Die vorherige Ausgabe von Create Learning Site war ein Versuch, das neutestamentliche Verständnis vom Gesetz im Alten Testament zusammenzufassen. Paulus drückt es so aus: Christen sind nicht unter dem Gesetz, weil sie dem Gesetz gestorben sind – dem ganzen Gesetz, nicht nur bestimmten Abschnitten und nicht nur in gewisser Hinsicht. Jetzt könnte man meinen, dass das alttestamentliche Gesetz, „alt”, wie es ist, keinen Wert mehr hat und wir es deswegen ignorieren können. Das wäre ein Irrtum! Wir sind zwar nicht unter dem alten Bund mit seinen Regeln und Satzungen, es ist aber weiterhin das Wort Gottes, auch für uns. Was heißt das aber praktisch? (Auch dieser zweite Teil ist lange geraten; im nächsten Monat werde ich mich wieder kürzer fassen!)
Bevor du weiterliest: Es könnte sich lohnen, vorher als Auffrischung 2. Mose 21-23 zu lesen, damit dir bewusst ist, worum es geht.
Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST und als AUDIO PODCAST
Warum das Gesetz
Zunächst, drei Gründe, weshalb wir das Gesetz als Schrift ernst nehmen müssen.
1. Das Gesetz ist Gottes Wort. Das Gesetz, einschließlich mancher Gebote, wird im Neuen Testament als Schrift und somit als maßgebend zitiert. Es handelt sich zwar nicht um unseren Bund, es ist aber trotzdem weiterhin Gottes Wort. Zum Alten Testament sagt Paulus Folgendes:
Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt. (2. Tim. 3,16-17)
„Alle Schrift“ bezieht sich auf die Bücher des Alten Testaments, die Bibel der Urkirche. Wenn alles darin nütze ist, dann auch das Gesetz und die Gebote.
2. Das Gesetz ist eine Quelle der Weisheit und des Verständnisses. In seinem Gebet für die Gemeinde in Kolossä betet Paulus für Wachstum in Erkenntnis:
Darum lassen wir auch von dem Tag an, an dem wir’s gehört haben, nicht ab, für euch zu beten und zu bitten, dass ihr erfüllt werdet mit der Erkenntnis seines Willens in aller geistlichen Weisheit und Einsicht, dass ihr des Herrn würdig lebt, ihm in allen Stücken gefallt und Frucht bringt in jedem guten Werk und wachst in der Erkenntnis Gottes. (Kol. 1,9-10)
Wie sollten wir zu dieser Erkenntnis Gottes und seines Willens kommen? Wie wachsen wir in Weisheit und Einsicht? Wie wissen wir, was richtig und was „des Herrn würdig“ ist? Kann ich mich von meinem Ehepartner scheiden lassen, weil ich jetzt jemand andern „liebe“? Wer die Bibel (AT und NT) liest, wird dort keine Bestätigung für solches Handeln finden. Wer sich vom Heiligen Geist führen lässt, braucht die Bücher des Gesetzes und die restliche Schrift als Quelle der Erkenntnis. Oft wirkt der Geist ja gerade durch sie. Die Schrift lässt keinen Raum für jene Art von Antinomismus, der behauptet, wir müssten nur dem Geist oder dem inneren Zeugnis folgen. Wir lernen, was Liebe und Gerechtigkeit (Gottes Wille) beinhalten, indem wir uns mit dem Wort befassen
3. Das Gesetz ist eine Quelle der Freude. Psalm 1 und andere Bibelstellen zeigen die positive Erfahrung von manchen Israeliten mit dem Gesetz:
[Er] hat Lust am Gesetz des HERRN. (Ps. 1,2a)
Besonders Psalm 119 erschöpft sich in Lob für die Gebote und Vorschriften Gottes; der Autor ist entzückt über das Gesetz. Das sollten wir uns nicht entgehen lassen.
