Toledot in 1. Mose – Was bedeutet das und warum ist das wichtig?

Um die Struktur eines Buches zu definieren, gibt es oft mehr als nur eine Option. Manchmal eröffnet eine andere Betrachtungsweise neue Einsichten für die Bedeutung und Botschaft eines Textes. Dies trifft sicherlich auf das Buch 1. Mose zu.

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Eine weit verbreitete und konventionelle Struktur teilt das erste Buch Mose in zwei Teile, wobei die genaue Stelle der Unterteilung strittig ist. Ist es 1. Mose 12,1, wo Gott zum ersten Mal zu Abraham spricht, oder ist es 1. Mose 11,27, wo Abraham zum ersten Mal erwähnt wird und wo es ein Strukturelement gibt, das eine neue Texteinheit andeutet? Ich bevorzuge die zweite Option, aus Gründen, die im Folgenden deutlich werden.

Jede Hälfte des Buches gliedert sich in vier weitere Teile. In 1. Mose 1-11 gibt es vier Ereignisse: Schöpfung, Sündenfall, Flut und Turmbau. In 1. Mose 12-50 lesen wir über vier Personen: Abraham, Isaak, Jakob und Josef. So weit, so gut; ich habe nichts gegen diese kombinierte thematische und biographische Struktur. Aber im Folgenden werde ich über eine andere Struktur schreiben, die auf einem merkwürdigen hebräischen Wort basiert: toledot.

[Genau genommen ist die Transliteration tôlēdôt, was uns zeigt, dass sowohl o als auch e lang sind: too lee doot.]

Toledot: Was bedeutet dieses Wort?

Toledot ist ein Substantiv, das immer im Plural verwendet wird. Es ist von einem Verb abgeleitet, das bedeutet ein Kind zu gebären oder zu zeugen. Die Lutherbibel übersetzt oft mit Geschlecht. Die English Standard Version übersetzt 34 der 39 Vorkommen im AT mit Generationen („the generations of …“). Dies ist etwas irreführend; wir sollten nicht an Gen X oder Millennials denken. Gemeint sind vielmehr die Nachkommen einer Person. In 1. Mose 2,4 wird toledot für die Himmel und die Erde verwendet (in der Lutherbibel leider nicht erkennbar). Diese können keine Nachkommen erzeugen, also scheint die Bedeutung dort so etwas zu sein wie das, was hervorgebracht wurde.

Interessanterweise verwendet die Septuaginta, die griechische Übersetzung des AT aus der Antike, das Wort genesis. Dieses Wort bedeutet Ursprung. Es hat 1. Mose seinen anderen Namen gegeben, Genesis, obwohl die Übersetzung nicht stimmt. Toledot bezieht sich nicht auf den Ursprung von X, sondern auf das, was X hervorgebracht hat.

Toledot wird vor allem verwendet, um ein Geschlechtsregister einzuleiten: „Die Toledot der Person X“. Drei- oder viermal in 1. Mose folgt allerdings eine Erzählung statt eines Geschlechtsregisters: die toledot der Himmel und der Erde (1. Mo. 2,4), die toledot Noahs (1. Mo. 6,9; allerdings werden in 6,10 immerhin seine Söhne aufgelistet), die des Isaak (1. Mo. 25,19) und die toledot Jakobs (1. Mo. 37,2). In diesen Fällen sollten wir toledot breiter verstehen als Nachkommen. Es geht um das, was die Person hervorbrachte.

Was macht dieses Wort wichtig? Wie hilft es uns beim Verständnis dieses Buches?

Toledot als wichtiges Strukturelement

Der Begriff toledot wird in 1. Mose konsequent als Strukturelement verwendet, das einen neuen Abschnitt einleitet. Insgesamt kommt der Begriff 11 Mal vor, wobei zweimal derselbe Abschnitt markiert wird (Gen 36,1 und 36,9). Mit anderen Worten, es gibt 10 Abschnitte, fünf in jedem Hauptteil des Buches:

1. Mose 2,4 (Himmel und Erde)1, Mose 11,27 (Terach)
1. Mose 5,1 (Adam1, Mose 25,12 (Ismael)
1. Mose 6,9 (Noah)1, Mose 25,19 (Isaak)
1. Mose 10,1 (Söhne Noahs)1, Mose 36,1, 9 (Esau)
1. Mose 11,10 (Sem)1. Mose 37,2 (Jakob)

Anmerkungen

Ein paar Anmerkungen zu diesem Teil. Erstens erklärt dies, warum ich das Buch lieber bei 1. Mose 11,27 als bei 1. Mose 12,1 unterteile, wo es überhaupt kein Strukturelement als Markierung gibt.

