Die Botschaft der Propheten in zwei Wörtern

Geht das? Ich glaube, ja. Es handelt sich um zwei kurze hebräische Wörter, wovon ihr eins bestimmt kennt. Wahrscheinlich braucht es ein zusätzliches Konzept. Und eventuell noch ein drittes Wort. Aber dann haben wir den Kern der Sache erfasst.

Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST und als AUDIO PODCAST

Solche Überlegungen sind sinnvoll, denn viele Bibelleser verlieren im Wald der biblischen Prophetien schnell Weg und Überblick. Deswegen stellt sich die Frage: Wie helfen wir Bibellesern, die Propheten mit mehr Verständnis zu lesen?

Vor kurzem wurde ich angefragt, in gut einer Stunde eine Einführung in die prophetischen Bücher zu geben. Ich habe das versucht, indem ich drei Aspekte aufgegriffen habe: die Rolle der Propheten, ihre Zeit und ihre Botschaft (wie gesagt, zwei Wörter und ein Konzept).

Ich gebe meinen Entwurf hier weiter für den Fall, dass du irgendwann ähnliches tun willst.

Die Rolle der Propheten

Oft gehe ich beim Thema Propheten folgendermaßen vor. Ich frage zunächst, was die Anwesenden mit der Idee Prophet verbinden; was kommt ihnen in den Sinn? Wenn ich ausreichend Antworten bekommen habe, stellt sich die nächste Frage: Was von alledem gehört zum Wesentlichen?

Meistens lässt sich gut herausarbeiten, dass die Propheten Sprecher oder Boten Gottes waren; sie vermittelten seine Worte und Anliegen.

Dann folgen zwei weitere Fragen. Erstens: Wer war der erste Prophet in Israel? Die Antwort lautet Mose. In 5. Mose 18:15-18 bezeichnet Mose sich selbst als Prophet. Und in dieser Bibelstelle kündigt er weitere Propheten an, die Gott „erwecken“ wird.

Das führt zur zweiten Frage: Wie viele Propheten gab es dann wohl (sagen wir, zwischen Mose und dem Exil)? Die Antwort fällt vielen schwer. Es sind mehr als die meisten denken. Es muss mindestens mehrere Tausend gegeben haben.

Immerhin reden wir von 700 oder 800 Jahren, je nach Datierung des Exodus. Es gab während dieser Zeit immer Propheten. Besonders in den Büchern Könige und Chronik werden regelmäßig Propheten erwähnt, von denen wir meist wenig wissen. In einigen Schriftstellen zeigt sich, dass es zum betreffenden Zeitpunkt größere Gruppen von Propheten gab.

In 1. Samuel 10,5, 10 und 1. Samuel 19:18-24 begegnet Saul einer Gruppe von Propheten und wird vom Geist Gottes überwältigt. In 1. Könige 18 wird berichtet, dass Königin Isebel die Propheten des Herrn umbringen lässt, dass aber ein gewisser Obadja, Hofmeister des Königs, 100 dieser Propheten versteckt hat und versorgt. In den Erzählungen um Elia und Elisa ist immer wieder die Rede von – so wörtlich – den Söhnen der Propheten, die zum Teil in Gemeinschaft leben. Manchmal versteht man diese Prophetensöhne als Prophetenjünger oder gar als Prophetenschule. Es ist allerdings wahrscheinlicher, dass es sich um Mitglieder der Prophetengemeinschaft handelt (vergleiche Söhne Israels oder Töchter Jerusalems). Das würde heißen, dass im Nordreich zumindest zur Zeit Elias und Elisas hunderte von Propheten gleichzeitig aktiv waren. Deswegen muss es, in acht Jahrhunderten, Tausende gegeben haben.

Anders gesagt, die Propheten bildeten eine Bewegung – eine, die für Israel absolut wesentlich war. Die Propheten waren dem Gott Israels kompromisslos hingegeben. Sie hielten den Glauben Israels am Leben. Erneuerung kam oft durch sie. Es ist schwer vorstellbar, wie Israels Glaube das Exil ohne sie und ihre Worte überlebt hätte.

