Kreuzförmig: Was heißt das? (Boyd-Projekt 4)

Die vorherige Ausgabe befasste sich mit Kapitel 1-6 von The Crucifixion of the Warrior God. Diese Kapitel handeln von Gregory Boyds allgemeiner Theorie der Interpretation, seiner Hermeneutik, die sich in einem Wort zusammenfassen lässt: kreuzförmig. Kapitel 7-12, die zweite Hälfte von Band 1, beschäftigt sich konkret mit Gewalt im AT und diskutiert mögliche Lösungen. Der zweite Teil ist etwas schwierig zu lesen.

Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST und als AUDIO PODCAST

Die vorliegende Ausgabe ist Teil 4 eines Projekts, das mehrere Monate in Anspruch nehmen wird. Das Thema ist weitreichend: Die Gewalt (oder Gewalttätigkeit) Gottes im AT. Gregory Boyd schrieb ein 1400-seitiges Buch über dieses Thema: The Crucifixion of the Warrior God: Interpreting the Old Testament’s Violent Portraits of God in Light of the Cross (Die Kreuzigung des Kriegergottes: Interpretation der Gewaltporträts Gottes im Alten Testament im Licht des Kreuzes; 2017). Ich wurde nach meiner Meinung über das Buch gefragt; das hat mich veranlasst, dieses Projekt durchzuführen.

Zum einen gibt es zu viele Abschweifungen. Zum andern leidet das Buch unter einer Überdosis von Zitaten. Wie wenn Boyd bestrebt wäre, alles einzubeziehen, was sich irgendwie unterstützend einsetzen lässt – wie wenn nichts auf der Strecke bleiben sollte.

Manchmal führt dies zu interessanten Effekten. Wenn Boyd gegen einen Lösungsansatz argumentiert, der Problemstellen einfach verwerfen will, indem er solchen Stellen jede Autorität aberkennt, zitiert er Fretheim (2004: 28):

Die gewalttätigen Porträts Gottes offenbaren also einen Gott, der sich nicht zu schade ist, seinen Ruf zu beschmutzen, indem er mit einem gefallenen, gewaltbereiten Volk inmitten einer unterdrückten, gewalttätigen Welt arbeitet. Daher sind diese Darstellungen „keine Frage der Verzweiflung“, argumentiert er [d.h. Fretheim], „sondern der Hoffnung“. Dann fährt er fort:

„Gott gibt Menschen nicht einfach dahin, damit sie Gewalt erleben. Gott entscheidet sich dazu, sich in Gewalt einzumischen, damit das Böse nicht das letzte Wort hat. In allem, einschließlich Gewalt, versucht Gott, liebevolle Ziele zu erreichen. Dadurch kann Gott ein noch größeres Übel verhindern.“ (Boyd 2017a: 347; zitiert wird Fretheim 2004:28)

Fretheim (2004: 28) beendet seinen Artikel so: „Aber um Gottes Werk in der Welt zu vollbringen, kann Gott auf gewalttätige Weise in und durch verschiedene Akteure reagieren, damit Sünde und Böses im Leben der Welt nicht unwidersprochen bleiben.“ Ich stimme Fretheim von ganzem Herzen zu. Aber sowohl sein Artikel als auch diese Zitate stehen im Widerspruch zu Boyds eigener Ansicht, dass Gott immer gewaltlos sei.

(Darüber hinaus untergräbt Fretheims Artikel aus dem Jahr 2004 auch Boyds Behauptung, dass bisher niemand das getan hat, was er mit seinem Buch zu tun versucht: ein kreuzförmiges Verständnis von gewalttätigen Darstellungen Gottes im AT auszuarbeiten. Wer Boyds Buch lesen will, sollte auf jeden Fall auch den Artikel von Fretheim lesen. Obwohl ich nicht mit allem einverstanden bin, finde ich es aufschlussreicher als Boyds Buch. Auf nur 11 Seiten enthält der Artikel sogar eine Definition von Gewalt, etwas das in Boyds 1400 Seiten, wie in der vorherigen Ausgabe schon bemängelt, leider fehlt.)

