Neudefinitionen I: Glaube oder Treue?

Ich bereite mich darauf vor, über die Sühne durch Christus zu schreiben: unterschiedliche Erklärungsmodelle dafür, was Jesus durch seinen Tod am Kreuz vollbracht hat. Das ist ein großes Thema, und ein umstrittenes. Traditionelle Verständnisse werden heutzutage zum Teil stark hinterfragt. Zu Recht oder zu Unrecht? Wir werden sehen. Hier geht es um ein viel kleineres, aber verwandtes Thema: die Bedeutung des Ausdrucks „der Glaube an Christus“ [wörtlich: der Glaube Christi]. Oder sollten wir, wie manche argumentieren, „die Treue Christi“ übersetzen?

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Die tatsächlich verwendeten griechischen Wörter sind (transkribiert) pistis christou. Paulus verwendet den Ausdruck etwa sechsmal.

Es gibt hier zwei Fragen. Erstens kann das Substantiv pistis in der Tat je nach Kontext sowohl Glaube als auch Treue bedeuten. Welche Bedeutung hatte das Wort für Paulus?

Welcher Genitiv?

Die zweite Frage bezieht sich auf die Grammatik. Für christos verwendet der griechische Text den Genitiv. Der Genitiv weist darauf hin, dass es eine Beziehung zwischen zwei Begriffen gibt. Es gibt zahlreiche Optionen für die Art der angedeuteten Beziehung (für einen Überblick siehe Corey Keating’s „Common Uses of Genitive Case“). Es ist Sache des Interpreten, zu bestimmen, welche davon am besten passt.

Zwei gebräuchliche Verwendungen sind der subjektive und der objektive Genitiv.

Ein Beispiel: Wenn wir über die Liebe Gottes lesen, denken wir wahrscheinlich sofort an Gottes Liebe zu uns. Das Substantiv Liebe ist ein Verbalsubstantiv, d.h. es ist von einem Verb abgeleitet. Es impliziert eine Handlung. Wenn es sich tatsächlich auf die Liebe Gottes zu uns bezieht, ist die implizierte Handlung: Gott liebt uns, wobei Gott das Subjekt ist. Man nennt dies daher einen subjektiven Genitiv.

Im Griechischen kann der Ausdruck „die Liebe Gottes“ aber auch verwendet werden für die Liebe, die Menschen für Gott haben: Sie lieben Gott. Gott ist somit das Objekt ihrer Liebe. Deshalb nennt man dies einen objektiven Genitiv.

Die Frage lautet also: Wie ist der Genitiv in pistis christou gemeint?

Warum neu definieren?

Traditionell hat man den Ausdruck als objektiven Genitiv verstanden. Luther übersetzte deswegen „Glaube an Christus“. Heutzutage wird häufig argumentiert, dass es sich um einen subjektiven Genitiv handelt, und dass man nicht „Glaube Christi“ sondern „Treue Christi“ übersetzen sollte.

Das macht einen großen Unterschied, besonders für das Verständnis der Rechtfertigung in Galater 2,16 zum Beispiel. Werden wir gerechtfertigt durch den Glauben an Christus, d.h. mit Christus als Gegenstand unseres Glaubens? Oder werden wir gerechtfertigt durch die Treue Christi? (Selbstverständlich sind die Treue Christi und sein Gehorsam wesentlich für das christliche Glaubensverständnis; dass Christus sich Gott gegenüber treu verhalten hat, ist keine Frage; es geht darum, ob Paulus sich mit dem Ausdruck pistis christou darauf bezieht oder nicht).

Es wurde viel Energie verwendet, um die moderne Neudefinition zu verteidigen. Bevor wir uns die Bibelstellen ansehen, in denen dieser Ausdruck verwendet wird, möchte ich kurz die wichtigsten Argumente und Gegenargumente nennen:

1. Überflüssige Wiederholung. Nach der traditionellen Auslegung wiederholt Paulus unnötigerweise die Idee des Glaubens in einem einzigen Satz.

Gegenargument: Wie wir sehen werden, ist die Wiederholung keineswegs unnötig oder sinnlos.

2. Der Glaube Abrahams. Wenn sich Paulus in Römer 4,12 und 16 auf den Glauben Abrahams bezieht, ist der Genitiv offensichtlich subjektiv: Hier geht es um den Glauben Abrahams. Ebenso muss in Römer 3,3, pistis theou (theou = Gottes) ein subjektiver Genitiv sein. Da es keinen Sinn macht, von Gottes Glauben zu sprechen, muss der Ausdruck dort Treue Gottes bedeuten.

