Besser predigen

Ich predige nicht oft. Ich bin von meiner Begabung her ein Lehrer, nicht ein Prediger. Aber ich bin von der Wichtigkeit der Predigt absolut überzeugt. Abgesehen von Gott selbst gibt es in unserer Welt keine größere Kraft als das Wort Gottes. Menschen können sich natürlich direkt mit diesem Wort befassen, indem sie zum Beispiel die Bibel lesen, aber darüber hinaus ist die Predigt der wichtigste Weg, wie die immense Macht dieses Wortes das Leben von Christen und Nichtchristen verändern kann. Die Predigt ist zwar nicht der einzige Weg, aber kein anderes Instrument erreicht so viele Menschen so oft.

Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST und als AUDIO PODCAST

Selbst wenn wir nur gelegentlich predigen, ist diese Aufgabe so wesentlich, dass wir an unseren Fähigkeiten arbeiten sollten. Deswegen nahm ich mir vor, ein Buch über das Predigen zu lesen. Das ist zwar nicht viel, es gab mir aber immerhin eine Möglichkeit, die ich ohne weiteres umsetzen konnte.

Es gibt viele Bücher zum Thema „Predigen“. Zwei Titel kamen mir sofort in den Sinn. Diese beiden Bücher sind im englischsprachigen Raum wohl die modernen Klassiker (wenn es so etwas geben kann). Das eine Buch ist von Haddon Robinson und heißt Biblical Preaching (deutscher Titel: Predige das Wort). Das zweite verfasste Bryan Chapell unter den Titel Christ-Centered Preaching (übersetzt: Christus-zentriert Predigen). An Werken in deutscher Sprache gibt es unter anderen Helge Stadelmann, Kommunikativ predigen.

Ich entschied mich für das zweite, mir unbekannte Buch. Von Haddon Robinson hatte ich schon oft gehört, von Bryan Chapell wusste ich nichts, außer, dass er ein beliebtes Buch zum Thema geschrieben hatte, das viel Anerkennung fand. Das Buch wurde so gut besprochen, dass ich neugierig wurde. Haddon Robinson wird also warten müssen.

Die Auslegungspredigt

Alle drei Bücher befassen sich mit einer ganz bestimmten Predigtform: die Auslegungspredigt. Kennzeichnend für die Auslegungspredigt ist:

  1. Es wird eine Schriftstelle erklärt.
  2. Aus dieser Schriftstelle wird ein Prinzip oder auch mehrere abgeleitet.
  3. Es wird dargelegt, wie die Zuhörer dieses Prinzip in ihrem Leben umsetzen könnten.

Anders gesagt, Inhalt und Struktur der Predigt werden größtenteils von der gewählten Schriftstelle bestimmt.

Es gibt viele Predigten, die weniger schriftzentriert sind. Das muss nicht falsch sein. Die Auslegungspredigt hat aber eine besondere Stärke. Vorausgesetzt, wir haben die Schriftstelle richtig ausgelegt, dann enthält unsere Predigt die volle Autorität und Kraft Gottes, da es sich ja um sein Wort handelt und nicht um unsere guten Ideen.

Chapells Buch

Chapells Buch hat mich überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ein theologisches Buch über das Predigen so praktisch sein kann und so viele hilfreiche Anweisungen für die Predigtvorbereitung und die Predigtgestaltung enthält. Anfangs hatte ich noch die Absicht, aufgrund des Buches eine Kurzanleitung für die Predigtvorbereitung zu schreiben. Wegen der Fülle des Materials im Buch musste ich diese Idee aufgeben. Ich kann hier nur eine Kostprobe anbieten. Das Buch wirst du selber lesen müssen.

[Ein einheitliches Thema:] Eine gute Predigt hat vielleicht drei Punkte (oder auch mehr oder weniger), sie befasst sich aber nicht mit drei Themen. (Chapell 2005: 48)

[Die Hauptaussage einer Bibelstelle:] Wie wir schon festgestellt haben, liefert die Auslegung einer Bibelstelle die Botschaft einer Auslegungspredigt. Deswegen sollte sich die zentrale Idee einer Predigt aus dem Bibeltext ergeben. Haddon Robinson regt an, dass der Prediger die Hauptidee einer Predigt bestimmt, indem er zunächst fragt: „Über was spricht der Verfasser [der Bibelstelle]?“ und dann: „Was sagt er über das, worüber er spricht?“ (Chapell 2005: 45)

[Die Komponenten einer Auslegungspredigt:] Üblicherweise beginnen Predigten mit einer Einführung, die zu einer These führt, welche klarmacht, worum es im Hauptteil der Predigt gehen wird. Der Hauptteil enthält die Hauptpunkte und Unterpunkte, die wie ein Skelett die Struktur der Predigt bilden und die Erklärung in der Predigt gliedern. Die effektive Auslegung der Bibelstelle, die die Haupt- und Unterpunkte untermauert, wie auch die Veranschaulichungen und Anwendung verleihen diesem Skelett Substanz. Auf den Hauptteil der Botschaft folgt ein Abschluss, der den Inhalt zusammenfasst und oft den eindringlichsten Appell der Predigt enthält. (Chapell 2005: 135)

Das letzte Zitat stellt schon fast einen Standardentwurf für eine Predigt dar, wenn auch extrem kurzgefasst. Hier finden sich Komponenten, die in keiner Predigt fehlen dürfen.

Schwerpunkte: Die „gefallene Verfassung“ des Menschen und die Gnade

Chapells Buch enthält viele praktische Anweisungen. Darüber hinaus vermittelt es ebenfalls die zentralen Anliegen, die jeder Prediger im Auge behalten sollte. Dazu gehören die Gnade und was Chapell „Fallen Condition Focus” (FCF) nennt: Diese „gefallene Verfassung“ des Menschen sollte in der Predigt den Ausgangspunkt bilden.