Im Folgenden konzentriere ich mich auf Kapitel 7, Beispiele von gewalttätigen Passagen im Alten Testament, und Kapitel 11, wo Boyd seine ganz eigene Version einer kreuzförmigen Hermeneutik präsentiert. Ich werde kurz auf Kapitel 8 und 9 eingehen, die sich mit alternativen Lösungen befassen. Kapitel 10 (hauptsächlich über den Kirchenvater Origen) und Kapitel 12 (über die theologische Interpretation der Schrift, in der er kritische Fragen weitgehend beiseitelegt) werde ich überspringen. Da diese Ausgabe lang ist, stelle ich zwei längere Zitate zu Boyds Ansatz in einen Anhang (in Englisch, ohne Übersetzung), für diejenigen, die es genauer wissen wollen.

Beispiele für Gewalt im AT (Kapitel 7)

Es ist sinnvoll, Beispiele für das Problem zu nennen, mit dem wir es zu tun haben. Es ist richtig, dass Boyd sich dabei nicht nur von einer Verharmlosung problematischer Elemente, sondern auch von Übertreibungen fernhalten will. Seine Aussage dazu:

Das soll nicht heißen, dass ich ein Interesse daran habe, die Abscheulichkeit dieses Materials zu übertreiben, wie es einige Kritiker der letzten Zeit getan haben … Mein Ziel ist es, einfach rücksichtslos ehrlich zu sein über die beunruhigende Art des Materials, das „die dunkle Seite“ der Bibel umfasst. (Boyd 2017a: 290)

Wenn es um Kritiker des Neuen Testaments geht, die dem Text Antisemitismus vorwerfen, plädiert Boyd für eine verständnisvolle Lesart: „Aber damit diese Texte richtig verstanden werden können, müssen sie in ihrem eigenen sozialhistorischen Kontext des ersten Jahrhunderts und im Kontext der Voraussetzungen der Rhetorik und der Genres von damals gelesen werden“ (ebd.: 561). Richtig. Aber wenn es um das AT geht, ist Boyds Lesart alles andere als verständnisvoll:

Ich kann einfach keinen höflicheren Weg finden, um mit Integrität Darstellungen Gottes zu beschreiben, in denen er Föten aus dem Schoß ihrer Mütter herausreißen lässt (Hos 13:16), Eltern zur Kannibalisierung ihrer Kinder anstiftet (3. Mo 26,29; Jer 19,9; Kla 2,20; Hezek 5,10; vgl. 5. Mo 28,53-57) oder seinem Volk befiehlt, ganze Bevölkerungsgruppen gnadenlos zu massakrieren (z.B. 5. Mo 7,2). Wenn Darstellungen, in denen Gott solche Dinge tut, nicht als „schrecklich“, „makaber“ oder „widerwärtig“ gelten, was dann? (Ebd.: 290)

Gott stiftet „Eltern zur Kannibalisierung ihrer Kinder“ an!? Schlage nach und du wirst feststellen, dass Gott nichts dergleichen tut. In den meisten Fällen sagt der Text nur, was geschehen wird; mit Ausnahme von Jeremia 19,9 (und über diesen Vers gäbe es viel zu sagen) behauptet Gott nicht einmal, der Urheber des Elends zu sein, geschweige denn, dass er die Menschen zum Kannibalismus auffordert.

Ich habe mich in Ausgabe 1 und Ausgabe 2 in dieser Serie schon mit Material dieser Art beschäftigt. Ich werde mich daher jetzt auf einige Beispiele beschränken.

Boyd argumentiert, dass die Israeliten zunächst Kinderopfer praktizierten, wie ihrem Verständnis nach von Gott befohlen worden war. Schließlich gibt 2. Mose 22,29f den gleichen Befehl für Kinder wie für die Erstgeburt von Rindern, ohne Bezugnahme auf eine Option der Erlösung (durch Freikauf). Später, so diese Theorie, musste der Sohn erlöst werden, aber ursprünglich sollte er geopfert worden, wie das Rind; das ist der Ursprung des Gebotes, dass alles Erstgeborene Jahweh gehört (so 2. Mo. 13:2). Antwort: Im Text gibt es schon in 2. Mose 13,13 die nähere Bestimmung für den erstgeborenen Sohn: Er soll erlöst, nicht getötet oder geopfert werden. In Kapitel 22 wird diese Bestimmung nicht wiederholt. Das will aber nicht heißen, dass sie nicht von Anfang an galt.

