Welche neuen Einsichten zum Thema ergeben sich aus der Forschung der letzten 16 Jahre? Teil II einer Neubewertung meiner Doktorarbeit von damals. Jetzt geht es um Ergänzungen.
Ich habe vor einem Jahr mit der Arbeit an diesem Inhalt begonnen. Ich habe aufgrund der jüngsten Ereignisse in Israel und Gaza nichts geändert. Es handelt sich um eine Studie über den christlichen Zionismus, nicht um eine Aussage über Israel. Diesen Inhalt gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST
1. Frühe Aktivisten
Ich habe in meiner Dissertation den christlichen Zionismus, wenn auch nicht ganz aber dann doch größtenteils erst mit den 1970er Jahren anfangen lassen.
Nicht ohne Grund: Christen, die über Israel schrieben und redeten, blieben bis dahin seltsam passiv. Man beschränkte sich auf Kommentar und eschatologische Spekulationen: Wie passte das alles zu den Vorhersagen der biblischen Propheten und zu den Endzeitszenarien? Ein aktives Engagement gab es selten.
Ein wichtiger Teil meiner Arbeit war eine Auswertung der Literatur zum Thema, basierend auf etwa 400 deutschsprachigen Büchern zu den Themen Endzeit und Israel. Drei Graphiken.
Die Graphik zeigt die Entwicklung in der Zahl der neu veröffentlichten Bücher 1945-2004, in Zeitblöcken von fünf Jahren, aufgeteilt nach Nationalität der Verfasser.
Die nächste Graphik zeigt die Entwicklung in der Zahl der neu veröffentlichten Bücher, aufgeteilt in Endzeit- (ee, ei) und Israelbücher (ie, ii).
Das dritte Diagramm verwendet dieselben Daten, zeigt aber die vier Kategorien als Prozentsatz, was die Verschiebung deutlicher sichtbar macht.
Soweit die Auswertung von Büchern. Die Bildung von Organisationen zeigt ein ähnliches Bild. Organisationen, die sich der Unterstützung Israels widmen, entstehen mit wenigen Ausnahmen erst ab 1980. Während der 50er und 60er Jahre gibt es kaum organisatorische, politische oder andere Initiativen, die versuchen, Israel aktiv zur Seite zu stehen. Eine Wende beginnt erst in den 70er Jahren.
John Walvoord, ein führender amerikanischer Dispensationalist, schrieb 1963: „Mir ist nicht bekannt, dass Dispensationalisten die zionistische Bewegung als politische Bewegung aktiv unterstützen“ (zitiert in Malachy 1978: 114).
Warum die Wende? Warum dauerte es so lange, bis sich eine aktive Unterstützung entwickelte? Und was war der Auslöser?
Es gibt mehrere Faktoren, aber am wichtigsten waren die Ereignisse in Nahost, besonders die von 1967 und 1973; sie stellten den eigentlichen Auslöser dar. Für viele war der Sechs-Tage-Krieg der eindeutige Beweis, dass Gott auf der Seite Israels war. Ein Wunder. Die Juden hatten 2000 Jahre Exil und Verfolgung überlebt. Adolf Hitler hatte versucht, sie auszulöschen, was ihm ein stückweit auch gelungen war. Gegen alle Erwartung gelang es den Juden gerade nach diesem Ausrottungsversuch, ihren Staat zu gründen – wie der Phönix aus der Asche. Als dann ein zweiter Holocaust drohte, diesmal durch arabische Aggressoren, zerschmetterten sie alle ihre Feinde rundum in nicht einmal einer Woche, und nahmen fast das ganze Land, das Gott Abraham versprochen hatte, in Besitz, inklusive Jerusalem. Nach dieser unerwarteten Wende lag die Frage auf der Hand: War diese Erlösung eine Tat Gottes?
Viele Evangelikale beantworteten die Frage mit „Ja!“ Jeder Skepsis auf Grund des säkularen, nichtreligiösen Charakters des Zionismus war spätestens jetzt der Boden unter den Füßen entzogen. Eine Endzeiterwartung, die u.a. von Puritanern, Pietisten und Dispensationalisten entwickelt worden war, wurde nach 1967 mehr und mehr mit einem Phänomen der Gegenwart in Verbindung gebracht. Überlegungen über ein theoretisches Land der Zukunft, jenseits der Wiederkunft, wichen zunehmend dem Interesse an einem Staat diesseits des Weltenendes. Dieses Israel konnte man anfassen! Die dramatischen Ereignisse jener sechs Tage, plus ihre Deutung als Heilsgeschichte, machten diese Neubewertung Israels möglich.
