hier nicht, dass das Gesetz abgeschafft wäre (obwohl er anderswo, in Epheser 2,15, dieser Idee nahekommt). Stattdessen weist er darauf hin, dass wir mit Christus gekreuzigt wurden. Da wir gestorben sind, hat das Gesetz weder Macht noch Verfügungsgewalt über uns. Es ist, wie wenn wir in ein anderes Land gezogen wären. Wir sind frei!
Das scheint eindeutig; gibt es da überhaupt noch mehr zu sagen? Zwei Dinge (mindestens).
Erstens, man könnte den Eindruck gewinnen, dass Paulus für das Gesetz fast nur eine negative Aufgabe sieht. „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünden“ (Röm. 3,20). Das ist aber nicht die einzige Funktion des Gesetzes. Paulus zögert nicht, die Schrift, einschließlich des alttestamentlichen Gesetzes, zu zitieren; sie hat weiterhin Autorität im Leben der Gläubigen. Auch kann er das Gesetz in den höchsten Tönen loben: „So ist also das Gesetz heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut“ (Röm. 7,12). Am Gesetz ist nichts Falsches; das Problem liegt gänzlich bei den Menschen.
Zweitens, man darf nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass jetzt alles erlaubt ist: grenzenlose Freiheit! Darf ich jetzt Mord und Ehebruch begehen, da ich nicht unter dem Gesetz bin? Nein. Paulus vertritt nicht das, was Theologen Antinomismus nennen (vom Griechischen anti und nomos, Gesetz).
Er ahnt wohl, dass man ihn so missverstehen könnte. Unmittelbar nach seiner Aussage in Römer 6,14-19, dass Christen nicht unter dem Gesetz sind, widerlegt Paulus eine solche antinomische Deutung. Christen sind frei vom Gesetz, aber nicht von der Gerechtigkeit. Sie sind „Knechte der Gerechtigkeit“ (Vers 18). Mord bleibt ein Vergehen.
In 1. Korinther 9,19-21 verwendet Paulus den Ausdruck „das Gesetz Christi“, um dieses Paradoxon zu erklären:
Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz [wörtlich: gesetzlos] bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi –, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne.
Paulus ist nicht „unter dem Gesetz“. Das hält ihn aber nicht davon ab, wie ein Jude zu handeln, als einer, der unter dem Gesetz ist, damit keine unnötigen Anstöße oder Hindernisse entstehen. Das erklärt zum Beispiel auch, warum Paulus Timotheus beschneiden ließ (Apg. 16,3) oder sich im Tempel an einem Gelübde beteiligte (Apg. 21,23-26).
Paulus ist aber keineswegs ohne jedes Gesetz oder gesetzlos. Er ist nämlich unter dem Gesetz Christi (siehe auch Gal. 6,2). Was dieser Ausdruck genau bedeutet, ist umstritten. Ist es das Gebot der Liebe, die Lehre Jesu, das Vorbild Jesu? Oder geht es um jene Vorschriften im Gesetz, die auch unter dem neuen Bund gelten? Auf jeden Fall ist das Gesetz Christi nicht identisch mit dem Gesetz des Mose, sonst würde Paulus sich widersprechen.
Das Neue Testament, mit Ausnahme der Evangelien
Es gibt im übrigen neuen Testament schlichtweg zu viel Material, nicht zuletzt im Hebräerbrief. Ich beschränke mich auf eine einzige, aber zentral wichtige Bibelstelle, Apostelgeschichte 15. Denn hier findet eine Debatte statt, die sich explizit mit der Frage nach den Heidengläubigen und dem mosaischen Gesetz befasst:
Und einige kamen herab von Judäa und lehrten die Brüder: Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst nach der Ordnung des Mose, könnt ihr nicht selig werden. (Apg. 15,1)
Da traten einige von der Partei der Pharisäer auf, die gläubig geworden waren, und sprachen: Man muss sie beschneiden und ihnen gebieten, das Gesetz des Mose zu halten. (Apg. 15,5)
Petrus reagiert darauf:
Warum versucht ihr denn nun Gott dadurch, dass ihr ein Joch auf den Nacken der Jünger legt, das weder unsre Väter noch wir haben tragen können? (Apg. 15,10)
Diese Debatte endet mit der Entscheidung, dass die Heiden das Gesetz des Mose nicht halten müssen, eine Entscheidung, die in Briefform festgehalten wurde:
Denn es gefällt dem Heiligen Geist und uns, euch weiter keine Last aufzuerlegen als nur diese notwendigen Dinge: dass ihr euch enthaltet vom Götzenopfer und vom Blut und vom Erstickten und von Unzucht. Wenn ihr euch davor bewahrt, tut ihr recht. Lebt wohl! (Apg. 15,28-29; damit ist sicher nicht gemeint, dass jede andere Art von Laster erlaubt ist; Paulus versteht diese Freiheit vom Gesetz nicht als Freibrief für Zügellosigkeit)
Was auch immer der Grund für die erwähnten Ausnahmen ist (möglicherweise geht es um Götzendienst und Unmoral, aus jüdischer Sicht die gröbsten Übeltaten der Heiden; so Witherington 2009:89-101), die Entscheidung ist klar. Diese Last wurde uns nicht aufgebürdet.