Gegenargument: Das ist richtig, aber die Bedeutung dieser Ausdrücke hängt immer vom Kontext ab und muss daher von Fall zu Fall entschieden werden. Außerdem verwendet Paulus in diesen Fällen, in denen er Glaube mit subjektivem Genitiv verwendet, den Artikel: Es ist „der Glaube Abrahams“ (Horton 2018: ii, 422f). Wenn Paulus jedoch pistis christou verwendet, dann immer ohne den Artikel, was darauf hindeutet, dass der Ausdruck eine andere Bedeutung hat als „der Glaube/die Treue Christi“ (ibid.).

3. Anthropozentrisch und auf Werke ausgerichtet. Die traditionelle Auslegung macht aus dem Glauben ein Werk, das dann zur Grundlage der Rechtfertigung wird. Sie macht das Heil anthropozentrisch, weil es von uns und nicht von Gott abhängt. Der Theologe Michael Horton (2018: ii, 418) zitiert Richard Hays, einen führenden Verfechter der neuen Sichtweise, der zur Schlussfolgerung gelangt, dass die traditionelle Lesart „an eine gotteslästerliche Selbstbeschäftigung in eigener religiöser Subjektivität grenzt“.

Gegenargument: Paulus verstand den Glauben eindeutig im Gegensatz zu Werken des Gesetzes und daher nicht als eine alternative Art von Werk. Der Glaube ist niemals die Grundlage für unsere Erlösung oder Rechtfertigung. Die Grundlage ist immer das Werk Christi. Der Glaube ist lediglich instrumentell; er ist das Mittel, durch das wir Christus, die wahre Grundlage für unsere Rechtfertigung, annehmen oder empfangen. Um es anders auszudrücken: Durch Glauben gerechtfertigt ist die Kurzform für die Rechtfertigung durch Glauben auf der Grundlage dessen, was Christus getan hat.

Abgesehen davon schießt Hays über sein Ziel hinaus. Er unterstellt allen Kirchenvätern, dass sie – in seiner Terminologie – nur mit sich selbst und ihrem religiösen Gefühl beschäftigt waren. Für viele von ihnen war Griechisch ihre erste Sprache, aber sie alle verstanden pistis christou als Glauben an Christus. Sie zogen die Alternative nicht einmal in Betracht (siehe Horton 2018: ii, 426).

Pistis Christou im Kontext

Was folgt, ist ein kurzer Blick auf die Bibelverse, die den betreffenden Ausdruck enthalten.

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus [durch pistis jesou christou] zu allen, die glauben … um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus [wörtlich: aus pistis jesou]. (Röm. 3,21-26; vgl. Gal. 3,22)

Die Wiederholung in Vers 22 ist offensichtlich: durch den Glauben … zu allen, die glauben. Die Wiederholung macht jedoch Sinn: Sie dient dazu zu betonen, dass dies für alle gilt, nicht nur für Juden, sondern auch für Heiden; sie ist keineswegs sinnlos.

Wenn pistis in Vers 22 Treue ist, sollten wir dann auch in der Fortsetzung von Römer 3, wo Paulus weiterhin von „Glaube“ spricht, „Treue“ verstehen? Das wirkt zunehmend forciert. Spätestens in Römer 4 lässt sich diese Deutung nicht mehr aufrechterhalten: Abraham wurde gerechtfertigt, weil er glaubte – nicht wegen der Treue eines anderen, sondern wegen seines Glaubens.

Wir sind von Geburt Juden und nicht Sünder aus den Heiden. Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus [pistis jesu christou], sind auch wir zum Glauben [eig. Verb, pisteuo] an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus [pistis christou] und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht … Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes [pististou huiou tou theou, ebenfalls ein Genitiv], der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. (Gal. 2,15-20; siehe auch Gal. 3,22)

Diese Passage zeigt die Absurdität des Wiederholungsargumentes. Die Verse 15 und 16 sind voller Wiederholungen (gerechtfertigt und Werke des Gesetzes erscheinen dreimal, Glaube Christi zweimal, plus das verwandte Verb glauben). Die Wiederholung ist gewollt; sie dient zur Betonung und beweist nicht die Absicht, die Begriffe in unterschiedlichen Bedeutungen zu verwenden.

Vers 16 macht deutlich, dass wir an Christus glauben, und das führt dazu, dass wir gerechtfertigt werden.