Jetzt folgt noch eine weitere Frage: Wie viele Prophetenbücher gibt es im AT? Es sind nur 16. Diese Bücher sind nur die Spitze des Eisbergs. Von den allermeisten Propheten sind keine Worte überliefert. Erst in der Endphase, ab etwa 150 Jahre vor dem Exil, sind die Worte einzelner Propheten gesammelt und schriftlich überliefert worden. Wieso?

Die Beziehung zwischen Israel und Gott steckte in einer tiefen Krise. Es drohte der Zusammenbruch. Zunehmend wurde klar, dass harte Konsequenzen folgen würden. Aus diesem Grund verschob sich die Thematik in Richtung Warnung und Konfrontation. Und, mit Blick auf das bevorstehende Exil, war es klug, die Botschaft schriftlich festzuhalten, damit sie nicht verloren gehen würde.

Die Propheten waren nicht nur Gottes Sprachrohr. Zu jener Zeit kam eine zweite Rolle hinzu. Sie traten zunehmend in der Rolle des Anklägers auf. Es gab ein Gerichtsverfahren. Der Bund, ein Vertrag zwischen Gott und Volk, wurde nicht eingehalten. Vertragsbruch – und die Propheten erhoben Anklage. Das erklärt, weshalb z.B. in Jesaja 1,2 und in Micha 6,1-5 Himmel und Erde, Hügel und Berge als Zeugen aufgerufen werden: Sie sollten den Bundesbruch bestätigen.

Die Zeit der Propheten

Die Rolle des Propheten ist somit die des Sprechers und die des Staatsanwalts. Die resultierende Anklageschrift und das Urteil lassen sich nur im Hintergrund ihrer Zeit und der Ereignisse damals verstehen. Mehrere Prophetenbücher sind in ihrem ersten Vers historisch verankert; so zum Beispiel Jesaja 1,1. Was die Propheten sagen und schreiben, ist geschichtlich geprägt und bedingt.

Dieser zweite Abschnitt fasst sich kurz; ich will hier nicht versuchen, die Geschichte des AT darzulegen. Ein einfacher Zeitstrahl, wie hier abgebildet, kann helfen, einen Überblick zu bekommen.

Die Beziehungskrise führte in eine doppelte Existenzkrise (die Pfeile im Bild). Für Jesaja und seine Zeitgenossen (Micha, Hosea, Amos, Jona) waren die Assyrer Auslöser dieser Krise. Jesaja erlebte das Ende Samariens und des Nordreiches (722 v. Chr.) sowie die Invasion Judas durch Sanherib (701 v. Chr.). Für Jeremia, Hesekiel, Habakuk und Zefanja waren es die Babylonier; 586 v. Chr. zerstörten sie Jerusalem und den Tempel.

Wie im Buch Jesaja vorhergesagt (Jes. 40-48), beendete der Perserkönig Kyros 539 v. Chr. die Weltherrschaft Babylons. Er ordnete den Wiederaufbau Jerusalems und des Tempels an. Es folgte für Israel die Zeit der Rückkehr und des Wiederaufbaus, begleitet von den Propheten Sacharja, Haggai und Maleachi. Aber auch Jesaja und Daniel sprachen von dieser Zeit und weit darüber hinaus.

Die Botschaft der Propheten

Das bringt uns zur Botschaft der Propheten. Sie lässt sich in zwei hebräischen Wörtern auf den Punkt bringen:

1. Das erste Wort ist schuv, ein einfaches und im AT viel verwendetes Verb. Im Kontext der Propheten wird es oft mit Buße tun übersetzt, was aber ein unklarer und abstrakter Begriff ist. Was heißt das, Buße tun? Muss etwas gezahlt oder geleistet werden, damit Vergebung gewährt wird? Nein. Die bessere Übersetzung ist umkehren – ein konkretes und bildhaftes Wort. Die Handlung hat zwei Seiten: sich abwenden (von den Götzen und von Unrecht), hin zu Gott und Gerechtigkeit. Umkehr ist das Ziel der Propheten.

2. Das zweite Wort ist Schalom. Es fasst zusammen, wie Gottes Zukunft aussieht: Wiederherstellung, Frieden, Heilung, Gerechtigkeit usw. In Jesaja nimmt das Thema fast die Hälfte des Buches ein. Schalom ist das Ziel Gottes und bildet die Motivation für Umkehr.