Boyd findet Bestätigung für seine Theorie in der Geschichte Jephthahs, der seine Tochter opferte (Ri. 11:29ff): „Diese Erzählung spiegelt somit den scheinbar normativen Glauben der Israeliten in dieser Zeit wider, dass Jahweh im Austausch für geopferte Kinder militärische Siege gewährt“ (Boyd 2017a: 310). Antwort: Jephthah mag das geglaubt haben, aber das macht es nicht „normativ“. Boyd verfehlt den eigentlichen Sinn dieser Erzählung im größeren Kontext des Richterbuches: Sie stellt einen weiteren Hinweis dar, wie schlecht es um Israel stand und wie weit das Volk sich von Gottes Gesetz entfernt hatte.

Boyd beruft sich auch auf Hesekiel 20,25f, wonach Gott Israel „Gebote, die nicht gut waren“, gab, darunter Kinderopfer (erwähnt in Vers 26). Dies scheint jedoch erst nach der Gesetzgebung am Sinai zu erfolgen (d.h. Kinderopfer waren nicht die ursprüngliche Praxis). Es macht mehr Sinn, diese Aussage folgendermaßen zu verstehen. Da die Israeliten sein Gesetz ignorierten, ließ Gott sie ihren selbstgewählten und gesetzeswidrigen Praktiken folgen:  er gab sie dahin (vgl. Röm. 1:24).

Boyd tendiert dazu, die Vergangenheit unangemessen zu verurteilen. Das zeigt sich u.a. in seiner Stellungnahme zu den Fluchpsalmen, jenen Psalmen, in denen der Autor seine Feinde verflucht:

Während wir natürlich die Sehnsucht nach göttlicher Gerechtigkeit, die sich in diesen Psalmen widerspiegelt, anerkennen sollten, müssen wir auch offen sagen, dass diese rachsüchtigen Psalmen der Lehre Jesu über die Vergebung und seinem Beispiel auf eklatante Weise widersprechen, sowie auch der Lehre des Paulus, dass wir immer lieben sollen, wobei die Liebe immer „freundlich“ ist, niemals „andere entehrt“, „keine Aufzeichnungen über Unrecht führt“, „sich nicht am Bösen erfreut“, “immer schützt, immer vertraut“ und „immer hofft“ (1. Kor 13,4-7; vgl. 1. Kor 16,14). (Boyd 2017a: 327)

Der Psalmist kannte die Lehre von Jesus und Paulus nicht und darf daher nicht nach diesem Maßstab beurteilt werden. Er kann dem, was noch nicht geschrieben war, nicht widersprechen. Außerdem dokumentieren diese Psalmen, was Menschen gesagt haben, nicht, was Gott getan hat, und sind daher hier irrelevant.

Boyd bemängelt ebenfalls Geschichten in der Bibel, die die von ihnen beschriebene Gewalt nicht verurteilen: „In Anbetracht dessen, was wir über Gott im gekreuzigten Christus erfahren, ist die Art und Weise, wie bestimmte biblische Autoren Episoden schrecklicher Gewalt erzählen, ohne sie zu verurteilen – ja, sie manchmal sogar zu loben scheinen –, zumindest problematisch“ (2017a: 330). Ironischerweise gibt er als Beispiel Richter 19-21 an, in der Tat eine der schrecklichsten Erzählungen im AT. Aber genau das ist der Punkt: So tief war Israel gesunken, bis auf die Ebene von Sodom und Gomorra. Das ist in der Tat entsetzlich. Es ist nicht notwendig, das Offensichtliche zu sagen.

Ich leugne nicht, dass es im AT herausfordernde Passagen zu bewältigen gibt, aber Boyds Lesung des AT zeigt zu wenig Verständnis für die damalige Zeit und Kultur. Es macht keinen Sinn, alte Texte auf der Grundlage der moralischen Empfindlichkeiten des 21. Jahrhunderts zu beurteilen. Das ist unfair. Darüber hinaus zeigt Boyd zu wenig Gespür für die literarische Raffinesse dieser Texte. Diese ernst zu nehmen bedeutet nicht, das Problem zu verharmlosen; es ermöglicht uns, ihre tiefe und subtile Weisheit zu erkennen.