Dann kam der Jom-Kippur-Krieg 1973. Er machte klar, dass Gottes Wunder nicht sicher, sondern bedroht war. Hinzu kamen: der Aufstieg der PLO, der palästinensische Terrorismus der 70er Jahre, die Drohung eines Ölembargos, die Annahme einer Resolution durch die Vereinten Nationen, die Zionismus mit Rassismus gleichstellte, der Aufstieg eines radikalen linken Antizionismus und die zunehmende Kritik an Israel von Seiten des Weltkirchenrates, der liberalen Kirchen und der Medien. Gleichzeitig versuchte die deutsche Außenpolitik, sich den Arabern anzunähern.
Auf Grund dieser Liste kann man verstehen, ob es nun zutrifft oder nicht, dass viele meinten, die ganze Welt wende sich gegen Israel, und Israel werde von der Weltgemeinschaft furchtbar ungerecht behandelt. Unter diesen Umständen konnten die Evangelikalen unmöglich tatenlos zuschauen. Und so, durch Israels Erfolg und Israels Bedrohung, entstand die christlich-zionistische Bewegung: im Namen der Gerechtigkeit, und weil in der geistlichen Schlacht um Israel die Vollendung der Weltgeschichte auf dem Spiel stand.
So weit so gut. Daniel Hummel (2019) beschreibt eine ähnliche Entwicklung auf Grund der Ereignisse in Nahost, wie auch Lewis (2021). Was ich dabei aber übersehen oder wenigstens unterbewertet habe, sind die christlichen Zionisten der weiter zurückliegenden Vergangenheit – und ich finde jetzt, man darf im Groß-Britannien zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus diese Bezeichnung verwenden – siehe Lewis (2021: 92-117).
Zum Beispiel der Amerikaner William E. Blackstone (1841-1935). Aus dem Wikipedia-Eintrag „William E. Blackstone“ (2023):
Anfänglich konzentrierte er sich auf die Wiederherstellung der Juden im Heiligen Land als Vorspiel zu ihrer Bekehrung zum Christentum, aus dem frommen Wunsch heraus, das Kommen des Messias zu beschleunigen; aber er war zunehmend besorgt über die tödlichen, von der russischen Regierung angezettelten Pogrome [also vergleichbar mit der Rolle der Nahostkriege 1967 und 1973] und glaubte, dass es notwendig sei, ein jüdisches Heimatland in Israel zu schaffen. Außerdem war er davon überzeugt, dass weder die europäischen Nationen noch die Vereinigten Staaten so viele Juden aufnehmen würden, die aus Europa fliehen mussten.
Blackstone reiste 1888 mit seiner Tochter in das Heilige Land. Er kehrte mit der Überzeugung zurück, dass eine Rückkehr des jüdischen Volkes in seine alte Heimat die einzig mögliche Lösung für die Verfolgung sei, unter der die Juden anderswo litten. Am 24. und 25. November 1890 [1890!] organisierte Blackstone in der First Methodist Episcopal Church in Chicago eine Konferenz über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Israels, an der sowohl führende Vertreter der jüdischen als auch der christlichen Gemeinden teilnahmen, allerdings keine Vertreter der Reformbewegung.
Die Konferenz rief die Großmächte, einschließlich des Osmanischen Reiches, dazu auf, Israel an die Juden zurückzugeben.
Also: Ein essenzieller Auslöser für William Blackstones Engagement waren die Pogrome in Russland.
Die Konferenz beschloss eine Petitionsaktion, die Blackstone 1891 umsetzte und veröffentlichte. Sie ist bekannt als das Blackstone Memorial, ein Aufruf zur amerikanischen Unterstützung der Wiederherstellung Israels.
Das Memorial wurde von 413 prominenten christlichen und einigen jüdischen Führern in den Vereinigten Staaten unterzeichnet. Blackstone sammelte persönlich die Unterschriften von Männern wie John D. Rockefeller, J.P. Morgan, Cyrus McCormick, Senatoren, Kongressabgeordneten, religiösen Führern aller Konfessionen, Zeitungsredakteuren, dem Obersten Richter des Obersten Gerichtshofs der USA. (Ebd.)
Das alles ereignete sich vor Theodor Herzls Publikation Der Judenstaat (1896) und vor dem ersten Zionistischen Kongress 1897.
Blackstone war Dispensationalist. Die meisten Unterzeichner waren das nicht. Und Blackstones Motivation war sicher nicht nur seine dispensationalistische Endzeiterwartung.
