Zeit investieren in den Römerbrief – und gewinnen!

Ich frage mich immer wieder, wie wir Einzelpersonen und Kleingruppen helfen können, ein Buch der Bibel zu erforschen und kennen zu lernen. Es ist ein Grundprinzip des induktiven Bibelstudiums, vieles im Text selber zu entdecken, statt es sich von jemandem erklären zu lassen. Das heißt aber nicht, dass man Menschen ohne jede Hilfe auf diese Entdeckungsreise entsendet; wenn man keine Ahnung hat, wonach man Ausschau halten soll, endet die Reise leicht im Frust. Als Vergleich: Es macht viel Spaß, etwas selber zu bauen – wenn man die notwendigen Fähigkeiten dazu hat. Selbst dann kann es hilfreich sein, über eine klare Anleitung zu verfügen. Wie würde eine solche Anleitung aussehen, wenn es darum geht, ein Bibelbuch zu studieren?

Diesen Brief gibt es in Englisch auch als Video Podcast

Es gibt noch eine weitere Gruppe von Personen, die von einer solchen Anleitung profitieren könnte. Das sind Leute, die eine Bibelschule wie die SBS absolviert haben und die jetzt gebeten werden, etwas davon weiterzugeben. Die Aufgabe, ein bestimmtes Bibelbuch zu erklären, auch wenn das in einer kleinen Gruppe stattfinden soll, kann ganz schön einschüchtern. Wie könnte man in einer solchen Situation vorgehen?

In der Vergangenheit habe ich für diesen Zweck kurze Studienführer für Galater, Epheser und Habakuk erstellt; diese stehen registrierten Benutzern dieser Webseite als Download zur Verfügung (anmelden kann man sich über das Formular in der Spalte rechts). Dabei handelt es sich allerdings um kurze Bücher. Wie würde eine solche Anleitung für längere Bücher, wie zum Beispiel Römer, aussehen? (Ich zögere noch, es mit einem der richtig großen Bücher wie Jesaja oder 5. Mose auszuprobieren.)

Diesen Monat veröffentliche ich einen vorläufigen Versuch einer Antwort auf diese Frage. Vorläufig, weil die Vorlage noch nicht geprüft wurde. Um ehrlich zu sein, ich hoffe, dass manche von euch sich freiwillig als Versuchskaninchen melden und mir nachher über ihre Erfahrungen Bericht erstatten.

Einige Merkmale dieser Anleitung:

  • Es gibt kaum Beobachtungsübungen, weil diese für ein längeres Buch so viel Zeit in Anspruch nehmen. Das ist nicht optimal, wenn man sich als Kleingruppe trifft.
  • Stattdessen arbeite ich hauptsächlich mit Fragen und mit kurzen Inputs. Es ist eine Herausforderung, gute Fragen zu entwickeln. Ich habe versucht einen Mittelweg zu finden: Fragen, deren Antwort hoffentlich nicht allzu offensichtlich ist, die aber trotzdem helfen, etwas zu beachten, was sonst vielleicht übersehen würde. Darüber hinaus gibt es Fragen, die dazu führen sollten, etwas tiefer in manche Themen einzudringen. Ein Antwortblatt soll bei Unklarheiten helfen.
  • Wie bei den kürzeren Anleitungen gibt es mehrere Inputs in Form von Infoblättern, die ein tieferes Verständnis des Textes ermöglichen sollten.
  • Die Einheiten zielen je auf eine Studienzeit von etwa 70 Minuten; es ist aber gut möglich, dass ich die erforderliche Zeit unterschätzt habe, besonders, wenn deine Gruppe diskussionsfreudig ist. Ich bin mir auch nicht sicher, ob eine Dauer von 70 Minuten optimal ist; wenn möglich, hätte ich die Einheiten kürzer gemacht. Ich schaffe es aber nicht, in kürzerer Zeit einem Abschnitt im Text gerecht zu werden. Es gibt 13 Einheiten, aber zwei davon (Römer 5 und Römer 9-11) brauchen auf jeden Fall mindestens zwei Sitzungen. Falls dir das zu viele sind: Es steht dir selbstverständlich frei, nicht alle Einheiten durchzuarbeiten. Ich würde auf jeden Fall mit den ersten vier beginnen, da sie eine allgemeine Einleitung in das Buch darstellen. Anschließend kannst du eventuell nur die Einheiten zu ausgewählten Kapiteln des Briefes durcharbeiten. Allerdings sind etwa 20 Stunden (die benötigte Zeit für alle Einheiten) für den Römerbrief nicht unverhältnismäßig viel; sie wären gut investiert.
  • Es ist möglich, die Anleitung alleine durchzuarbeiten, du würdest aber wahrscheinlich viel gewinnen, wenn du es mit anderen zusammen oder zu zweit machst.
  • Die Anleitung kommt mit einer CC0 Lizenz. D.h., du darfst sie überarbeiten und ändern wie du möchtest, und du darfst sie auch kopieren und verbreiten, ohne eine weitere Genehmigung einzuholen.