Alternative Lösungen (Kapitel 8 und 9)

Boyd nennt seinen eigenen Lösungsansatz „Neudefinition“. Er wird in Kapitel 11 vorgestellt. Boyd beschäftigt sich zunächst mit zwei alternativen Lösungen.

Eine Möglichkeit, auf Gewalt im AT zu reagieren (diskutiert in Kapitel 8), besteht darin, Passagen einfach zu verwerfen, die nicht einem kreuzförmigen Standard entsprechen: Sie sind keine verbindliche Schrift. Boyd lehnt diese Alternative ab, weil sie der Glaubensüberzeugung nicht gerecht wird, dass alle Schrift von Gott eingegeben ist (wörtlich „geatmet“; 2. Tim. 3,16).

Die zweite Option, die in Kapitel 9 diskutiert wird, besteht darin, eine Synthese dessen zu versuchen, was über Gott am Kreuz und im AT offenbart wird; Boyd nennt diese Lösung „Synthese“. Dieses Kapitel hat mich am wenigsten überzeugt. Es stellt diese Alternativen (Plural, weil sie eine Reihe recht unterschiedlicher Ansichten beinhalten; siehe die erste Ausgabe dieser Serie für Einzelheiten) nicht fair dar. Diese Positionen lassen sich nicht auf einen Nenner reduzieren: „Gewalttätige Darstellungen Gottes müssen als direkte und genaue Offenbarungen Gottes akzeptiert werden“ (Boyd 2017a: 336).

Boyds eigene Lösung beinhaltet auch ein gewisses Maß an Synthese, da er in den betreffenden Bibelstellen im AT noch etwas Wertvolles finden will. Schließlich verwirft er sie nicht. Und die meisten Varianten einer „Synthese“-Lösung beinhalten zumindest ein Maß an Neudefinition. Es ist ja nicht ungewöhnlich, das Alte im Licht des Neuen Testaments oder im Licht Christi zu lesen. Boyd ist nicht der erste, der mit ethischen Herausforderungen im AT ringt. Der Unterschied zwischen den Lösungen ist keine Frage von „Synthese“ oder „Neudefinition“; vielmehr geht es um die Frage, wie viel Neudefinition und welche Art von Neudefinition es braucht.

Welche Art von Neudefinition schlägt Boyd also vor? Das ist das Thema des wichtigen Kapitel 11. Dort präsentiert Boyd seinen ganz eigenen Vorschlag: eine neue und einzigartige Version der kreuzförmigen Hermeneutik.

Boyds Version von kreuzförmig (Kapitel 11)

Bei diesem Vorschlag geht es um die vermeintliche Parallele zwischen dem, was am Kreuz geschah, und dem, was in gewalttätigen Darstellungen Gottes im AT geschieht. In beiden Fällen erniedrigte sich Gott und erlaubte es den Menschen, sein Erscheinungsbild zu entstellen. Auf diese Weise nehmen die gewalttätigen Darstellungen Gottes die Kreuzigung vorweg: Gott erlaubte den Menschen, ihn falsch darzustellen, so wie er den Menschen erlaubte, Jesus zu verunstalten. So deuten die gewalttätigen Passagen auf Christus hin.

Ich versuche eine Zusammenfassung der Argumentation. Erstens geht Boyd davon aus, dass der Begriff Gott-geatmet (Gr. theopneustos, 2. Tim. 3,16) nicht nur für den Text der Bibel, sondern auch für das Kreuz gilt: Auch dieses Ereignis wurde von Gott „geatmet“. Dann argumentiert er, dass dieser Begriff keine einseitige Handlung bezeichnet, sondern in Beziehung stattfand, mit beidseitiger Beteiligung. Es handelt sich um einen Prozess, an dem sowohl Gott als auch der Mensch aktiv beteiligt waren. Am Kreuz erlaubte Gott den Menschen, die Erscheinung Jesu unkenntlich zu machen. Ebenso erlaubte er menschliche Beteiligung am Schreiben des Alten Testaments. Wegen der Unvollkommenheit und des sündigen Widerstands der Menschen führte dies zu einer gewissen Verzerrung. Mit anderen Worten, Gott erlaubte den Menschen, seine Erscheinung im Text zu verändern. Man beachte die Implikation: Wesentliche Teile des AT stellen Gott falsch dar. (Es plädiert nicht für Boyds Argumentation, dass er als Beispiele für eine solche falsche Darstellung die Worte von Hiobs Freunden und die Klagen von Jeremia anführt; das sind in der Tat Worte in der Bibel, die falsch von Gott sprechen, aber das ist im Text selbst klar erkennbar).

