Zwei Dinge, bevor wir uns mit Titus befassen. Erstens: Dies ist die Ausgabe Nummer 100. Erinnert sich noch jemand an Sacharja 9-14: Ergibt das irgendeinen Sinn?, veröffentlicht im Mai 2014? Einhundert Lernbriefe im Bereich Bibelstudium, und ich habe nicht das Gefühl, dass ich bald fertig bin oder mir die Themen ausgehen. Also lernen wir weiter!
Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST und als AUDIO PODCAST
Zweitens, nachdem ich letzten Monat über die Bedeutung des Wortes heilig geschrieben hatte, stieß ich auf dieses Zitat von Frederick Buechner (1993: 45):
Nur Gott ist heilig, so wie nur Menschen menschlich sind. Die Heiligkeit Gottes ist seine Göttlichkeit. Von etwas anderem als heilig zu sprechen, bedeutet, dass es etwas mit Gott zu tun hat.
Das ist extrem gut auf den Punkt gebracht. Ich brauchte etwa 1800 Wörter, um etwas Ähnliches zu sagen, aber Buechner schafft es mit nur 32…
Ein Mandat
Und jetzt Titus. Offensichtlich handelt es sich um einen Brief. Einen kurzen Brief, besonders für Paulus, und auf den ersten Blick nicht besonders gut strukturiert. Es fällt auf, dass der Ton des Paulus etwas kurz oder gar unfreundlich ist. Es gibt nicht einmal ein Dankgebet wie sonst bei Paulus.
Tatsächlich aber ist der Brief sehr gut gegliedert; dazu gleich mehr. Und was den Ton betrifft, so wusste Paulus, dass er auf Titus zählen konnte. Es war nicht nötig, ihn erst für sich zu gewinnen und Wohlwollen aufzubauen, wie es Paulus bei Gemeinden tun musste, die ihn nicht kannten (z. B. im Römerbrief), oder die einen Konflikt mit ihm hatten (wie im Briefwechsel mit Korinth).
Außerdem passt die Kürze des Paulus zu der besonderen Art des Briefes, um den es hier geht.
Paulus teilt Titus nicht viel Neues mit. Titus wusste, dass er auf Kreta geblieben war, um Älteste einzusetzen – „wie ich dir befohlen habe“ (Tit. 1,5). Paulus gibt klare Richtlinien. Die meisten davon waren wahrscheinlich für Titus nicht neu, aber sie schriftlich zu haben, kann durchaus nützlich gewesen sein. Und Paulus legt den Auftrag des Titus für seine Mission klar fest. Mit anderen Worten: Titus erhält eine Vollmacht.
Es gibt sogar einen Fachbegriff für einen solchen Brief: mandatum principiis (Witherington 2006: 90). Man beachte, dass dieser Begriff die Worte Mandat und Prinzipien enthält. Es handelt sich um die Art von Brief, den ein Machthaber für seinen Beauftragten (für, mehr als an) schreiben könnte: einen Vertreter, Gouverneur usw., in dem er seine Aufgabe oder seinen Auftrag definiert und vielleicht noch detailliertere Anweisungen, Grundsätze und Richtlinien sowie Ratschläge und Worte der Ermutigung hinzufügt.
Indem wir die Gattung auf diese Weise definieren, beantworten wir auch die Frage, warum Paulus diesen Brief geschrieben hat. Paulus will Titus nicht informieren, sondern ihn für seine Aufgabe befähigen und stärken.
Wie hat Paulus diesen Auftrag strukturiert?
Ein Wechselspiel
Wenn wir genau hinschauen, fallen uns mehrere Gegensätze auf. Es gibt gute Menschen und lästige, ja sogar unnütze Menschen. Es gibt gutes und wünschenswertes Verhalten, das gefördert, und es gibt schlechtes und schädliches Verhalten, das verhindert werden soll. Paulus wechselt zwischen diesen Kategorien hin und her. Dieser Wechsel bestimmt die Struktur und die Organisation des Titusbriefes.
Die Wirkung des Wechsels zeigt sich besonders darin, dass Paulus zwischen Anweisungen (was Titus tun soll und wie sich die Menschen in der Gemeinde verhalten sollen) und Begründungen für seine Anweisungen hin und her wechselt: Immer wieder gibt er das „Warum“ dessen, was Titus tun soll. Dieses Wechselspiel zieht sich durch den gesamten Brief:
1,1-4 1,5-9
1,10-16 2,1-10
2,11-14 2,15-3:2
3,3-7 3,8-11
Die Bibelstellen in der linken Spalte nennen die Gründe für die Anweisungen in den Bibelstellen in der rechten Spalte. Der erste ausdrückliche Grund, warum Titus die Anweisungen des Paulus befolgen soll, ist der Charakter und die Kultur seiner Zuhörer, 1:10-16. Die anderen Gründe, die in 2,11-14 und 3,3-7 genannt werden, sind theologischer Natur. Die Direktiven folgen daraus, wer Gott ist und was er getan hat. Diese zwei Abschnitte enthalten grundlegende Lehre.
