Heilig. Das Wort wird in der Bibel oft verwendet. Aber was bedeutet es? Es ist eines der am schwersten zu definierenden biblischen Wörter. Wenn du es mir nicht glaubst, versuche doch einmal, deine eigene Definition zu formulieren (und schreibe diese am besten auf). Dann lies weiter und schau, ob deine Definition Bestand hat! Tatsache ist, in der Bibelwissenschaft wird die genaue Bedeutung des Begriffes weiterhin kontrovers diskutiert.

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Bevor wir beginnen, sollten wir zwei Dinge im Auge behalten. Erstens ist der Begriff wichtig, und zwar nicht nur wegen seiner Häufigkeit. Als Eigenschaft Gottes scheint Heiligkeit eine besondere Stellung einzunehmen, wie die dreifache Anbetungsformel „Heilig, heilig, heilig ist der Herr“ (Jes. 6,3, Offb. 4,8) nahelegt. Ihre Bedeutung zeigt sich auch in der Verwendung als Begründung oder Erklärung: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“ (3. Mo. 19,2; siehe auch 3. Mo. 11,44f, 20,26, 1. Pet. 1,16).

Zweitens kann ein Begriff sehr wohl mit Heiligkeit in Verbindung stehen, ohne heilig zu bedeuten. Zum Beispiel: Gott ist in seiner Heiligkeit furchterregend. Diese beiden Attribute passen gut zusammen, aber sie sind nicht identisch. Heiligkeit kann etwas implizieren oder zu Konsequenzen führen, wie z. B. Absonderung, die trotzdem nicht die Bedeutung des Wortes sind.

Ich werde zunächst einen kurzen Überblick über vorgeschlagene Wortbedeutungen geben, die mir im Laufe der Jahre begegnet sind. Dann werde ich die Bibel erforschen, um herauszufinden, welche Art von Dingen als heilig bezeichnet werden können, und beurteilen, was das für die zuvor aufgelisteten Optionen bedeutet.

Ich werde auch einige Informationen über den Gebrauch des Wortes bei den Völkern um Israel herum einbringen. Und dann werde ich, vorsichtig, meinen Lösungsvorschlag darlegen.

Eine Liste von Optionen

Ich werde die mir bekannten Möglichkeiten hier einfach auflisten. Die letzte Option ist ein relativer Neuling, aber interessant:

  • Getrennt oder abgesondert
  • Übergeordnet oder erhaben
  • Gänzlich anders oder transzendent (und furchterregend!)
  • Rein oder vollkommen
  • Dem göttlichen Kreis oder Bereich zugehörig

Verwendung von heilig im AT und NT

Im AT wird die Bezeichnung heilig verwendet für:

  • Orte
  • Menschen
  • Den Namen Gottes
  • Gegenstände
  • Zeiten (Sabbat)

Im NT wird das Wort am häufigsten für Gott selbst (Heiliger Geist!) und für Menschen verwendet. Außerdem werden Gläubige 60 Mal als Heilige bezeichnet.

Es gibt erstaunlich wenige andere Verwendungen: Engel (Mk. 8,38, Lk. 9,26, Judas 14, Offb. 14,10), die Schrift (Röm. 1,2, 7,12, 2. Pet. 2,21), unsere Berufung (2. Tim. 1:9). In 1. Timotheus 4,4f heißt es, dass alles Geschaffene (es werden ausdrücklich Lebensmittel und die Ehe erwähnt) durch das Wort Gottes und das Gebet geheiligt wird.

Einmal lesen wir von heiligem Verhalten (1. Thes. 2,10), und in 1 Timotheus 2,8 ist von „heiligen Händen“ die Rede, aber in beiden Fällen wird ein anderes Wort verwendet, vielleicht besser mit fromm oder gottesfürchtig übersetzt.