Meines Erachtens funktioniert diese Parallele zwischen Entstellung am Kreuz und in der Schrift nicht. Die Hässlichkeit des Kreuzes und die vermeintliche Hässlichkeit dieser Darstellungen im AT sind sich nicht ähnlich. Am Kreuz ist Gott in Christus das Opfer, im AT ist Gott der angebliche Täter. Kinder am Felsen zu zerschmettern ist widerwärtig, genau wie einen unschuldigen Mann zu kreuzigen. Aber die moralische Empörung gilt unterschiedliche Parteien. Es ist nicht Jesus am Kreuz, der moralisch widerwärtig ist oder handelt. (Und übrigens, gegen Boyd 2017a: 323, Gott wird in der Bibel nie als derjenige dargestellt, der Kinder zerschmettert oder andere dazu anstiftet.)

Es gab nichts Sündhaftes in Jesus am Kreuz und er wird nicht falsch dargestellt, während Gott im AT, wenn Boyd Recht hat, brutal und unmoralisch vorgeht, oder zumindest so dargestellt wird. Das ist ein Gegensatz, nicht eine Parallele: Christus am Kreuz widerspricht nicht dem Wesen Gottes, aber Gott, der Gewalt ausübt, schon (nach Boyds Maßstab). Boyd versteht letzteres, Gottes Gewalt, als eine falsche Darstellung; dass Christus am Kreuz hässlich und abschreckend in Erscheinung tritt, ist aber real und wahr.

Boyds Argumentation ist komplex und schwer zu verstehen. Ich nehme zwei längere Zitate von Cross Vision, die kürzere Version von Boyds Buch (2017b), in den Anhang auf (da diese Ausgabe bereits lang ist; ohne Übersetzung), damit die Idee auch in seinen eigenen Worten zum Ausdruck kommt.

Ich finde seinen Vorschlag nicht überzeugend. Ich frage mich, warum wir dem AT überhaupt noch viel Aufmerksamkeit schenken sollten, wenn wesentliche Teile davon falsch sind und Gott falsch darstellen. Vor allem, wenn wir andere Themen einbeziehen. Boyd stellt Gewalt in den Mittelpunkt, aber es gibt noch mehr: Sklaverei, Polygamie, Behandlung von Frauen, ein Opfersystem, das die Sünde nicht wegnehmen kann (Hebr. 10,4), Reinheitsgesetze, die Menschen mit Lepra aus der Gemeinschaft ausstoßen, etc. Ist Gewalt ein größeres Übel als Unwahrheit? Dass Gott Gewalt vorschreibt, hält Boyd nicht für möglich; kann er dann aber anderes verlangen, das nicht wirklich wahr oder gut ist?

Wenn alles, was wir aus dem AT gewinnen, in hunderten von Beispielen, die demütige und liebevolle Bereitschaft Gottes ist, sich zu erniedrigen und sich der falschen Darstellung zu unterwerfen, so wie Jesus sich dem Kreuz unterwarf, wie viel Aufmerksamkeit ist das wert?

Wie weisen gewalttätige Passagen auf Christus hin?

Eine letzte Frage muss in dieser Ausgabe noch behandelt werden: Wie zeigen gewalttätige Bibelstellen auf Christus? Das ist die Frage, die Boyd an die Vertreter der „Synthese“-Lösung stellt. Basierend auf einer kreuzförmigen Hermeneutik ist ja alles in der Schrift in irgendeiner Weise ein Hinweis auf Christus und auf das Kreuz. Wie tun dies gewalttätige Bibelstellen?

Es gibt bessere Antworten als die, die Boyd uns gibt (zusammengefasst im vorherigen Abschnitt). Eine offensichtliche Art und Weise, wie Bibelstellen im AT auf Christus hinweisen: Sie zeigen den gefallenen Status des Menschen und dessen Folgen, und machen klar, dass wir einen Erlöser brauchen.