Wenn pistis in Galater 2 Treue bedeuten würde, was ist dann mit Galater 3,2 und 3,5? Empfangen wir den Geist durch das Hören der Treue [Christi]? Das würde jedoch nicht mit Galater 3,6 übereinstimmen, wo, wie in 2,16, eine Person (hier Abraham), die glaubt, für sich selbst, nicht für andere, Gerechtigkeit erlangt.

Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus [pistis christou] kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird. (Phil. 3,8f)

Der Ausdruck „Erkenntnis Christi Jesu“ ist ein weiterer Genitiv, und offensichtlich ein objektiver: Er bezieht sich nicht auf das, was Jesus weiß, sondern darauf, Jesus (Objekt) zu erkennen. Abgesehen davon ermöglicht dieser Abschnitt wohl keine klare Entscheidung für die eine oder die andere Bedeutung.

Epheser 3,12 („Glaube an ihn“) lasse ich aus, weil diese Schriftstelle nicht schlüssig ist. Dafür eine Bibelstelle, in der Paulus von der „Gerechtigkeit aus dem Glauben“ spricht (Röm. 10,6) – damit nicht jemand meint, dies könne „die Gerechtigkeit, die auf [der] Treue [Christi] beruht“ bedeuten:

Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. Denn die Schrift spricht: „Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.“ (Röm. 10,9-11)

Paulus legt hier so großen Wert darauf, dass wir glauben, dass man sich fragen kann, ob dies auch „an eine gotteslästerliche Selbstbeschäftigung in eigener religiöser Subjektivität grenzt“ (Hays zitiert in Horton 2018: ii, 418). Es ist klar, dass Paulus den Glauben als Zugang zur Erlösung sieht, und es ist unser Glaube, der gemeint ist. (Ein ähnliches Argument gilt für Römer 1,16f. Dreimal verwendet Paulus das Wort pistis. Bedeutet es hier Treue? Kaum. Im Kontext, Vers 16, verwendet Paulus das Verb glauben: Das Heil kommt zu allen, die glauben. Deswegen liegt es auf der Hand, dass pistis in Vers 17 Glaube, nicht Treue bedeutet).

[Disclaimer: Ich mag Richard Hays, und sein Buch The Moral Vision of the New Testament hat mir gefallen. Das Zitat ist jedoch einfach zu gut, um es hier nicht zu missbrauchen.]

Pistis und Pisteuo

Die oben aufgeführten Verse zeigen keine zwingenden Gründe, sich eher für Treue als für Glauben zu entscheiden. Im Gegensatz dazu gibt es gute Gründe, Glauben zu übersetzen. Ja, pistis kann Treue bedeuten. Aber wenn Paulus von Erlösung und Rechtfertigung spricht, verwendet er nebst dem Substantiv pistis auch das Verb pisteuo (ich glaube). Er wechselt frei zwischen Substantiv und Verb hin und her (wie z.B. in Römer 4). Und das Verb hat niemals die Bedeutung treu sein. Dafür verwendet die griechische Sprache anderer Wörter. Pisteuo bedeutet immer ich glaube.

Es ist also klar, dass Paulus von uns erwartet, dass wir glauben, und weist damit unserem Glauben an Christus eine Rolle zu. Dass er in solchen Zusammenhängen jemals beabsichtigt hat, von der „Treue Christi“ zu reden, indem er ein sehr ähnliches Vokabular verwendet, ist jedoch keineswegs klar.

Der Herausgeber des New International Dictionary of New Testament Theology and Exegesis, Moisés Silva, schreibt dazu:

Was die Debatte als Ganzes betrifft, so glaube ich, naiverweise vielleicht, dass die Beweise gar nicht so zweideutig sind – oder genauer gesagt, dass die Zweideutigkeiten in den Daten durch die vielen eindeutigen Aussagen des Paulus klar aufgelöst werden. Hätte der Apostel mit Pistis Christou (was ohne Kontext in der Tat alles Mögliche bedeuten kann) entweder „den Glauben Christi“ oder „die Treue Christi“ gemeint, wäre es für ihn super einfach gewesen, diesen Punkt unbestreitbar klarzustellen. Unter verschiedenen Möglichkeiten hätte er z.B. – in denselben Kontext – eine oder zwei Arten angeben können, wie Jesus glaubte und wie diese Glaubenshandlungen für die vorliegende Angelegenheit relevant waren. Oder er hätte uns – wiederum in demselben Kontext – sagen können, dass seine Botschaft von dikaiosynē („Gerechtigkeit, Rechtfertigung“) wahr ist, weil Christos pistos estin („Christus ist treu“). Was hätte einfacher sein können? Und in Anbetracht der theologischen Bedeutung dieser Frage sollte man meinen, dass er sich um eine Klärung der Dinge besonders bemüht haben könnte.