Auffallend ist, dass die Idee „heiliger Ort“ oder „heilige Gegenstände“ im NT fast völlig verschwunden zu sein scheint. Das „Heiligtum“ im Hebräerbrief bezieht sich entweder auf den alten Bund oder befindet sich im Himmel (Heb. 8,2, 9,12, 24f, 10,19), ebenso wie „die heilige Stadt“ in der Offenbarung, das neue Jerusalem (Offb. 21,2, 10, 22,19). Es bleiben nur Matthäus 4,5 und 27,53, wo „die heilige Stadt“ für das irdische Jerusalem verwendet wird (aber vielleicht als geografische Bezeichnung, ohne tieferer Bedeutung). Und es gibt 2. Petrus 1,18: „Wir waren mit ihm auf dem heiligen Berg“ (in Bezug auf die Verklärung Jesu), aber die Heiligkeit ist hier vielleicht eine Funktion des Ereignisses, des Geschehens dort, und nicht eine Eigenschaft des Ortes.

Zu meiner Überraschung habe ich nur eine einzige Handlung gefunden, die als heilig bezeichnet wird. Sie wird im NT nicht weniger als viermal als solche bezeichnet, obwohl sie in den meisten Kirchen nicht praktiziert wird: der heilige Kuss (Röm. 16,16, 1. Kor. 16,20, 2. Kor. 13,12, 1. Thes. 5,26).

Auswertung der Optionen

Was bedeutet das für die Optionen, die ich oben aufgeführt habe? Die erste Option in dieser Übersicht, die Absonderung, ist vielleicht die, die ich am häufigsten gehört habe. Sie passt jedoch nicht. Sie ist ein gutes Beispiel für etwas, das eine Folge der Heiligkeit sein kann, ohne ihre Bedeutung zu sein. Wenn etwas heilig ist, kann das zur Absonderung führen, ja. Aber heilig bedeutet nicht abgesondert.

Schließlich ist Gott heilig. Das ist eine seiner wesentlichen und ewigen Eigenschaften. Gott war schon immer heilig. Aber es macht keinen Sinn, Gott vor der Schöpfung als abgesondert zu betrachten. Abgesondert von was? Es gab nichts, außer Gott – und er war auch damals schon heilig.

Die nächsten beiden Optionen, erhaben und anders, scheinen auch nicht gut zu passen. Wie bereits erwähnt, sollen wir heilig sein, weil Gott heilig ist. Mit dieser Aussage ruft er uns gewiss nicht dazu auf, so erhaben, transzendent, einzigartig oder furchterregend zu sein wie er selbst.

Reinheit und Vollkommenheit, Option 4 auf der Liste, haben etwas mit Heiligkeit zu tun, aber es ist nicht klar, dass diese Begriffe Synonyme sind; sie könnten auch assoziierte Ideen sein. Zur Verteidigung der vierten Option könnte man allerdings Matthäus 5,48 zitieren: „Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ In Anbetracht der Wiederholung und der Verwendung als Begründung für die Morallehre Jesu könnte es sich um eine bewusste Parallele zu 3. Mose 19,2 handeln.

Lassen wir also diese Möglichkeit vorerst offen.

Die letzte Möglichkeit: Heilig bedeutet, dass etwas zur göttlichen Sphäre oder zum göttlichen Kreis gehört. Das passt außerordentlich gut, außer für… Gott selbst! Die Behauptung, dass Gott zum göttlichen Kreis gehört, scheint mir nicht besonders tiefgründig zu sein.

Allerdings ergibt das verwandte Verb „heiligen“ (wörtlich: „heilig machen“) so einen guten Sinn. Die Heiligung macht etwas oder jemanden zu einem Teil des göttlichen Bereichs. Es ist wichtig zu beachten, dass Heiligung eine Richtung oder Bestimmung hat: dem Herrn.

Heilig im Alten Orient

Ich werde mich kurz fassen. Das Lexham Bible Dictionary gibt einen Überblick über die Verwendung und Bedeutung verwandter Begriffe in verschiedenen anderen Sprachen des Alten Orients. Es kommt zu dem Schluss:

Ein breiter Überblick über die Literatur der antiken Welt deutet darauf hin, dass die Menschen des Alten Orients die Sprache der Heiligkeit entwickelt haben, um ihre Zugehörigkeit und Nähe zum göttlichen Bereich auszudrücken. In den Texten des Alten Orients wird der Begriff „Heiligkeit“ im Allgemeinen im Sinne von „Weihe“ verwendet und bezieht sich auf die Hingabe einer Person oder eines Objekts an eine Gottheit. (Lyons 2016)

In diesem Artikel ist auch die Rede von einem „wachsenden Konsens darüber, dass ‚heilig‘ grundsätzlich auf die Zugehörigkeit zur göttlichen Sphäre hinweist“ (ebd.).