Später, 1916, wurde das Memorial ein zweites Mal eingesetzt, auf Drängen von jüdischer Seite, diesmal nur privat – direkt an Präsident Wilson. 1916. Es trug maßgeblich dazu bei, dass die Briten die Balfour Erklärung abgeben konnten, nämlich weil aus Amerika kein Widerstand, vielleicht sogar leise Unterstützung kam.
Robert Smith beschreibt eine Petition von Johanna Cartenright and Ebenezer Cartwright, bei einem Kriegsrat Januar 1649: England und die Niederlande sollten Israeliten in das gelobte Land bringen, was Gottes Segen für die Nation bedeuten würde:
Die Tatsache, dass sie diese auf Juden ausgerichtete Tradition [gemeint ist wohl die Wiederherstellungserwartung] in den politischen Dienst stellt, macht sie zum ersten Beispiel des christlichen Zionismus, verstanden als politisches Handeln, das von spezifisch christlichen Verpflichtungen geprägt ist, um die jüdische Kontrolle über das geografische Gebiet, das heute Israel und Palästina umfasst, zu fördern oder zu erhalten. (Smith 2013: 96)
Anthony Ashley-Cooper, 7. Earl of Shaftesbury (1801-1885) befürwortete, dass die Weltmacht Groß-Britannien eine jüdische Rückkehr nach Palästina ermöglichen sollte. 1838 wurde, auch durch seine Einflussnahme, ein britischer Konsul nach Jerusalem entsandt und 1841 eine Diözese mit Bischof gegründet, anfangs gemeinsam mit Preußen.
Bald, nachdem Herzl seine zionistische Vision publiziert hatte, stand William Hechler, ein Deutsch-Engländer, vor der Tür. Hechler war über Jahre Geistlicher in der britischen Botschaft in Wien. Er war überzeugt, dass die Wiederherstellung Israels notwendig war und kurz bevorstand; er war begeistert von Herzls Buch. Und Hechler hatte gute Verbindungen. Er öffnete Herzl die Tür zu manchen Entscheidungsträgern in Europa, einschließlich zu einer Audienz beim Kaiser, Wilhelm II, 1898. Das Wichtigste daran war vielleicht, dass Herzl und sein Zionismus so an Glaubwürdigkeit gewannen.
Orde Wingate (1903-1944), britischer Offizier, kam 1936 nach Palästina, damals britisches Mandatsgebiet. Er verband sich mit den Zionisten gegen die arabischen Übergriffe, die stark zugenommen hatten. Ab 1938 war Wingate zuständig für die neugebildeten Special Night Squads, die aus Briten und Juden, darunter Yigal Allon und Moshe Dayan bestanden und arabische Saboteure bekämpften. Es war ein Beitrag zur Bildung einer effektiven Armee, die 1948 die Unabhängigkeit Israels erkämpfen konnte.
Shaftesbury, Blackstone, Hechler, Orde Wingate. Es waren nur wenige. Aber erstens, es ist fraglich ob der Staat Israel ohne ihre Hilfe und Vorarbeit hätte entstehen können. Und zweitens, hinter ihnen stand eine in ihren Heimatländern breite Welle der Sympathie für eine Wiederherstellung. Zahlreich die Briten und Amerikaner, die eine solche Entwicklung erwarteten und ihr positiv gegenüberstanden.
Balfour und die britische Regierung 1917, Harry S. Truman in 1948 (der Präsident, der die Anerkennung des Staates Israel durchsetzte) – sie konnten davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil ihrer Wähler diesen Schritt positiv aufnehmen würden, weil die Idee einer Rückkehr der Juden nach Israel so beliebt war.
Wenn die Gelegenheit sich ergibt oder Not da ist, wird aus der Wiederherstellungserwartung schnell mehr – aber nicht immer und längst nicht bei allen. Deswegen halte ich die Unterscheidung weiterhin für wichtig. Aber die Grenze ist unscharf und flexibel, und man kann durchaus auch schon im 19. Jahrhundert von christlichem Zionismus reden, wenn auch hauptsächlich beschränkt auf Groß-Britannien. Er war wichtiger, als ich früher erkannt habe.
2. Global Christianity: Die Rolle der „neuen“ Christen
In meiner Doktorarbeit schrieb ich zwar, dass die christlich-zionistische Bewegung international ist, nicht nur britisch-amerikanisch, aber das Ausmaß der Verschiebung, die stattfindet, habe ich nicht ausreichend erkannt.
Die große Mehrheit der christlichen Zionisten lebt inzwischen im globalen Süden, „Global South“. Und sie sind vornehmlich neopfingstlich geprägt und nicht unbedingt dispensationalistisch.