Die Funktion des Gesetzes: Mögliche Antworten
Die Funktion des alttestamentlichen Gesetzes für Christen wird unterschiedlich verstanden. Eine kurze Übersicht über mögliche Antworten, wie das Gesetz für uns funktionieren sollte, ist deswegen hilfreich:
Bauplan. Ein Bauplan ist ein detaillierter Entwurf, der von einem Architekten für ein Bauvorhaben angefertigt wird. Der Baumeister sollte diesem Entwurf exakt folgen. Manche verstehen das Gesetz als einen solchen Bauplan, den wir sowohl individuell wie auch auf staatlicher Ebene mehr oder weniger (da gibt es Unterschiede) genau umsetzen sollten. Die amerikanische Bewegung Christian Reconstructionism vertritt diese Sicht. Opfergesetze und andere Kultvorschriften sind erfüllt und deswegen nicht länger bindend, alle andere (d.h. die ethischen und zivilen) Gebote aber schon.
Vorlage. Das mosaische Gesetz kann man auch als Vorlage verstehen, so etwa wie wir das zum Beispiel in Microsoft Word kennen. Eine Vorlage ist wesentlich flexibler als ein Bauplan. Sie kann je nach Bedarf und Umständen angepasst und unterschiedlich befolgt werden. Das klingt besser als Bauplan, ich sehe aber auch hier Probleme. Die Gebote lassen sich zum Beispiel nicht leicht von damals auf heute, vom alten auf den neuen Bund und von Israel auf nichtjüdische Staaten übertragen. Mit den Hindernissen und Schwierigkeiten, die sich dabei auftun, werde ich mich im nächsten Abschnitt („Überlegungen“) weiter befassen.
Paradigma. Diese dritte Sicht gleicht der zweiten, verwendet aber ein anderes Bild: Paradigma. Die Gebote funktionieren ähnlich wie Paradigmen in der Grammatik, wo sie Muster sind für die Deklination und Konjugation von Wörtern. Lernt man zum Beispiel Spanisch, dann lernt man die Beugung des Verbes hablar: hablo, hablas, habla, hablamos, habláis, hablan. Dieses Paradigma lässt sich auf viele weitere Verben anwenden. Israels Gebote kann man ebenfalls als Paradigmen verstehen, die man anpassen und in vielen weiteren Situationen verwenden kann.
Das moralische Gesetz. Viele Theologen arbeiten mit einer dreifachen Klassifizierung aller Gebote: Es gibt das Kult- oder Ritualgesetz, das Zivilgesetz und das Moralgesetz, d.h. die ethischen Gebote. Das Ritualgesetz wurde erfüllt und das Zivilgesetz Israels ist kulturell und historisch bedingt und deswegen nicht universell gültig, so argumentiert man weiter. Es bleiben somit nur die ethischen Gebote, die universell und zeitlos und deswegen weiterhin in Kraft sind. Diese Sicht ist weit verbreitet, besonders im Protestantismus. Für diese Sicht spricht, dass die ethischen Anweisungen im Neuen Testament sich tatsächlich weitgehend mit den ethischen Geboten im Alten Testament decken.
Allerdings lässt sich Paulus schwer so verstehen, dass wir nur für zwei Drittel des Gesetzes gestorben sind, für einen Drittel aber nicht. Außerdem findet sich diese dreifache Klassifizierung im Gesetz selbst nicht. Gebote aus diesen drei Kategorien sind oft vermischt. Es ist nicht immer einfach, ein Gebot zu klassifizieren. Die Meinungen gehen gelegentlich auseinander. Ist das Tattoo-Verbot (3. Mo. 19,28) oder das Verbot, ein Böcklein in der Milch seiner Mutter zu kochen (2. Mo. 23,19), ein ethisches oder ein Kultgesetz? Und der Sabbat?
Vorbild. Es ist auch möglich, Israel im Alten Testament als Vorbild oder Modell zu verstehen. Es gibt keinen direkten oder einfachen Weg, die Gebote von damals auf das Hier und Jetzt zu übertragen. Wir können aber viel lernen, wenn wir das Gesetz als Vorbild betrachten, wie Gott mit Einzelnen und mit einem ganzen Volk (wenn auch in einer anderen Phase der Heilsgeschichte) umgegangen ist.
Diese Antwort leuchtet mir am meisten ein. In der Praxis wird sie sich allerdings nicht groß von der vorherigen Alternative unterscheiden. Diese beiden Gesichtspunkte werden oft zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangen über das, was weiterhin gilt.