1. Fallen Condition Focus. Dabei handelt es sich um einen für mich neuen Begriff. Laut Chapell sollte jede Predigt sich mit einem bestimmten menschlichen Problem befassen, einem Problem, das sich daraus ergibt, dass wir in einer unvollkommenen Welt leben. Dieses Problem sollte in der gewählten Bibelstelleklar eine Rolle spielen, damit wir in ihr Hinweise auf eine biblische Antwort oder eine biblische Lösung finden.

Man könnte deswegen auch sagen, dass eine gute Predigt sich auf Heil und Erlösung ausrichtet. Es geht darum, dass Menschen in jedem Lebensbereich Befreiung und Erneuerung erfahren.

Der „Fallen Condition Focus” (FCF) ist der allgemeine menschliche Zustand, den die Gläubigen von heute mit denen, die im Bibeltext erscheinen oder für die der Text ursprünglich geschrieben wurde, gemeinsam haben, weshalb sie die Gnade, die im Text enthalten ist, brauchen, damit sie als Gottes Volk Gott verherrlichen und sich an ihm erfreuen können.

Indem Gott uns zusichert, dass die ganze Schrift einen „Fallen Condition Focus“ (FCF) hat, zeigt er seine andauernde Fürsorge und betont die zentrale Stelle des FCF in der Predigt. Der FCF, den es in jedem Bibeltext gibt, beweist, dass Gott sich weigert, seine schwachen und sündigen Kinder ohne Führung und ohne Schutz in einer Welt, die ihrem geistlichen Wohlsein feindlich gesinnt ist, zurückzulassen. Der FCF liefert den menschlichen Kontext, der für die Auslegung einer Stelle notwendig ist. Gleichzeitig zeigt er auf, dass die biblische Lösung göttlich sein muss und nicht rein menschlich sein kann. Da gefallene Geschöpfe ihre Lage nicht verbessern oder ändern können, zwingt die Feststellung eines FCF die Predigt dazu, Gott als die einzige Hoffnung anzuerkennen, statt irgendwelche schnellen menschlichen Lösungen oder Verhaltensänderungen anzupreisen. (Chapell 2005: 50)

Genauso wie Habsucht, Rebellion, Begierde, Verantwortungslosigkeit und Stolz Themen für eine Predigt sind, so auch die Herausforderung Kinder gottesfürchtig zu erziehen, Gottes willen zu finden oder die eigene Begabung zu verstehen. Ein FCF heißt nicht unbedingt, dass wir schuldig oder strafbar sind. Es handelt sich schlichtweg um ein Element oder ein Problem des Menschseins, wofür die Anweisungen, die Ermahnung und/oder der Trost der Schrift gebraucht werden. Ein FCF wird deswegen immer negativ formuliert. Es handelt sich um etwas, das schlecht ist (wenn auch nicht notwendigerweise um etwas, das ethisch schlecht ist) und Korrektur oder Ermutigung durch die Schrift braucht. (Chapell 2005: 51-2)

2. Gnade. Mich hat besonders Chapells Betonung der Gnade als Grundlage der Predigt beeindruckt. Zu viele Predigten präsentieren, was im Grunde genommen eine Christianisierung der Gesetzlichkeit darstellt. Es geht um all das, was Christen tun sollten, ohne dass sie in die Lage versetzt werden, diese Dinge zu tun. Was oft fehlt, sind die Motivation (warum?) und die Befähigung (wie?):

Wie gut die Absicht und die Verwurzelung der Predigt in der Bibel auch sein mögen, wenn die Botschaft weder die Motivation noch die Befähigung enthält, die zur richtigen Aneignung des Erlösungswerkes Jesu Christi gehören, verkündigt der Prediger nichts mehr als Pharisäertum. Eine Verkündigung, die der Schrift treu bleibt, legt nicht nur Gottes Anforderungen dar, sondern betont auch die Heilswahrheit, die Heiligkeit möglich macht. (Chapell 2005: 19)

Das ist notwendig, weil es keine stärkere Motivation zur Heiligkeit gibt, als Gott zu lieben auf Grund der Offenbarung seines rettenden Wesens und seiner ewigen Verheißungen. (Chapell 2005: 220)

Die 1 Million Euro Frage

Den besten Ratschlag in diesem Buch habe ich mir für zuletzt aufgehoben. Es handelt sich um eine Frage, die wir uns während unserer Vorbereitung für jede Komponente einer Predigt stellen sollten, nämlich: Wozu erzähle ich das?

Diese Frage hilft uns, die Teile zu finden, die vielleicht interessant und wahr sind, die aber trotzdem nicht in diese Predigt gehören, weil sie der Zielsetzung der Predigt nicht dienen. Das nächste Mal, wenn du eine Predigt oder einen Unterricht vorbereitest, probiere es aus:

Wozu erzähle ich das?


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Literaturangaben

Bryan Chapell (2005), Christ-Centered Preaching: Redeeming the Expository Sermon, 2nd Ed. (Grand Rapids, MI: Baker Academic)

Haddon Robinson (2014), Biblical Preaching: The Development and Delivery of Expository Messages, 3rd Ed. (Grand Rapids, MI: Baker Academic)

Ibid. (2013), Predige das Wort: Vom Bibeltext zur lebendigen Predigt (Dillenburg, Deutschland: Christliche Verlagsgesellschaft)

Helge Stadelmann (2013), Kommunikativ predigen: Plädoyer und Anleitung für die Auslegungspredigt (Witten & Gießen, Deutschland: TVG)

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