Zweitens, manche Ausleger sind der Meinung, dass 1. Mose 2,4 der Abschluss von 1. Mose 1, dem ersten Schöpfungsbericht, ist und nicht die Einleitung oder der Titel von Kapitel 2. In mehreren Fällen kann der Ausdruck sich allerdings nur auf das, was folgt, beziehen, nicht auf das Vorhergehende (z. B. die toledot von Ismael oder Esau, die sich auf ihr Geschlechtsregister oder ihre Nachkommen beziehen); der Ausdruck dient nicht als Abschluss. Und es macht durchaus Sinn, dass 1. Mose 2,4 den Bericht darüber einleitet, was der Himmel und die Erde hervorgebracht haben, parallel zu den Nachkommen, die von den Hauptpersonen im Buch hervorgebracht wurden. 1. Mose 2,4 ist eine Einleitung und passt zu Kapitel 2.

Drittens, die Markierung leitet in der ersten Hälfte von Genesis drei Abschnitte ein, die eine Erzählung beinhalten: Schöpfung und Sündenfall (1. Mose 2,4), die Sintflut (1. Mose 6,9) und die Völkertafel zusammen mit dem Turmbau zu Babel (1. Mose 10,1). Die verbleibenden zwei Abschnitte, die durch den Begriff eingeleitet werden, stellen eine Verbindung dar: von Adam zu Noah und seinen Söhnen in Genesis 5, und von Sem zu Terach in Genesis 11,10ff.

Toledot und die Struktur in 1. Mose 11,27ff

In der zweiten Hälfte von Genesis ist das Muster anders. Hier haben wir drei Hauptabschnitte, unterbrochen von zwei wesentlich kürzeren Abschnitten, die die toledot, hier in der Bedeutung Nachkommenschaft, von Ismael und Esau auflisten. Sie verstärken so die Abgrenzung der Hauptabschnitte.

Wichtig zu beachten:

  • „Die toledot von Terach“ handelt fast ausschließlich von Abraham, nicht von Terach.
  • „Die toledot von Isaak“ handelt hauptsächlich von Jakob, nicht von Isaak.
  • „Die toledot von Jakob“ handelt mehr von Jakobs Söhnen als von Jakob, mit einer besonderen Betonung auf Joseph.

Wir haben in dieser Gliederung drei Hauptabschnitte anstelle von vier, wie in der konventionellen Aufteilung: Abraham, Jakob und Josef. Die Geschichte von Abraham geht in die von Isaak über. Isaak erhält wesentlich weniger Raum als die anderen Erzväter, und vieles wiederholt Ereignisse im Leben seines Vaters Abraham.

Genesis 37ff, der dritte Abschnitt, wird oft als die Joseferzählung bezeichnet, was aber nicht ganz stimmt. Jakob ist immer noch da und spielt fast bis zum Ende des Buches eine wichtige Rolle. Und obwohl Josef im Mittelpunkt steht, spielen auch andere Söhne Jakobs eine Rolle, vor allem Juda (1. Mo. 38 und 44).

Man könnte also argumentieren, dass 1. Mose 12-50 eigentlich nur zwei Haupterzählungen enthält: die Geschichte Abrahams (mit Isaak) und die von Jakob und seinen Söhnen.

Aber was ist dann der Sinn? Tatsächlich vermittelt jede Haupterzählung eine ganz eigene Botschaft.

Was Gott tut: Grundlage (1. Mo. 12-24)

Abraham zeigt keine große Entwicklung, ebenso wenig wie Isaak, dessen Geschichte weitgehend aus Parallelen zum Leben seines Vaters besteht. In vielerlei Hinsicht ist Abraham am Ende seines Lebens derselbe Mensch, der er am Anfang war. Sicher, er hat Gottes Stimme geglaubt und gehorcht, und er hat den Test der Zeit und des Gehorsams bestanden.