Ich erwähnte schon Daniel Hummel und seinen „new Christian Zionism“. Hummel (2017; 2019: 3, 212ff) meint damit einen neuen Typus; der ist nicht nur charismatisch, sondern auch international und global – nicht in erster Linie amerikanisch.
Das hat Konsequenzen. Manchen nichtwestlichen Ländern, z.B. Brasilien und Nigeria, wird es schwerer fallen, Israel kritisch gegenüberzustehen, wenn große christliche Minderheiten in ihren Grenzen Israel enthusiastisch unterstützen.
Das neue Gesicht des christlichen Zionismus wird vielleicht am besten sichtbar in der Internationalen Christlichen Botschaft in Jerusalem (ICEJ). Gegründet 1980, hat sie Niederlassungen und Vertretungen in über 90 Ländern. Bei der Gründung spielten Niederländer eine wichtige Rolle. Die ICEJ wurde lange geführt von Malcolm Hedding, ein Südafrikaner. Jetzt ist Jürgen Bühler Präsident, ein deutscher Arzt.
Schon seit mehr als 40 Jahren feiert die ICEJ das Laubhüttenfest in Jerusalem, eine Vorwegnahme der Prophetie aus Sacharja 14,16:
Und alle, die übrig geblieben sind von allen Völkern, die gegen Jerusalem zogen, werden jährlich heraufkommen, um anzubeten den König, den Herrn Zebaoth, und um das Laubhüttenfest zu halten.
Mehrere tausend Teilnehmer aus bis zu 100 Nationen nehmen teil. Höhepunkt des Festes ist ein Marsch durch Jerusalem. Das neue Gesicht ist nicht europäisch und nicht amerikanisch; es ist international. Dieses Video vermittelt einen Eindruck:
3. Segen: Ein neues Wohlstandsevangelium
One more thing. In meinen Nachforschungen damals stach für mich heraus, wie oft ein bestimmter Bibelvers in relevanten Veröffentlichungen fast Mantra-mäßig wiederholt wurde: 1. Mose 12,3.
„Ich will segnen, die dich segnen“. Interessanterweise richtet sich die ganze Verheißung in 12,1-3 an Abraham als Einzelperson; die persönlichen Fürwörter der zweiten Person sind durchgehend im Singular und beziehen sich auf Abraham. Das wird aber nie aufgegriffen. Kein Wort dazu. Die Verheißung wird auf Israel und Juden heute angewandt. Die implizite Auslegung (immer implizit) ist: dich bezieht sich auf das Volk Israel; wer Israel segnet, wird gesegnet (cf. Westbrook 2014: 180f).
Einmal in der Bibel wird diese Aussage tatsächlich auch im Hinblick auf Israel gemacht. In 4. Mose 24,9b wird etwas Ähnliches wie in 1. Mose 12,3 von Israel gesagt: „Gesegnet sei, wer dich segnet, und verflucht, wer dich verflucht!“ Ist zwar auch Singular, aber dich bezieht sich hier eindeutig auf Israel, anders als in 1 Mose 12. 4. Mose spielt im christlichen Zionismus aber keine Rolle.
Das hat mich damals erstaunt, diese Selbstverständlichkeit, die eigentlich am Text vorbei geht: Wer Israel segnet, wird gesegnet.
Ich habe damals die Frage gestellt, ob so nicht ein anderes Evangelium entsteht, in dem Israel ein stückweit die Stelle Jesu einnimmt – so Franz Stuhlhofer (1992: 77):
Wer ist Gottes Segensvermittler für die Welt? Etwa Jesus? Bei Malgo ist das zumindest stellenweise Israel! „Israel ist Gottes Segens- und Heilsvermittler für diese Welt“.
Christliche Zionisten werden diese Unterstellung (ein anderes Evangelium) bestimmt empört zurückweisen, aber: Wer gesegnet werden will, so der christliche Zionismus, muss Israel segnen:
In der Judenfrage – heute Israelfrage – werden alle Menschen herausgefordert. In dieser Frage aller Fragen geht es wieder um eine Weichenstellung in der Menschheitsgeschichte – um eine Wende … Jeder muss in der Israelfrage Stellung beziehen, seine Antwort vor Menschen und Gott finden! (Reusch 2003: 13)
Alle religiösen Systeme mühen sich, dem menschlichen Dasein und der Existenz der Welt einen Sinn zu geben. Insofern bietet der Apostel Paulus in Römer 1-8 und 12-16 nichts Besonderes [!]. Mit den Ausführungen in Römer 9-11 stoßen wir aber auf den grundlegenden Unterschied zwischen allen religiösen Bemühungen und der biblischen Offenbarung. (Gerloff 2002: 16)
Wir alle, die wir keine Juden sind, verdanken jeden einzelnen, wichtigen geistlichen Segen, den wir jemals geerbt haben, einem einzigen Volk: den Juden. (Prince 1997: 63)
Aber jetzt … Was ich nicht gesehen habe: In Verbindung mit Ethnonationalismus entsteht hier etwas Neues, eine neue Form des Wohlstandsevangeliums.