Es ist wahrscheinlich, dass dies auch die ursprüngliche und grundlegende Bedeutung des Begriffs im Hebräischen ist.

Ungeteilt

Wie lösen wir nun das Rätsel? Es scheint, dass die „Zugehörigkeit zum göttlichen Bereich“ unser Ausgangspunkt sein muss. Diese Bedeutung passt für so ziemlich alles und jeden bei fast jeder Verwendung des Wortes – außer wenn es um Gott geht.

Im Kontext des Polytheismus macht die Bedeutung „zur göttlichen Sphäre gehörend“ auch dann Sinn, wenn sie auf einen Gott angewendet wird. Jeder Gott gehörte zu diesem Kreis (der Götter). Wenn es jedoch nur einen Gott gibt, wie in Israels Glaube, ist diese Aussage nicht mehr sinnvoll (ein Kreis von einem?). Vielleicht bekam der Begriff in Israel deshalb eine neue Bedeutung, wenn er auf Gott angewendet wurde, eine, die nicht leicht zu bestimmen ist, aber ein tiefes Geheimnis und eine tiefgründige Wahrheit über Gottes Wesen ausdrückt.

Was bedeutet es, dass Gott heilig ist? Hier ist meine beste Vermutung. Es bedeutet, dass er ungeteilt ist, aus einem Stück. Er ist in all seinen Eigenschaften und in allem, was er ist, ungeteilt. Er ist immer völlig im Einklang mit dem, was er ist. Keine gemischten Motive: er ist rein in diesem spezielleren Sinne: unverdünnt und unvermischt. Das macht ihn ehrfurchtgebietend. Das macht ihn vollkommen. Das macht ihn ganz und gar anders.

In ihm gibt es keine Spannungen. Wir sprechen manchmal von Gott in solchen Begriffen, zum Beispiel von einer Spannung zwischen seiner Liebe und seiner Gerechtigkeit, die im Sühnopfer aufgelöst wird. Aber eigentlich gibt es keine solche Spannung. Gottes Zorn ist ebenso ein Ausdruck seiner Liebe wie seine Gerechtigkeit. Wir machen Unterscheidungen und teilen Gottes Wesen in Eigenschaften auf, aber in ihm sind sie integriert und ganz – ungeteilt.

Mit anderen Worten: Seine Heiligkeit ist nicht ein Attribut unter anderen, sondern sein Meta-Attribut, das Attribut seiner Attribute. Er ist all das: vollkommen und zu jeder Zeit.

Schließlich ist sein Name, der sein Wesen ausdrückt, „Ich bin, der ich bin“ (2. Mo. 4,14). Er ist sich selbst immer treu. Er ist aus einem Guss. Und Gott handelt konsequent in Übereinstimmung mit dem, was er ist.

Zugegeben, der Begriff „heilig“ hat einen Unterton von dem, was man oft mit ihm verbindet: ehrfurchtgebietend, furchterregend, rein, vollkommen, erhaben usw. Auch wenn dies nicht seine wesentliche Bedeutung ist, kann das Wort heilig gelegentlich als Metonymie oder Substitution verwendet werden, um diese anderen Eigenschaften zu bezeichnen. Das ist aber die Ausnahme.

Und wenn es nicht um Gott, sondern um uns geht, bedeutet heilig, dass wir ihm gehören. Daraus ergibt sich (heilig sein, weil er heilig ist), dass wir wie er werden müssen, ungeteilt und vollkommen (Mt. 5,48!).

Das wird eine Weile dauern. Aber vertrauen wir ihm, er wird es schaffen.

Bildnachweis

Dan Meyers. 2019 <https://unsplash.com/photos/xXbQIrWH2_A> CC0

Tim Mossholder. 2018 <https://unsplash.com/photos/7aBrZmwEQtg> CC0

Notnixon. 2016 <https://pixabay.com/photos/private-privacy-green-secret-1647769/> CC0

Literaturangaben

Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. 1999. Revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)

Lyons, M. C. 2016. „Holiness”, in The Lexham Bible Dictionary, ed. by John D. Barry, David Bomar, Derek R. Brown, Rachel Klippenstein, Douglas Mangum, and others (Bellingham, WA: Lexham Press)

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