Überführung von Sünde. Manche meinen, der einzige Zweck des Gesetzes sei den Menschen ihre Sündhaftigkeit vorzuzeigen: Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde (Röm. 3,20). Das Gesetz ist das Gegenstück zum Evangelium und zeigt uns, wie sehr wir die Gnade brauchen. Anders gesagt, die Rolle des Gesetzes ist größtenteils negativ. Ich denke, dass das Gesetz tatsächlich diese Funktion hat, dass es sich dabei aber nicht um seine einzige Funktion handelt.
Keine: Antinomie. Die Antinomie ist die vollständige Ablehnung jeder Form von Gesetz. Es gibt unterschiedliche Formen. Die extremste ist die totale Zügellosigkeit: Lasst uns sündigen, damit die Gnade umso mächtiger werde. Gemäßigter sind die, die sich ausschließlich auf das innere Licht oder auf die Stimme Gottes verlassen wollen, ohne auf Gesetz oder Schrift zu achten.
Das Gesetz anwenden: Praktische Überlegungen
Wenn wir uns mit Fragen der Gültigkeit und der Anwendung des biblischen Gesetzes befassen, gibt es mehrere wichtige Überlegungen. Ich befasse mich hier hauptsächlich mit Geboten, die nicht offensichtlich zum Ritualgesetz gehören. Für die zeremoniellen Vorschriften bietet der Hebräerbrief eine hervorragende Erläuterung. Hier geht es eher um ethische und praktische Fragen.
1. Das Ziel ist nicht eine verbesserte Version des Gesetzes. Die Zielsetzung der Vorgehensweise, die ich hier befürworte, ist nicht eine Art Update, eine verbesserte Version des Gesetzes, die es uns ermöglichen würde, die alttestamentlichen Gebote mit besseren, neutestamentlichen Entsprechungen zu ersetzen. Es geht auch nicht darum, die alttestamentlichen Gebote aufzuteilen in „gültig“ und „ungültig“. Es wäre fatal, ein neues Gesetz zu konstruieren, das dann als externer Standard unser Leben bestimmt. Wichtig ist aber schon, dass wir lernen was „Gerechtigkeit“ heißt. Wie könnten wir das schaffen?
In theologischer Sprache: Die Offenbarung Jesu geht über das Gesetz hinaus, nimmt es auf und verwandelt es. Die Frage muss also sein: Wie kann das alttestamentliche Gesetz im Lichte Christi und im Lichte des Neuen Testaments verstanden werden?
Anders gesagt: Es geht darum, Gott und seine Gerechtigkeit zu erkennen. Wir wollen verstehen, was es heißt, unser Leben von der Liebe bestimmen zu lassen. Die Frage wird somit: Wie hilft mir ein bestimmtes Gebot zu verstehen, was Liebe und Gerechtigkeit in meiner Situation heißen könnte?
2. Gott befähigt uns. Durch den Heiligen Geist ist Gott da und spendet Kraft. Israels Problem mit dem Gesetz war immer der Mangel an Kraft, um die Anforderungen des Gesetzes zu erfüllen; das Gesetz fordert, ohne zu befähigen. Das Evangelium bringt einen höheren Standard (siehe die Bergpredigt, vor allem Mt. 5,20 und 48), ermöglicht uns durch den Geist aber auch die Erfüllung dieses Standards. Das führt zum großen Paradoxon vom Leben im Geist: Das Gesetz wird erfüllt von denen, die ihr Leben nicht nach dem Gesetz, sondern nach dem Geist richten:
Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: Er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist. (Röm. 8,2-4)
3. Manche Gesetze sind erfüllt. Der gesamte Opferdienst samt Stiftshütte und Priesterschaft war von vorneherein nur als zeitlich beschränkte Lösung gedacht, bis zur Erscheinung Jesu, der als der überlegene Hohepriester ein besseres Opfer darbrachte, wie im Hebräerbrief erklärt wird.
4. Manche Gesetze sind Zugeständnisse. Falls du 2. Mose 21-23 gelesen hast, hast du dich vielleicht über die Vorschriften zur Sklaverei gewundert. Billigt Gott die Sklaverei? Nein, es handelt sich hier um eine damals gefestigte Praxis, die vom Gesetz als Zugeständnis geduldet wird – bis auf Weiteres.