Aber im Großen und Ganzen geht es in der Geschichte mehr um Gottes Zusage als um Abraham. Es geht um die Grundlagen der Verheißung und des Bundes. Der Rest der Bibel geht aus diesem Anfang hervor und ist ohne diese Grundlagen undenkbar.

Was Gott tut: Veränderung (1. Mo. 25-50)

Von 1. Mose 25 an gibt es nichts Neues zum Bund. Gott ist weiterhin die Hauptfigur. Aber Jakob und seine Söhne durchlaufen eine wesentliche Entwicklung. Am Anfang ist Jakob kein netter Mensch – ganz anders als der sympathische Abraham. Überleg dir: Wer ist deine Lieblingsfigur in 1. Mose? Mit wem identifizierst du dich am meisten? Deine Antwort ist vielleicht Abraham. Aber bestimmt nicht Jakob, habe ich recht?

Schon bei der Geburt zeigt Jakob seinen Charakter. Er wird geboren, indem er Esau an der Ferse hält, was ihm seinen Namen gibt (1. Mose 25,26). Jakob bedeutet der, der an der Ferse packt, ist im Hebräischen aber auch eine Redewendung, die betrügen bedeutet. Nomen est omen.

Die Geschichte ist bekannt. Jakob bringt Esau dazu, ihm sein Erstgeburtsrecht zu verkaufen. Er betrügt seinen Vater, um den Segen zu erhalten. Dennoch, als Jakob um sein Leben flieht, verpflichtet sich Gott gegenüber Jakob mit einem starken Versprechen (1. Mose 28,13-15). Jakob macht daraus ein Geschäft (er kann wahrscheinlich nicht anders) und kehrt die Verheißung in Bedingungen um: Wenn Gott diese Dinge tun wird, wird er Jakobs Gott sein, und Jakob wird an diesen Ort, Bethel, zurückkehren, um Gott anzubeten (eine freie Wiedergabe von 1. Mose 28,20-22).

Jakob geht weiter nach Aram und fällt in die Hände eines noch größeren Intriganten als er selbst: seines Onkels Laban. Nach vielen Jahren versucht er zu fliehen, was ihm nur gelingt, weil Gott Laban verbietet, Jakob etwas anzutun.

Dann kommt der schwierigste Teil. Er muss sich nun Esau stellen. Schließlich ist Jakob am Ende seiner Möglichkeiten. Er versucht es trotzdem. Mehrere große Geschenke werden auf den Weg gebracht, um Esau zu überzeugen – der, wie sich herausstellt, gar keine Überzeugung braucht; Esau ist großzügiger als Jakob. In der Nacht, bevor sich die Brüder treffen, ringt Jakob mit Gott.

Diese Nacht am Jabbok ist für Jakob der entscheidende Durchbruch in eine neue Identität. Obwohl der alte Jakob noch lebt und sich weiterhin zeigen wird, ist er nun auch Israel.

Dann kauft Jakob ein Stück Land in der Nähe Sichems (1. Mo. 33,19). Offenbar hat er die Absicht, sich dort niederzulassen. Er baut sogar einen Altar mit einem frommen Namen (1. Mo. 33,20). So war das aber nicht ausgemacht! Was ist mit Bethel?

Das kann nicht gut gehen, und tatsächlich gibt es Ärger. Jakobs Tochter Dinah wird vergewaltigt. Vielleicht kennst du die heftige und unverhältnismäßige Reaktion von Levi und Simeon: Sie ermorden die gesamte männliche Bevölkerung Sichems (1. Mo. 34,25-29). Was oft übersehen wird, ist Jakobs Verhalten. Was tut er? Nichts.

Man fragt sich… Dinah ist die Tochter von Lea, der ungeliebten Ehefrau. Macht sie das für Jakob weniger wichtig? Simeon und Levi sind auch Leas Kinder; Dinah ist ihre Vollschwester. Provoziert Jakobs Passivität die zwei Brüder noch mehr, sich zu rächen?