Jesus und das Gesetz
Lässt sich das aber mit den Aussagen Jesu vereinbaren?
Diese Frage zu beantworten ist nicht ganz einfach. Jesus und seine Zuhörer waren, anders als wir, unter dem Gesetz (Gal. 4,4!); sie lebten unter dem alten Bund. Aus diesem Grund begann ich mit Paulus, weil er uns einen ausgereiften Blick auf das Gesetz im Lichte des neuen Bundes vermittelt.
Paulus lebte nach Ostern und nach der Kreuzigung (so wie wir); Jesus lebte vor Ostern. Das erklärt eine Aussage wie diese:
Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln; denn sie sagen’s zwar, tun’s aber nicht. Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf die Schultern; aber sie selbst wollen keinen Finger dafür krümmen. (Mt. 23,2-4)
Tut, was die Schriftgelehrten sagen, nicht, was sie tun. Jesus gibt dafür eine doppelte Begründung, zunächst in Form einer einfachen Aussage („sie sagen’s zwar, tun’s aber nicht“), dann im Wesentlichen die gleiche Idee, aber bildhaft und mit größerer emotionaler Ladung. Sollten wir auch tun, was die Pharisäer lehrten?
Nein. Diese Rede findet im Rahmen des alten Bundes statt. Außerdem ist der Kontext ein Streitgespräch, nicht eine Abhandlung darüber, wie mit dem Gesetz umzugehen ist. Das Gesetz ist nicht das eigentliche Thema. Matthäus 23 ist ein Angriff auf die religiösen Lehrer, voll Übertreibung, Ironie und Sarkasmus: Was sie sagen, ist gar nicht so schlecht (obwohl Jesus ja längst nicht in allem mit ihren Aussagen einverstanden ist); aber was sie tun…
Anderswo geht Jesus ebenfalls von den mosaischen Vorschriften und Bräuchen aus, auch wenn diese unter dem neuen Bund nicht mehr zutreffen und zum Teil nach der Zerstörung des Tempels gar nicht mehr eingehalten werden können:
Darum: wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe. (Mt. 5,23-24)
Jesus setzt hier Tempel und Opfersystem voraus, obwohl er wusste, dass der Tempel nicht mehr lange stehen würde (Mt. 24). Ähnlich verhält sich Jesus an anderen Stellen, zum Beispiel, wenn es um die Zehnten geht (Lk. 11,42), oder wenn er dem reichen Jüngling aus den zehn Geboten zitiert (Lk. 18,21-25).
Manchmal verhält sich Jesus aber anders. Wenn es in Markus 7,14-23 um die Speisegesetze geht, sagt er:
Es gibt nichts, was von außen in den Menschen hineingeht, das ihn unrein machen könnte; sondern was aus dem Menschen herauskommt, das ist’s, was den Menschen unrein macht. (Mk. 7,15)
Dieses Prinzip führt in letzter Konsequenz zu der Schlussfolgerung, dass dieser Teil des Gesetzes nicht länger gilt. Gleichzeitig verurteilt Jesus aber eine Reihe von Sünden, die im Gesetz ebenfalls verurteilt werden:
Und er sprach: Was aus dem Menschen herauskommt, das macht den Menschen unrein; denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen heraus böse Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Arglist, Ausschweifung, Missgunst, Lästerung, Hochmut, Unvernunft. Alle diese bösen Dinge kommen von innen heraus und machen den Menschen unrein. (Mk. 7,20-23)
Wie sollten jetzt wir, die nach Ostern leben, seine Worte zum Gesetz verstehen?
Es gibt eine Bibelstelle, wo Jesus das Thema Gesetz ausführlich behandelt: Matthäus 5. Wie sich herausstellt, sind seine Anforderungen wesentlich höher als die des Gesetzes. Wenn es zum Beispiel um Mord oder Ehebruch geht, zählen schon unsere Gedanken oder die innere Einstellung zum Nächsten als Übertretung, nicht nur der tatsächliche Akt. Es geht Jesus um die eigentliche Absicht des Gesetzes. Wenn er “Auge um Auge“ ersetzt mit „die andere Backe darbieten“ (Mt. 5,38-39), könnte man denken, er schafft das eine ab und ersetzt es mit Neuem. Das ist aber nicht der Fall.
Auge um Auge setzt der Rache eine Grenze. Das war zur Zeit des Mose ein Fortschritt. Es geht aber längst nicht weit genug. Jesus baut diesem ersten Schritt auf und führt ihn zur Vollendung. Wenn wir Auge um Auge praktizieren, erfüllen wir den Buchstaben des Gesetzes, aber nicht Gottes eigentliche Absicht mit diesem Gebot.