Stattdessen hatte Paulus, wenn man einigen Gelehrten glauben darf, nicht genug Verstand, um zu erkennen, dass der Ausdruck pistis Christou zweideutig ist. Und zu allem Überfluss führte er seine Leser unwissentlich in die Irre, indem er das Verb pisteuō mit Christos als direktem Objekt immer wieder an denselben Stellen verwendete, an denen der zweideutige Ausdruck vorkommt! Seine Stümperei erwies sich als spektakulärer Erfolg, denn im Laufe von fast zwei Jahrtausenden verstand praktisch jeder Leser – einschließlich der Gelehrten der Antike, für die Griechisch ihre Muttersprache war –, dass der Ausdruck „Glaube an Christus“ bedeutet, und gab keinen Hinweis darauf, dass er etwas anderes bedeuten könnte. (Silva 2010: 311; mehr dazu im Artikel über pisteuo in Band 3 des New International Dictionary of New Testament Theology and Exegesis von Silva, 2014, insbesondere Seite 769)

Ich bleibe daher bei der Rechtfertigung durch den Glauben – an Christus.

Warum ist das wichtig?

Man fragt sich, warum so viel Mühe in die Neudefinition eines Ausdrucks gesteckt wird, der relativ selten vorkommt. Michael Horton (2018: ii, 444f) vermutet, dass das eigentliche Ziel eine Neudefinition der Rechtfertigung durch den Glauben ist. Der „Glaube Christi“ ist lediglich der Hebel, um einen bedeutenderen Glaubenssatz zu bewegen.

An die Stelle des Glaubens an Christus tritt die Teilhabe an Christus (da wir durch seine Treue, nicht durch unseren Glauben gerettet werden) und die Zugehörigkeit zum Gottesvolk. Auf dieser Grundlage definiert die neue Perspektive auf Paulus, vertreten durch Personen wie N. T. Wright, die Rechtfertigung neu als eine Erklärung Gottes, dass jemand ein Mitglied der Bundesgemeinschaft ist.

Dies steht im Widerspruch zu eindeutigen Beweisen dafür, dass der Begriff rechtfertigen im Griechischen einen rechtlichen oder zumindest formalen Sinn hat. Er bezeichnet eine Erklärung, dass jemand gerecht oder im Recht ist. Das ist etwas anderes als Zugehörigkeit zum Volk Gottes. Letzteres ist ebenfalls wichtig. Es ist das, was die Rechtfertigung möglich macht. Doch obwohl Rechtfertigung und Einbeziehung eng miteinander verbunden sind, sind sie nicht das gleiche. Logischerweise ist Rechtfertigung oder Gerechtigkeit eine Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft Gottes: Nur wer gerecht ist, kann in der heiligen Gegenwart Gottes stehen (Ps. 15 und 24).

Natürlich müssen wir uns dem Volk Gottes anschließen. Aber das ist nicht möglich, ohne zuvor gerechtfertigt zu werden – was durch den Glauben an Christus geschieht.

Der Glaube aber ist kein Werk, sondern der Lehrmeister und das Leben der Werke. Denn wer ist irgendwie so unsinnig, daß er eine empfangene Verheißung oder ein geschenktes Vermächtnis ein gutes Werk nennt, das er seinem Erblasser antut, dadurch daß ers annimmt? Wo ist der Erbe, der sich einbildet, seinem Vater, der ihm etwas vermacht, etwas Gutes zu tun, dadurch daß er die Testamentsurkunde mit der Erbschaft annimmt? Wie können wir also so verwegen sein, daß wir um das göttliche Vermächtnis zu empfangen, so kommen, als wollten wir Gott damit ein gutes Werk tun?

Luther, Martin. Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche. Kindle Edition. Loc. 362-6

Nochmals Glaube als Treue

Es ist bereits ein langer Text. Ich möchte jedoch noch auf eine ganz andere Art und Weise, wie der Glaube neu definiert wird, eingehen (ich fasse mich kurz). Matthew Bates argumentiert in Salvation by Allegiance Alone: Rethinking Faith, Works, and the Gospel of Jesus the King (2017), dass der griechische Begriff pistis als Loyalität und Treuepflicht verstanden werden sollte. Wie der Titel seines Buches deutlich macht, glaubt er, dass wir durch Loyalität zu Jesus dem König gerettet werden.