Nochmals Bolsonaro, hier auf dem Bild, jetzt aber in Jerusalem. Also, T-Shirt in Israel, mit Bolsonaro darauf; T-Shirt in Brasilien mit Israel (und Bolsonaro darin).
Christlicher Zionismus ist jetzt mehr als nur Unterstützung für Israel. Es ist eine Art Symbiose, zwischen Staaten und Völkern: Wir unterstützen Israel; der Segen fließt zu unserem Land zurück. Es entsteht eine neue Identität, die Juden und Israel und Christen verbindet: Wir sind eins! Dabei wird das Nationale nicht aufgehoben; es bleibt Teil der neuen Identität.
Ein weiteres Mal Matthew Westbrook; er betont, dass die nationalen Symbole beim Laubhüttenfest und beim Jerusalemmarsch nicht nur farbenfrohe Deko sind:
Der Ausdruck des Nationalgefühls ist bei der Teilnahme an der Parade nicht zweitrangig, sondern das eigentliche Wesen und die Daseinsberechtigung der Parade. (Westbrook 2014: 180)
Die Kostüme der Teilnehmer, die als nationale Gruppen auch gemeinsam marschieren, sind Ausdrucksformen, die nicht nur die jüdischen Israelis „segnen“, sondern auch göttliche Gunst für ihr Heimatland erzeugen. (Ebd.: 181)
Die Teilnehmer empfinden das auch so. Übrigens, als Westbrook forschte, waren Brasilianer beim Fest die größte Gruppe, dann Finnland, Deutschland, Taiwan und erst auf Platz 5 oder 6 die Vereinigten Staaten (Ebd.: 192).
Daniel Hummel sieht es ähnlich wie Westbrook:
Der neue christliche Zionismus, der sich auf die Pfingst- und Wohlstandstheologie stützt, spricht nicht-amerikanische Christen an, weil er praktische und materielle Vorteile verspricht. Dies ist keine endzeitliche Wirklichkeitsflucht oder gar eine rechtsgerichtete politische Ideologie. Vielmehr stellt Israel im 21. Jahrhundert für die größte Generation neuer Christen auf der ganzen Welt eine Hoffnung dar. Weil Israel Christen in der neuen globalen Pfingstbewegung erreicht, werden wir wahrscheinlich Zeuge einer Schlüsselarena, in der sich die Zukunft des Nahen Ostens entscheiden wird.
Wie auch immer das geopolitische Schicksal des neuen christlichen Zionismus aussehen mag, seine Existenz deutet auf eine bemerkenswerte Veränderung in den jüdisch-christlichen Beziehungen hin. Die einende Prämisse der zeitgenössischen Bewegung – die Erwartung eines göttlichen nationalen Segens, der sich aus der Unterstützung Israels ergeben wird – ist nie weit von der Oberfläche entfernt. Wie das Schicksal des Christentums wird das Schicksal des christlichen Zionismus im 21. Jahrhundert zunehmend unabhängig von den traditionellen Quellen des amerikanischen Evangelikalismus und den westlichen Regierungen entschieden werden. (Hummel 2017; cf. Hummel 2019: 212ff; Durbin 2019: 205f).
Ich ende mit diesen Schlussfolgerungen: Für viele christliche Zionisten ist Israel wichtiger als Endzeittheorie. Und auch, wo Eschatologie wichtig bleibt, ist die Motivation für die Unterstützung Israels meist vielfältiger. Eschatologie ist nicht der einzige Faktor und nicht immer wichtig. Und wenn Eschatologie, dann oft eine andere als die der Weltuntergangsszenarien.
Anders gesagt: Positionen zum Staat Israel haben ihre Wurzeln in eschatologischen Ideen, wenn auch häufig nicht dispensationalistischer Art; in weiten Teilen des christlichen Zionismus wächst man inzwischen über diese Wurzeln hinaus, z.T. indem man eine viel dynamischere Endzeiterwartung entwickelt.
Nochmals anders gesagt: Die Positionen zum Staat Israel sind nur zum Teil und bedingt das Ergebnis eschatologischer Entscheidungen. Und der Einfluss wirkt auch in umgekehrter Richtung: Positionen zum Staat Israel führen zu eschatologischen Entscheidungen.
Literaturverzeichnis
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