Damit wird klar, dass das Gesetz des Mose nicht als vollständige und endgültige Darstellung der Maßstäbe Gottes gedacht war. Dieser Maßstab ist… Jesus!
Das Gesetz als Typus für Jesus
Jetzt kommen wir zum Kern der Sache. Jesus erfüllt das Gesetz, nicht in dem Sinne, dass er die Vorschriften für uns einhält, sondern in dem Sinne, dass er die wahre Bedeutung und den eigentlichen Sinn des Gesetzes offenbart.
Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht. Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. (Mt. 5, 17-20)
Man könnte sagen: Jesus ist das Gesetz. Er verkörpert es und zeigt so auf, wie ein menschliches Wesen sein sollte. Er bringt – und ist – die wahre und verbindliche Erläuterung des Gesetzes.
Anders gesagt, das Gesetz ist ein Typus oder ein Schatten, dessen Antitypus oder Wirklichkeit Jesus ist. Das führt uns zurück zu Paulus: Christus ist das Ende des Gesetzes, sein telos (Gr.) oder Endziel (Röm. 10,4).
Es gibt einen Grund für die Gebote des Gesetzes. Warum sind manche Dinge richtig oder falsch? Der eigentliche Grund findet sich in Gottes Wesen und Charakter. Das Gesetz des Mose vermittelt ein erstes Bild davon, was das heißt. Jesus führte dieses Bild zur Vollendung – eine Vollendung, die auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussehen kann.
Wir können es uns auch so vorstellen (siehe Bild). Das Gesetz zählt 613 Gebote. (Nebenbei erwähnt, das ist eigentlich wenig; damit kann man unmöglich jede Situation abdecken.) Diese 613 Gebote ergeben sich aus den zehn Geboten; sie zeigen im Detail, was die zehn Gebote beinhalten.
Die zehn Gebote wiederum ergeben sich aus den zwei großen Geboten der Liebe. Als Jesus nach dem wichtigsten Gebot gefragt wurde, war seine Antwort: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten. Denn: „In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt. 22,40). Wie Paulus sagt: „Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, in dem: ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!‘“ (Gal. 5,14).
Die zehn Gebote bilden diese zweifache Liebe in ihrer Struktur ab: Die ersten vier befassen sich mit unserer Beziehung zu Gott, die anderen mit unserer Beziehung zum Nächsten.
Das ganze Gesetz lässt sich somit auf die Liebe zurückführen. Das sollte eigentlich keine große Überraschung sein, weil die Liebe das Wesen Gottes ist. Und Jesus ist die wesentliche Offenbarung Gottes und somit auch der ultimative Maßstab für richtig und falsch. Das alttestamentliche Gesetz vermittelt uns, wenn auch unvollständig, ein Bild dieser Gerechtigkeit Gottes (und somit ein Bild Jesu). Es ist der Versuch, die Gerechtigkeit Gottes für die damalige Zeit, für die damaligen Umstände, für einen bestimmten Abschnitt der Heilsgeschichte und für ein ganz bestimmtes Volk in Worte zu fassen. Das lässt ahnen, dass eine Übertragung auf eine andere Phase der Heilsgeschichte, auf eine weitaus kompliziertere Gesellschaft und auf Menschen, für die Staat, Volksgemeinschaft und religiöse Gemeinschaft – anders als für Israel – nicht identisch sind, alles andere als einfach sein wird. Dazu in der nächsten Ausgabe mehr.
Christen leben nicht unter diesem Gesetz (verstanden als Vorschriftensammlung und Gesetzgebung). Sie sind aber sehr wohl berufen zu einem Leben der Liebe und der Gerechtigkeit.
Da kann das Gesetz (als Schrift) helfen. Denn das neue Leben durch den Geist Gottes in uns braucht Weisung, damit wir wissen, wie Gerechtigkeit und Liebe aussehen. Diese Weisung findet sich in den Büchern des Alten und Neuen Testaments – auch im Gesetz des Mose.
Mir gefällt, wie John Walton und Andrew Hill (2004:117) diesen Sachverhalt zum Ausdruck bringen: Das Gesetz ist „Offenbarung, nicht Gesetzgebung“.
Das Gesetz als Offenbarung hat uns viel zu bieten. Aber wie funktioniert das?
Fortsetzung folgt.
Literaturangaben
Deutsche Bibelgesellschaft (1984), Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)
John H. Walton & Andrew E. Hill (2004), Old Testament Today: A Journey from Original Meaning to Contemporary Significance (Grand Rapids, MI: Zondervan)
Ben Witherington III (2009), What’s in the Word: Rethinking the Socio-Rhetorical Character of the New Testament (Waco, TX: Baylor University Press)
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