Das klassische Beispiel für ein solches Gesetz, das als Zugeständnis nicht Gottes eigentlichem Willen entspricht, ist das Gesetz über die Ehescheidung (Dt. 24, 1-4). Wie Jesus sagt, Mose hat es euch erlaubt, „eures Herzens Härte wegen“ (Mt. 19,8) – es ist ein reines Zugeständnis. Ein weiteres Vorbild ist die Polygamie in Israel; sie wurde geduldet, nicht gutgeheißen.
5. Manche Gesetze sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Obwohl die Vorschriften über die Sklaverei in 2. Mose 21 diese Praxis zulassen, schreiben sie immerhin klare Einschränkungen vor. Es ist offensichtlich wichtig, wie mit Menschen umgegangen wird. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ähnliches gilt für die Behandlung von Frauen in Israel. Die Gesetze dazu sind nicht das letzte Wort, sie sind aber immerhin eine Verbesserung, wodurch Frauen ein gewisses Maß an Schutz erhielten, den sie vorher nicht hatten.
Das klassische Beispiel eines solchen Gesetzes ist die so genannte Lex Talionis (vom Lat. lex = Gesetz und talio = Vergeltung von Gleichem mit Gleichem), Auge um Auge (2. Mo. 21,23-25; 5. Mo. 19,21). Damit wird der Vergeltung eine Grenze gesetzt. Gottes eigentliche Anliegen ist selbstverständlich die Vergebung, nicht eine Beschränkung der Rache. Das Gebot ist aber ein Schritt in die richtige Richtung.
Sowohl Gesetze, die ein Zugeständnis sind, wie auch solche, die einen Schritt in die richtige Richtung darstellen, erfüllen nicht Gottes eigentliche Absicht.
6. Manche Gesetze beziehen sich auf den einzigartigen Status Israels unter dem alten Bund. Israel war die einzige Nation, in der Kirche und Staat wahrhaft und vollständig eins waren. Das macht es schwierig (wenn auch nicht unbedingt unmöglich), Israel mit einem modernen Staat zu vergleichen oder Schlussfolgerungen für eine biblisch-christliche Gesetzgebung für heute zu ziehen.
Wenn etwas unethisch ist, heißt das dann, der Staat müsse sich einmischen? Bei Mord und Diebstahl ist das sicher richtig; aber bei Ehebruch? Oder Götzendienst? Oder Irrlehre? Sollten wir eines des vielleicht grundlegendsten aller Menschenrechte, die Religionsfreiheit, abschaffen? Möchten wir wirklich, dass der Staat in solchen Fragen als Schiedsrichter auftritt und das innere Leben von Religionsgemeinschaften, wozu auch unsere Gemeinden gehören, mitbestimmt? Oder sollten diese Fragen eine innere Angelegenheit bleiben?
Für bestimmte Übertretungen schreibt das Gesetz ein konkretes Strafmaß vor. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um ein Zugeständnis, nicht Gottes Ideallösung. Aber selbst wenn doch, wer sollte diese Bestrafung heutzutage durchführen? Der Staat? Die Gemeinde? Gott? Es kommt mir vor, dass dieses Element des Gesetzes für die heutige Gesetzgebung wenig Hilfestellung leistet. Interessanterweise wird die Strafe schon im Alten Testament nicht konsequent umgesetzt. David beging Ehebruch und Mord, wurde aber nicht hingerichtet. Die Sanktionen und Bestrafungen im Alten Testament werden im Neuen nicht wiederholt oder neu aufgelegt. Jesus verurteilte die Ehebrecherin nicht, die zu ihm gebracht wurde.
Israel war der Versuch, eine vollkommene Gemeinschaft zu gründen, und auch aus diesem Grund einzigartig. Keine moderne Gesellschaft ist berufen, das Gleiche zu versuchen. Die Geschichte zeigt, dass solche Versuche meist mit einem Blutbad enden. Ein christlicher Entwurf für Regierung und Staat nimmt die menschliche Natur und die Existenz des Bösen ernst. Politik, Gesellschaft und Staatswesen bleiben somit auch im besten Fall ein Kompromiss.