Der Briefanfang fällt ebenfalls in die Kategorie der theologischen Begründung. Sie enthält auch eine Lehre, eine Wahrheit über Gott, und als solche ist sie, wenn auch nur implizit, Teil des Grundes, warum Titus (und Paulus!) tun, was sie tun.
Dies führt zu kleinen Einheiten, die kleiner sind als mir normalerweise für eine Buchgliederung gefällt. Die meisten Einheiten umfassen nur einen Absatz. Ich bevorzuge Einheiten, die eher die Größe eines Kapitels haben und mehrere Absätze umfassen. Aber allem Anschein nach ist dies die Struktur, die Paulus seinem Brief gegeben hat.
Was lehren uns diese Lehrabschnitte?
Das theologische Fundament
Jeder der drei theologischen Abschnitte stellt eine enge Verbindung her zwischen dem, was wir glauben, und dem, wie wir leben, zwischen unserem Glauben und unserer Praxis.
Jeder dieser Abschnitte enthält einen ausdrücklichen Verweis auf unsere Hoffnung, zu der das ewige Leben (Tit. 1,2, 3,7) und die Wiederkunft (das „Erscheinen“ Christi in Tit. 2,13) gehören.
Der erste Abschnitt, Titus 1,1-3, stellt Gott in den Mittelpunkt und spannt einen Bogen von Ewigkeit zu Ewigkeit (in Vers 2).
Der zweite Abschnitt, Titus 2,11-14, legt den Schwerpunkt auf Jesus und die von ihm vollbrachte Erlösung. Diese soll zu einer radikalen Änderung des Lebensstils führen, der nun durch Gottesfurcht, Selbstbeherrschung und gute Werke gekennzeichnet ist – alles Schlüsselbegriffe in diesem Brief.
Der dritte Abschnitt, Titus 3,3-7, bezieht den Heiligen Geist mit ein und erwähnt somit ausdrücklich jede Person der Dreieinigkeit. Er weist auch darauf hin, dass Titus und Paulus selbst in der Vergangenheit mindestens so schlecht waren wie die Kreter. Und Gott hatte sie gerettet. Sie wurden beide verändert. Wenn Gott es bei ihnen geschafft hat, kann er auch die Kreter retten.
Das bringt uns zu einem weiteren Schlüsselbegriff in diesem Brief: Heiland, wörtlich Retter.
Retter
In und um die drei Lehrabschnitte herum spricht Paulus wiederholt vom Retter. Überraschenderweise ist dies ein seltenes Wort in den Briefen des Paulus; er verwendet es insgesamt nur 12 Mal, davon 10 Mal in den Pastoralbriefen (1. und 2. Tim. und Tit.). Im Titusbrief erscheint das Wort sechs Mal. Für jede Lehrstelle gibt es zwei Erwähnungen, und das Muster ist wie folgt:
Titus 1,3 „Gott, unser Retter“
Titus 1,4 „Christus Jesus, unser Retter“
Titus 2,10 „Gott, unser Retter“
Titus 2,13 „unser großer Gott und Heiland Jesus Christus“
Titus 3,4 „Gott, unser Retter“
Titus 3,6 „Jesus Christus, unser Retter“
Das Muster ist klar: wieder einmal Wechsel der Begriffe!
Nach dem Alten Testament gibt es nur einen Retter: „Ich, ich bin der Herr, und außer mir ist kein Heiland [wörtlich Retter]“ (Jes. 43,11). Und doch ist Jesus genauso unser Retter, wie Gott es ist. Die beiden sind eins.
Es gäbe noch viel mehr über Titus zu sagen. Ich habe weder Kreta noch die besonderen Umstände, mit denen Titus konfrontiert ist, erwähnt. Ich bin auch nicht auf andere ungewöhnliche Begriffe oder die Pastoralbriefe als besondere Gruppe eingegangen.
Ich wollte eigentlich nur eines klarmachen: Diesen Brief hat sich Paulus gut überlegt. Deshalb lohnt es sich, Titus sorgfältig und aufmerksam zu lesen; nicht auslassen!
Bildnachweis
Tookapic, 2014 <https://pixabay.com/photos/light-paint-night-light-experiment-933160/> CC0
Geralt, 2017 <https://pixabay.com/illustrations/arrow-signpost-waypoint-direction-2085195/> CC0
RoAll, 2017 <https://pixabay.com/photos/jesus-christ-saviour-jesus-christ-2437571/> CC0
Literaturangaben
Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. 1999. Revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)
Buechner, Frederick. 1993. Wishful Thinking: A Seeker’s ABC, revised and expanded ed. (San Francisco: HarperSanFrancisco)
Witherington, Ben. 2006. Letters and Homilies for Hellenized Christians (Downers Grove, IL: IVP Academic)
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