Dies steht natürlich im Einklang mit der Tatsache, dass pistis tatsächlich Treue bedeuten kann. Im Evangelium, so Bates, geht es nicht nur um die Vergebung der Sünden, sondern auch um Jesus als Herrn und König. Diesem König schulden wir Treue, Hingabe und Loyalität. Schließlich, so Bates, bedurfte ein Geschenk in der Zeit des Neuen Testaments immer einer Gegenleistung; dies wurde kulturell erwartet. Gott verlangt ebenfalls ein Gegengeschenk von uns – so wörtlich im Vorwort zu seinem Buch. Dieses Gegengeschenk ist gelebte Loyalität, die die Grundlage für unsere „endgültige Errettung“ (ein Ausdruck, der sich im Buch wiederholt) sein wird.

Bates (2017: 37f, Anm. 16) definiert auch das Verb pisteuo (ich glaube) neu: „pistis geben“ oder „Gefolgschaft leisten“. Das, obwohl das Verb, wie oben argumentiert, einen engeren Bedeutungsbereich als das Substantiv hat und daher keine solche Bedeutung hergibt.

Die Wortbedeutung ist nicht das einzige Problem. Wohin führt uns diese Neudefinition? Sie führt zu einer gewaltigen Veränderung. Zu glauben heißt schlichtweg, etwas anzunehmen. Der Glaube zählt nicht als Werk, denn für die bloße Annahme eines Geschenks kann kein Verdienst oder Lohn gefordert werden. Die Aufmerksamkeit gilt dem, was – oder dem, der – geglaubt wird, nicht dem, der glaubt.

Aber Loyalität ist anders. Es geht um denjenigen, der Loyalität zeigt oder Gefolgschaft leistet. Es fordert Anstrengung. Unter normalen Umständen kann zumindest ein gewisses Verdienst durch Loyalität beansprucht werden: Wir können uns unserer Loyalität rühmen, während es sinnlos wäre, sich damit zu brüsten, ein Geschenk angenommen zu haben. Loyalität ist ein Werk. Nach Bates’ Ansicht werden wir nicht durch Werke (Plural) des Gesetzes gerechtfertigt, sondern durch eine einzige Art von Werk, nämlich Loyalität.

Möchte jemand ernsthaft seine Rechtfertigung von seiner Loyalität abhängig machen? Unsere Loyalität wird nicht reichen, um uns zu retten.

Ja, wir schulden Christus Loyalität. Aber wir sind zu guten Werken, auch zur Loyalität, nicht fähig, solange wir nicht gerettet und erneuert sind. Gute Werke, einschließlich der Treue zu Christus als Herrn, sind die Frucht der Rechtfertigung, nicht ihre Grundlage.

„Durch Loyalität gerettet“ veranschaulicht, wie wichtig es ist, sich um solche Details zu streiten. Es steht viel mehr auf dem Spiel als subjektiver oder objektiver Genitiv, Glaube oder Treue. Wenn man es schlimm genug falsch versteht, findet die Gemeinde sich wieder in einer weiteren babylonischen Gefangenschaft der Kirche (diese Lutherschrift ist immer noch lesenswert).

Luther hätte bestimmt einiges über „gerettet durch Loyalität allein“ zu sagen gehabt.

Bildnachweis

Ricky Turner. 2017 <https://unsplash.com/photos/5_fwgw-2JEE> CC0

Goh Rhy Yan. 2017 <https://unsplash.com/photos/7erinyJlw0Y> CC0

Literaturangaben

Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. 1999. Revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)

Bates, Matthew W. 2017. Salvation by Allegiance Alone: Rethinking Faith, Works, and the Gospel of Jesus the King (Grand Rapids, MI: Baker Academic)

Horton, Michael Scott. 2018. Justification, New Studies in Dogmatics, 2 Bände (Grand Rapids, MI: Zondervan)

Keating, Corey. 2004. ‘Common Uses of Genitive Case’, Version 2.1 <https://www.ntgreek.org/pdf/genitive_case.pdf> [abgerufen 4. Juni 2020]

Silva, Moisés. 2010. ‘Review of The Faith of Jesus Christ: Exegetical, Biblical, and Theological Studies: The Pistis Christou Debate Hrsg. Michael F. Bird und Preston M. Sprinkle’, Themelios, 35, 309-311

——— (Hrsg.). 2014. New International Dictionary of New Testament Theology and Exegesis, 5 Bände (Grand Rapids, MI: Zondervan)

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