Warum der Römerbrief?

Auf diese Frage habe ich gewartet. Ich gebe dir in Kurzform drei Ereignisse aus der Kirchengeschichte, die die Welt veränderten und bei denen der Römerbrief eine wichtige Rolle spielte.

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1. Vielleicht ist dir der Kirchenvater Augustinus bekannt, einer der einflussreichsten Theologen aller Zeiten. Er führte in seiner Jugend ein ziemlich wildes Leben. Später wurde er Professor der Rhetorik in Mailand. Eines Tages im Jahre 386 n. Chr. befand er sich im Garten eines Freundes und rang mit sich selbst. Einerseits wollte er ein neues Leben anfangen. Andererseits schaffte er es nicht, das alte aufzugeben. Dann hörte er zufällig ein Kinderlied aus einem Nachbarhaus: „Nimm und lies! Nimm und lies!“ Vor ihm lag eine Buchrolle, eine Abschrift des Römerbriefes, und als er sie aufnahm, las er folgende Worte: „… nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt“ (Röm. 13,13b-14). Später berichtete er: „Ein helles Licht überflutete mein Herz und jegliche Dunkelheit des Zweifels verschwand.“

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2. Im November 1515 begann Martin Luther, ein Mönch des Augustinerorders und Professor der Theologie an der Universität von Wittenberg, eine Vorlesungsreihe über den Römerbrief. Der Brief stellte ihn vor ein riesiges Problem: Wie sollte er den Ausdruck „die Gerechtigkeit Gottes“ (u.a. Röm. 1,17) verstehen? Anfangs dachte er, dabei handle es sich um eine Eigenschaft Gottes: Gott ist gerecht und deswegen richtet er die Ungerechten – eine Vorstellung, die Angst einflößt, denn wer ist nicht ungerecht? Luther rang lange Zeit mit dieser Aussage, bis ihm klar wurde, dass die Gerechtigkeit Gottes seine Gabe an uns ist, aufgrund des Glaubens. Daraufhin schrieb Luther: „Da habe ich gefühlt, dass ich von neuem geboren sei und durch die geöffneten Tore ins Paradies selbst eingehe“ [1]. Nur zwei Jahre später nagelte Luther seine 95 Thesen an die Kirchentür in Wittenberg und leitete damit die Reformation ein.

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3. Jetzt nach London, 1738. John Wesley war gerade aus den britischen Kolonien in Amerika zurückgekehrt. Er war mit der Absicht hingegangen, unter den Indianern zu missionieren. Zurück kam er als Versager: Er hatte diese Missionsarbeit nie beginnen können; stattdessen gab es einen Skandal und er wurde dazu gezwungen, die Kolonie zu verlassen. Zu diesem Zeitpunkt war Wesley sich seiner eigenen Errettung und Bekehrung nicht sicher; kein Wunder, dass es mit der Mission nicht klappen wollte… Am 24. Mai 1738 besuchte Wesley widerwillig eine Versammlung in der Aldersgate Street, wo jemand aus dem Vorwort Luthers zum Römerbrief vorlas. Seine Erfahrung beim Zuhören beschrieb Wesley später mit diesen Worten: „Ich spürte, wie mein Herz auf seltsame Weise warm wurde.“ Nie wieder zweifelte er an seiner Errettung. Oft wird dieses Ereignis als Beginn der methodistischen Erweckung betrachtet, die im 18. Jahrhundert Großbritannien entscheidend prägte.

Römer ist ein kraftvolles Buch. Sein Einfluss in der Geschichte und in der Theologie ist enorm. Sein Einfluss in deinem Leben kann auch enorm sein.

Soviel für diesen Monat; den Rest findest du im Studienführer. Schau ihn dir an!

Literaturangaben

Deutsch Bibelgesellschaft (1984), Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)

[1] Luther, zitiert in: T. Brandt (1963), Die Kirche im Wandel der Zeit (Wuppertal: R. Brockhaus), S. 163

Bilder

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La conversion de Saint Augustin: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Fra_angelico_-_conversion_de_saint_augustin.jpg, Public Domain

Luther: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lucas_Cranach_%28I%29_workshop_-Martin_Luther%28Uffizi%29.jpg, Public Domain

Wesley: https://en.wikipedia.org/wiki/File:John_Wesley_by_William_Hamilton.jpg, Public Domain

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