Nochmals Samuel: Einblicke in Politik und Krieg

Jetzt ist ein Monat vergangen, und das Buch Samuel beschäftigt mich noch immer. Seine wunderbare Erzählung, die ebenso einfach wie tiefgründig ist, beeindruckt mich nach wie vor. Wie im letzten Monat erwähnt, kann man das Buch als eine Studie über Führung, über den Gebrauch von Macht, betrachten. Wir könnten es auch als eine Reihe von Fallstudien über Politik und Krieg betrachten.

Das führt zu einer kontroversen Frage: Wie stehen wir als Christen Politik – und Krieg – gegenüber und wie engagieren wir uns in diesem Bereich? Ich habe sicher keine vollständige Antwort, und Samuel gibt sie auch nicht. Stattdessen zwingt das Buch uns zum Nachdenken, indem es uns mit Ereignissen von damals konfrontiert, die oft unkommentiert bleiben.

Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST und als AUDIO PODCAST

Politik und Krieg: Einige Antworten aus Vergangenheit und Gegenwart

Schauen wir uns zunächst ein paar gängige Lösungen für das Dilemma an.

1. Christliche Welt. In der westlichen Tradition hat die Kirche lange Zeit versucht, die Politik zu beherrschen und Kirche und Staat zu einer Einheit zu verschmelzen. Wir reden von der christlichen Welt oder Christenheit und führen diese Entwicklung gewöhnlich auf Konstantin zurück, den Kaiser, der das Christentum legalisierte und es zu einer privilegierten Religion im römischen Reich machte.

Auf lange Sicht hat es der Kirche nicht gutgetan, zur „Staatskirche“ zu werden. Schließlich handelt es sich um die Staatskirche und nicht um den Kirchenstaat, was bedeutet, dass der Staat am Ende die Kirche kontrolliert und benutzt und nicht umgekehrt. Das ist nicht gut (und andersrum wäre auch nicht gut). Schon aus diesem Grund macht Patriarch Kirill von Moskau einen großen Fehler, wenn er seine Kirche und Theologie vom russischen Nationalismus und von der Politik Putins vereinnahmen lässt.

2. Realpolitik. Das Wort ist eine deutsche Erfindung und wird auch in der englischen Sprache verwendet. Indem die Situation so akzeptiert wird, wie sie ist, sucht die Realpolitik pragmatisch nach dem, was unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, anstatt sich von Idealen oder Vorstellungen von richtig und falsch leiten zu lassen.

3. Mitfühlender Idealismus und Ethik. Viele Christen, vor allem solche, die sich theologisch liberal aufstellen, empfinden dies als zu wenig. Sie wollen die Lehre Jesu auf die internationale Politik anwenden. Vereinfachend könnte man sagen, dass sie sich an der Bergpredigt orientieren.

Einige von ihnen fordern nun zum Beispiel einen Stopp der westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine und rufen stattdessen zu Verhandlungen auf. Ihre Zahl ist erstaunlich klein. Oder vielleicht sollte das auch nicht erstaunen, denn es ist ja alles andere als klar, was es zu verhandeln gibt.

4. Der „pietistische“ Rückzug. Ich habe „pietistisch“ in Anführungszeichen gesetzt, weil dies keineswegs die ursprüngliche pietistische Position ist. Aber in der späteren Kirchengeschichte haben Pietisten und andere, gleichgesinnte Evangelikale diesen Weg oft eingeschlagen und tun es auch heute noch. Sie ziehen sich aus Politik und Welt zurück, weil sie sie als etwas Verunreinigendes ansehen, an dem ein echter Gläubiger nicht teilhaben kann.

So halten sie ihre Hände sauber. Aber ist das richtig? Ich bezweifle es, und das Buch Samuel, so kommt es mir vor, ist ebenfalls nicht einverstanden.

Balanceakt: Mitfühlender Idealismus und Realpolitik

Samuel versucht meiner Meinung nach, ein Gleichgewicht zwischen mitfühlendem Idealismus, Ethik und Realpolitik herzustellen. Das Buch tut dies implizit, unter anderem dadurch, dass verschiedene Personen das eine oder das andere ausleben.

Natürlich steht David oft für das, was richtig ist, oder für Mitgefühl. Oder er tut, was falsch ist, und gesteht es hinterher ein. Aber Mitgefühl und Idealismus sind nicht immer im Recht. Manchmal ist Joabs Realpolitik richtig.

Joab kann bei der Verteidigung seiner Interessen rücksichtslos (und unmoralisch) sein, wie sowohl Abner als auch Amasa zu ihrem Schaden feststellen mussten. Aber Joab hat nicht immer Unrecht. Als David auf einer Volkszählung besteht, hat Joab ernsthafte Bedenken und leistet Widerstand, wenn auch vergeblich (2. Sam. 24). Wie sich herausstellt, hatte er recht.

Und dann ist da die Absalom-Krise (2. Sam. 15-20). Davids Reaktion ist eine seltsame Mischung aus Integrität, Klugheit, Vertrauen und scheinbar passiver Unterwerfung.