3. Vielleicht braucht es ein drittes Wort: Gerechtigkeit. Schalom ist Gottes Beitrag; Gerechtigkeit ist, was Gott von Israel erwartet (so 5. Mo. 16,20; vergl. Jes. 5,7).

4. Darüber hinaus braucht es noch eine weitere Idee, die bei den Propheten immer wieder auftaucht: den Tag des Herrn (siehe Bild). Er steht für das Eingreifen Gottes in der Geschichte. Der Tag hat zwei Seiten. Es geht um Gericht aber auch um Wiederherstellung: die kommende Heilszeit, die durch den Tag des Herrn ermöglicht wird. Die Teilnahmebedingung ist das erstgenannte Wort: schuv.

Jetzt wird es etwas komplizierter. Denn das Bild ist einfach, die Erfüllung der Prophetie aber nicht. Es gibt nicht nur einen Tag des Herrn. Die Heuschreckenplage in Joel (Datum unbekannt), die Zerstörung Jerusalems (589 v. Chr.) und das Ende des babylonischen Reiches (539 v. Chr.) werden alle als Tage des Herrn bezeichnet.

Zum Teil ist der Tag des Herrn für die Propheten also ein Teil der nahen Zukunft, und liegt für uns in der Vergangenheit. Zum Teil geht es aber um die entfernte Zukunft, um das Ende, und um die neue Weltordnung, die Gott dann aufrichten wird. Kompliziert wird es vor allem auch deswegen, weil die Propheten diese beiden, die nahe und die ferne Zukunft, das historische und das endgeschichtliche, oft vermischen. Wir nennen das Zeitverkürzung. Es ist, wie wenn sie die Zeit-Dimension nicht wahrnehmen oder schlichtweg ignorieren: Alles scheint sich in kürzester Zeit zu ereignen.

Ein gutes Beispiel dieser Zeitverkürzung finden wir in der zweiten Hälfte Jesajas. Hier lesen wir von Kyros und vom Ende des Exils, mit Rückkehr und Wiederaufbau des Tempels. Es gibt dort aber auch den leidenden Gottesknecht (Jes. 53), ein prophetisches Bild, das in Jesus seine Erfüllung findet. Darüber hinaus redet Jesaja über alles Weitere, das Gott vorhat: von Herrlichkeit und Schalom, sogar von neuen Himmeln und einer neuen Erde. Man würde nicht ahnen, dass zwischen Kyros und Gottesknecht mehr als 500 Jahre liegen. Zwischen Gottesknecht und Vollendung verlaufen mindestens weitere 2000 Jahre.

Jetzt wird es noch ein bisschen komplizierter, denn wir leben in der Zeit der Erfüllung. Die Zukunft ist nicht mehr nur Zukunft; sie hat schon angefangen. Jesus sagt nach der Auferstehung zu seinen Jüngern: Friede (Schalom) sei mit euch (Joh. 20,19). Die neue Schöpfung gibt es schon (2. Kor. 5,16; Gal. 6,15). Und die ewige Freude, die der Erlösung folgt, ist ebenfalls nicht nur Zukunft (Jes. 35,10; vergl. Joh. 16,24; 17,23).

Das macht die Botschaft der Propheten relevant für heute. Umkehr, die Hinwendung zu Gott, ist weiterhin gefragt. Sie führt in die zuvor bezeugte Heilszeit und Herrlichkeit, die sich schon jetzt erfahren lassen:

Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, die für euch bestimmt ist, und haben geforscht, auf welche und was für eine Zeit der Geist Christi deutete, der in ihnen war und zuvor bezeugt hat die Leiden, die über Christus kommen sollten, und die Herrlichkeit danach. Ihnen ist offenbart worden, dass sie nicht sich selbst, sondern euch dienen sollten mit dem, was euch nun verkündigt ist durch die, die euch das Evangelium verkündigt haben durch den Heiligen Geist, der vom Himmel gesandt ist, – was auch die Engel begehren zu schauen. (2. Pet. 1,10-12; Betonung hinzugefügt)

Literaturangaben

Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. 1999. Revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)

Attribution

Dimitrisvetsikas1969 <https://pixabay.com/photos/genesis-mosaic-iconography-2435989/> CC0

References

All Bible quotations from: The Holy Bible: English Standard Version. 2001 (Wheaton, IL: Crossway Bibles)

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