7. Wir müssen den kulturellen Hintergrund eines Gebotes in Betracht ziehen. Diese Überlegung ist eng mit dem nächsten Punkt (8) verbunden.
8. Wir müssen den Grund für ein Gebot verstehen. Nur wenn wir den kulturellen Sinn eines Gebotes und seine Begründung verstehen, haben wir eine Chance, das Gebot sinnvoll und korrekt auf unsere Umstände zu übertragen. Warum verbietet 3. Mose 19,28 Tattoos? Trifft dieses Verbot auch auf Christen zu? Was, wenn Tattoos damals eine Rolle im Götzendienst spielte? Sollte das nicht einen Unterschied machen?
Und wie ist das, wenn man einen Ziegenbock in der Milch seiner Mutter kocht (2. Mo. 23,19; mir ist klar, dass es dir wahrscheinlich noch nicht in den Sinn gekommen ist, das zu tun)? Ist das ein Gesetz, das Grausamkeit gegen Tiere verbietet? Geht es um koscheres Essen? Es gibt koschere McDonald’s Restaurants in Israel, die keine Cheeseburger servieren. Es könnte ja sein, dass die milchgebende Kuh verwandt ist mit der Kuh, deren Fleisch man verwendet. Ist das eine passende Anwendung dieses Gebotes? Eher nicht. Wahrscheinlich verbietet dieses Gesetz ein kanaanitisches Fruchtbarkeitsritual.
Das Vorbild Israels unter dem Gesetz
Trotz dieser Vorbehalte lohnt sich die Auseinandersetzung mit dem Gesetz. Es hilft uns dabei, Gottes Wesen und seine Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit besser zu verstehen. Und es hilft uns auch bei der Überlegung, was für eine Gesellschaft wir bilden wollen.
Das Gesetz bietet dazu zwar keinen einfachen Bauplan. Es ist nicht dazu gedacht, dass wir das politische System Israels kopieren (was schon nur deswegen nicht möglich ist, weil dieses System sich veränderte: am Anfang war es eine Konföderation von Stämmen, dann eine Monarchie, nach dem Exil eine Provinz in einem Großreich mit beschränkter Autonomie). Das Gesetz und das Vorbild Israels vermitteln aber Hinweise, nicht zuletzt, indem sie uns die Wichtigkeit von Gerechtigkeit und anderen Werten einprägen.
Wenn Israel diese Gesetze gehalten hätte, was für eine Nation wäre es geworden?
- Eine Nation mit Gerechtigkeit – für alle. Der König stand nicht über dem Gesetz, sondern war dem Gesetz unterstellt, wie jeder andere.
- Eine Gesellschaft, in der alle die Chance hatten, sich wirtschaftlich zu betätigen und für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Der Schlüssel dazu war die breite Verteilung von Land. Unter Josua erhielt jede Familie einen Erbteil. Mit dem Jubeljahr (Lev. 25) wurde ein System eingerichtet, wodurch Land mindestens einmal in jeder Generation an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben wurde, was Großgrundbesitz verhindern sollte. Das Land sollte nicht in die Hände von einigen wenigen superreichen Familien gelangen. Wäre dies umgesetzt worden, dann hätte es in Israel eine breite Verteilung von Landbesitz und vergleichsweise geringe Einkommensunterschiede gegeben.
- Folglich ein Land der Freiheit mit geringen Klassenunterschieden.
- Eine Gesellschaft, in der die Menschen Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.
- Eine barmherzige Gesellschaft: Man kümmert sich um Arme und Schwache. Auch für Arbeiter wurde gesorgt; der Sabbat galt für Sklaven und sogar für Tiere.
- Ein Land ohne Missbrauch und sexuelle Belästigung.
Und so weiter. Gar nicht schlecht, oder?
In der nächsten Ausgabe gehe ich der Frage nach: Wer schrieb das vierte Evangelium?
Zum Thema (in Englisch): What was the purpose of the Torah (Moses’ Law)?
Literaturangaben und Urheberschaft
Deutsche Bibelgesellschaft (1984), Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)
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