Nicht wenige Problemstellen funktionieren als Warnbeispiele: die Flut, Sodom und Gomorra, Israel in der Wüste, Israels Exil, manche Einzelpersonen. Diese Beispiele sind nicht sehr zahlreich, und es gibt eine klare Tendenz, sie nicht zu wiederholen. Gott gab gelegentlich eine „Demo“, um Konsequenzen aufzuzeigen: Wohin führt, wie endet dieser Weg? Er sorgte dafür, dass diese „Demos“ in der Heiligen Schrift festgehalten wurden, damit wir daraus lernen können. Aber dann geht er weiter, weil sein eigentliches Anliegen das Werk der Erlösung ist, nicht das des Gerichtes.

Gott ist Liebe. Ist es Liebe, eine Person oder eine Gruppe (im Namen des freien Willens?) auf einem Weg, der zu Korruption und Zerstörung führt, weitergehen zu lassen, ohne einen Warnschuss abzugeben? Die Liebe Gottes erklärt zum Teil auch die starke Sprache im AT. In Liebe zeigt Gott durch die Geschichte Israels auf, wie verloren wir sind und wohin das führt.

Diese Teilantwort ist nur ein Anfang. Ich verbinde sie mit einem konventionelleren Verständnis von Akkommodation als Boyd: Aus Liebe war Gott bereit, in die chaotische und gewalttätige Welt der Menschen einzutreten und sich einzumischen, um sie von innen heraus zu verändern.

Dass Gott sich erniedrigt und Israels Gewalt erträgt (und mitmacht), ist nicht weniger kreuzförmig als Boyds Vorschlag. Diese Alternative hat den zusätzlichen Vorteil, dass wir wesentliche Teile des AT nicht als „falsch“ markieren müssen.

Was bleibt für dieses Projekt zu tun übrig?

Der zweite Band von The Crucifixion of the Warrior God präsentiert vier Prinzipien, vier mögliche Erklärungen für göttliche Gewalt im AT. Ich gehe davon aus, dass er für jedes Prinzip viele Beispiele geben wird. Ich will versuchen, den zweiten Band in einer Ausgabe (Dezember) zu besprechen, damit ich bereit bin, für Januar zu etwas anderem überzugehen.

Literaturangaben

Boyd, Gregory (2017a), The Crucifixion of the Warrior God: Interpreting the Old Testament’s Violent Portraits of God in Light of the Cross (Minneapolis, MN: Fortress Press)

Ebd. (2017b), Cross Vision: How the Crucifixion of Jesus Makes Sense of Old Testament Violence (Minneapolis, MN: Fortress Press, Kindle Edition)

Fretheim, Terence E. F. (2004), “God and Violence in the Old Testament,” Word & World 24,1: 18-28

Anhang

Da diese Ausgabe lang ist, füge ich in diesem Anhang zwei längere Zitate mit einigen Kommentaren hinzu (Ohne Übersetzung).

“I submit that we should read Scripture expecting to find God sometimes revealing his beautiful character by stooping to bear the ugly sin of his people, thereby taking on a surface appearance that mirrors that sin, just as he does on the cross. [This, and the next paragraph, is what I consider to be a false parallel, as argued above. On the cross, the sin is what is done to Jesus by others; in the OT, the sinful action, even though it is wrongfully attributed, is performed by God] And to discern this beauty, we should expect that we will need to exercise faith to look through the sin-mirroring surface of these portraits to discern something else going on behind the scenes.

Along the same lines, we should expect that the something else that is going on behind the scenes of these sin-mirroring portraits is precisely what is going on behind the sin-mirroring cross: God, out of his love, is humbly stooping to bear the sin of his people, thereby taking on an ugly appearance that reflects this sin. This is how I propose we interpret all portraits of God in the Bible that on the surface reflect a character that is inconsistent with the cruciform character of God revealed on the cross, including especially the OT’s violent depictions of God.

Consider, for example, Jeremiah’s macabre representation of Yahweh vowing not to let mercy or compassion stop him from smashing families together (Jer 13: 14). If we trust that the cross reveals what God is truly like, then we know that God would never vow to surpress his mercy and compassion in order to mercilessly smash families to death. So we must assess this ugly surface appearance of God to be a reflection of Jeremiah’s own fallen, culturally conditioned, ugly conception of God. [Notice he takes Jeremiah at face value. On this reading, except for a few brighter chapters in the book, one might as well skip reading Jeremiah entirely. Notice also how judgmental and uncharitable this reading is toward Jeremiah.]