Das Einzige, was Jakob tut, im Nachhinein, ist, sich über das Vorgehen von Simeon und Levi zu beschweren. Aber nicht, weil das, was sie getan haben, ungerecht ist. Er fürchtet die Reaktion der benachbarten Kanaaniter (1. Mo. 34,30); er ist um seine eigene Sicherheit und sein Wohlergehen besorgt.

Wieder ist Jakob in einer Zwangslage. Und wieder gibt dies Gott die Möglichkeit, auf die er gewartet hat. „Und Gott sprach zu Jakob: ‚Mach dich auf und zieh nach Bethel und wohne daselbst und errichte dort einen Altar dem Gott, der dir erschien, als du flohst vor deinem Bruder Esau‘“ (1. Mo. 35,1; Hervorhebung hinzugefügt). Die implizite Zurechtweisung ist subtil und bestimmt zugleich. Jakob hatte sich in der Nähe von Sichem niedergelassen, um dort zu wohnen. Er hatte dort einen Altar gebaut, nicht in Bethel. Und Gott sagt: „Nein, nicht dort. Ich habe meine Zusage eingehalten; jetzt bist du dran!“

Es gibt einen Grund für Jakobs Zögern. Um nach Bethel zu gehen, muss er die Götzen, die in seiner Familie vorhanden sind, entfernen (1. Mo. 35,2). Er tut dies jetzt und erfüllt sein Gelübde – ein veränderter Mann.

An diesem Punkt der Geschichte verschiebt sich das Zentrum der Aufmerksamkeit auf seine Söhne. Sie machen keinen vielversprechenden Eindruck. Ruben schläft mit Bilha, Jakobs Nebenfrau (1. Mo. 35,22). Josef entpuppt sich als der jüngere Bruder, den man wirklich nicht braucht: eine echte Nervensäge. Seine Brüder sind bereit, ihn zu töten, aber in letzter Minute überredet Juda sie, ihn als Sklaven zu verkaufen, weil das Geld einbringt.

Jakob, der Betrüger, wird wieder betrogen; er deutet das Blut einer Ziege als das Blut seines Sohnes. Er lehnt es ab, sich trösten zu lassen, sondern beharrt für den Rest seines Lebens auf Trauer (eine Entscheidung; 1. Mo. 37,35). Juda zieht unterdessen weg und lebt unter Kanaanitern; die Konsequenzen lesen wir in 1. Mose 38 – keine schöne Geschichte.

Jakob löst übrigens die ganze Rivalität unter seinen Söhnen aus, indem er zuerst Joseph und dann Benjamin klar und unklug bevorzugt.

Aber Gott ist noch nicht fertig. Obwohl der Prozess langwierig ist und Josef einen hohen Preis bezahlt, geht er als Retter seiner Familie hervor. Und als er seine Brüder auf die Probe stellt, zeigt sich, dass auch sie sich verändert haben. Sie überlassen Benjamin nicht sich selbst. Besonders Juda fällt diesmal positiv auf (1. Mo. 43f).

Was wir in 1. Mose 25-50 (in etwa die Hälfte des Buches!) zu sehen bekommen, ist Gottes Beharrlichkeit im Umgang mit seinen fehlbaren und unvollkommenen Auserwählten; er gibt nicht auf.

Jakob ist am Ende seines Lebens nicht mehr derselbe Mensch wie am Anfang. Dasselbe lässt sich von Josef und Juda sagen. Ich vermute, dass es auch für die übrigen Söhne zutrifft.

Sie sind gewachsen. Sie sind bessere Menschen geworden. Am Ende sind sie Gott ähnlicher und deswegen wahrhaftig Gottes Volk und seine Vertreter in der Welt.

So wirkt Gott, mit Beharrlichkeit. Wenn nötig, wartet er lange Zeit, bis wir bereit sind, ihn zu hören; er gibt nicht auf.

Und wenn wir ehrlich sind: Wir brauchen diese Veränderung und Gottes Beharrlichkeit genauso wie Jakob, Josef und Juda.

Bildnachweis

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Literaturangaben

Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. 1999. Revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)

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