  • Er bietet Ittai, einem Ausländer und erst seit kurzem Teil der Armee, an, ihn aus seiner Verpflichtung zu entlassen (2. Sam. 15,19f).
  • Er weist Zadok und Abjatar an, die Bundeslade zurück nach Jerusalem zu bringen (2. Sam 15,25f, im Gegensatz zu 1. Sam. 4,4, wo die Bundeslade in die Schlacht getragen wurde).
  • Dann weist er die zwei Priester an, ihn auf dem Laufenden zu halten – er macht sie zu seinen Geheimagenten (2. Sam. 15,27f).
  • Als er erfährt, dass Ahitofel sich Absalom angeschlossen hat, betet er zu Gott, dass er Ahitofels Ratschläge vereitelt (2. Sam. 15,31).
  • Unmittelbar danach beauftragt er Huschai, nach Jerusalem zurückzukehren und Ahitofels Rat zu vereiteln. Er bringt ihn mit den Spitzeln Zadok und Abjatar in Verbindung (2. Sam. 15,32-37). Bemerkenswert ist die subtile, aber (für Absalom) unheilvolle Mitteilung am Ende: „Da kam Huschai, Davids Freund, in die Stadt, als Absalom gerade in Jerusalem einzog“ (2. Sam 15,37). Es wird Absalom zum Verhängnis, dass er den Rat Ahitofels, David sofort zu verfolgen und den König zu töten, ablehnt und stattdessen auf den Rat Huschais hört (2. Sam 17,1-14). Der Erzähler gibt dazu einen seiner seltenen Kommentare, damit wir es nicht übersehen: „So schickte es der HERR, dass der kluge Rat Ahitofels verhindert wurde, damit der HERR Unheil über Absalom brächte“ (2 Sam. 17,14). Daraufhin erkennt Ahitofel, dass Absalom dem Untergang geweiht ist, geht nach Hause und erhängt sich (2. Sam. 17,23).
  • David lässt sich von Schimi verfluchen (2. Sam. 16,5-13).
  • Und er organisiert das Heer für den Kampf gegen Absalom (2. Sam. 18,1-4).
  • Nach Absaloms Niederlage ergreift David die Initiative und wendet sich an die Ältesten von Juda (2. Sam. 19,12-15).

Aber wenn es um seinen Sohn geht, kennt David nur die Barmherzigkeit. „Verfahrt mir schonend mit meinem Sohn Absalom!“, befiehlt er (2. Sam. 18,5). Joab ignoriert den Befehl und lässt Absalom töten (2. Sam. 18,14f).

An dieser Stelle verlangsamt sich die Erzählung, indem sie ausführlich von den beiden Boten berichtet, die dem König die Nachricht vom Sieg überbringen (2. Sam. 18,19-32), und von der darauffolgenden Trauer (2. Sam. 19,1-5). Nun bedarf es der klaren Zurechtweisung und der Realpolitik Joabs, um den Tag zu retten:

Joab aber kam zum König ins Haus und sprach: Du hast heute schamrot gemacht alle deine Knechte, die dir heute das Leben gerettet haben und deinen Söhnen, deinen Töchtern, deinen Frauen und Nebenfrauen, weil du lieb hast, die dich hassen, und hasst, die dich lieb haben. Denn du lässt heute merken, dass dir nichts gelegen ist an den Obersten und Kriegsleuten. Ja, ich merke heute wohl: wenn nur Absalom lebte und wir heute alle tot wären, das wäre dir recht. So mache dich nun auf und komm heraus und rede mit deinen Knechten freundlich. Denn ich schwöre dir bei dem HERRN: Wirst du nicht herauskommen, so wird kein Mann bei dir bleiben diese Nacht. Das wird für dich ärger sein als alles Übel, das über dich gekommen ist von deiner Jugend auf bis hierher. (2. Sam. 19:6-8)

Davids Mitgefühl und Liebe für Absalom war nicht falsch. Ist das nicht das Herz eines Vaters, das mit dem Herzen Gottes übereinstimmt? Aber seine Reaktion war unausgeglichen.

David muss erkannt haben, dass Joab im Recht war, denn er tat Folgendes:

Da stand der König auf und setzte sich ins Tor. Und man sagte es allem Kriegsvolk: Siehe, der König sitzt im Tor. Da kam alles Volk vor den König. (2. Sam. 19,8)

Mitfühlender Idealismus ist richtig und gut, aber in dieser gefallenen Welt muss er durch ein gewisses Maß an Realpolitik ausgeglichen werden. Kriege (und der Tod eines Sohnes), so unerwünscht sie auch sind, lassen sich nicht immer vermeiden. Nicht zu Davids Zeiten und auch nicht heute. Noch nicht.

Bildnachweis

SFBaum. 2022. ‘Absalom killed by Joab in the forest of Ephraim’ <https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Absalom_killed_by_Joab_in_the_forest_of_Ephraim.jpg> CC BY-SA 4.0

Knollzw. 2018 <https://pixabay.com/de/photos/statue-denkmal-historisch-3808510/> CC0

Ibrahimov, Zaur. 2013 <https://unsplash.com/photos/antPbwiOpb8> CC0

Tikkho Maciel. 2016 <https://unsplash.com/photos/2-_WkjmC8x4> CC0

Literaturangaben

Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. 1999. Revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)

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