However, our faith in the God revealed on the cross also also [sic] transforms this portrait into a two-way mirror. For when read in light of the cross we are able to look through this ugly sin-mirroring surface to behold the beautiful cruciform God stooping to bear Jeremiah’s sinful conception of him, which is why God takes on this ugly appearance in Jeremiah’s contribution to the biblical narrative. Interpreted through the looking-glass cross, violent divine portraits like Jeremiah’s become both beautiful and revolting for all the same reasons the cross is both beautiful and revolting.” (Boyd 2017b: Loc. 1075-1091)

The issue in the second quote is: did God actually do certain ‘reproachable’ things or is he merely and therefore wrongfully portrayed as doing so?

“Let me at this point address a possible objection. Some have argued that the four accommodations discussed in this chapter do not merely reflect God accommodating his people’s fallen and culturally conditioned views of him. They rather reflect accommodating behaviors that God actually engaged in. In this view, for example, God didn’t merely stoop to accommodate his people’s culturally conditioned view of him as capable of giving remarkably violent laws. God actually stooped to giving these violent laws.

I can agree with this perspective up to the point that the accommodating activity ascribed to God does not conflict with the self-sacrificial, nonviolent, enemy-embracing love of God revealed in the crucified Christ. But insofar as any divine portrait is not consistent with this revelation, fidelity to Christ compels me to see it not as an accurate depiction of something God actually did, but as a reflection of something God’s people at the time assumed God did.

To this degree, it doesn’t reflect God acting toward people; it rather reflects God humbly stooping to allow the fallen and culturally conditioned state of his people to act upon him. To the extent that any portrait conflicts with the crucified Christ, in other words, I must assess it as an indirect, rather than a direct, revelation.

To be more specific, I do not in principle have a problem accepting that God actually stooped to play the roles that are ascribed to him surrounding the accommodations of polygamy, concubines, divorce and remarriage, as well as the institution of monarchy. [Notice that this reflects Boyd’s hierarchy of evils: God cannot order violence but regulating polygamy, for instance, is thinkable. Is the latter really less bad? Less bad than animal sacrifice? Shouldn’t this be considered a form of violence against women, seeing it certainly violates their value and dignity?] However, when it comes to assessing the 613 laws that pertain to the first covenant, including commands to perform animal sacrifices and to execute certain types of people, things get more complex and ambiguous. We would actually need to assess each law individually, which obviously is beyond the scope of this book.

So let us settle on this guiding principle: Insofar as any law reflects an improvement over the prevailing laws of the ANE [= Ancient Near East], I submit that it reflects God acting toward his people. As barbaric as many of the OT laws are, most reflect an improvement, and sometimes a significant improvement, over the laws of Israel’s neighbors, and this surely is the result of the influential work of God’s Spirit. But insofar as any law falls short of the character of God revealed in Jesus’s cross-centered ministry [hard to find a law that does not fall short of this standard!], it reflects the point at which the fallen and culturally conditioned state of his people resisted the Spirit and, therefore, the point at which God stooped to allow his people to act upon him. In my view, all portraits of God in the Bible should be assessed by this criterion. While there is ambiguity and complexity surrounding the particulars, what is most important for our purposes is perfectly clear: insofar as any law or any activity that is ascribed to God involves violence against humans or animals, it must to this degree be considered an accommodating, sin-mirroring portrait that indirectly bears witness to the sin-bearing God revealed on Calvary.” [Notice Boyd’s criterion here is nonviolence; whether this is implied in cruciform is debatable; in all ‘lesser’ evils God may have been involved.] (Boyd 2017b: Loc.1834-1858)

Bilder

Crucifix Bible: https://pixabay.com/en/cross-jesus-bible-god-prayer-vera-1560345/, CC0

Child: https://pixabay.com/en/girl-walking-teddy-bear-child-walk-447701/, CC0

Crosses: https://pixabay.com/en/art-artistic-painting-digital-2092530/, CC0

Disclosure of Material Connection: Some of the links in the post above are “affiliate links.” This means if you click on the link and purchase the item, I will receive an affiliate commission.

Wenn du über diese Links etwas kaufst, hilfst du mir, die Kosten für Create a Learning Site abzudecken.

Anmelden für monatliche Updates