Wahrscheinlich ist kein Ereignis im Alten Testament so gut dokumentiert wie der Angriff Sanheribs auf Juda im Jahre 701 v. Chr. Die Bibel selbst gibt uns drei Berichte: 2. Könige 18,13-19,36, Jesaja 36-37 und 2. Chronik 32,1-23. Darüber hinaus haben wir mehrere Versionen von Sanheribs eigenem Bericht über das Ereignis sowie Reliefs in Stein gemeißelt, die detailliert zeigen, wie seine Armee die Stadt Lachisch belagert und stürmt und was sie danach der Bevölkerung antut.
Bildnachweis: Osama S. M. Amin (2014), Assyrian Slingers Attacking The City of Lachish, https://www.ancient.eu/image/2806/ (CC BY-NC-SA 3.0)
Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST und als AUDIO PODCAST
Diese Reliefs befinden sich im Britischen Museum, und es lohnt sich, einen Blick darauf zu werfen:
Belagerung von Lachisch in 3D (British Museum)
Wenn du etwas mehr Zeit hast, empfehle ich diesen Artikel mit zahlreichen Fotos, die Details des Reliefs zeigen:
http://etc.ancient.eu/photos/siege-lachish-reliefs-british-museum/
Der relative Reichtum an Quellen macht es nicht einfacher zu bestimmen, was genau passiert ist. Es gibt Widersprüche zwischen der biblischen und der assyrischen Version. Und selbst innerhalb der biblischen Berichte ist es schwierig zu erkennen, wie manche Teile zusammenpassen. Ich arbeite an einem Studienführer für das Buch Jesaja (den ich hoffentlich später in diesem Jahr zur Verfügung stellen kann). Dabei bin ich auf die kürzlich veröffentlichte Dissertation von Nazek Khalid Matty (2016) gestoßen, die sich eingehend mit dem Angriff auf Juda 701 v. Chr. befasst. Mit Hilfe seiner Ergebnisse will ich in diesem Text eine neue Interpretation der Berichte in Könige und Jesaja zu geben versuchen.
Ich beginne mit Hintergrundinformationen über Sanherib, einschließlich seiner eigenen Darstellung der Invasion Judas und seines Umgangs mit dem König Hiskia. Dies wird uns zwei Konfliktpunkte zwischen der Version Sanheribs und der Bibel aufzeigen, für die ich eine Lösung vorschlage. Anschließend befasse ich mich mit dem Bericht im Buch 2. Könige und mit der Frage, warum Sanherib nach Ninive zurückkehrte. Die Antwort ist nicht so offensichtlich, wie es scheint; ihre Auslegung ist umstritten.
Sanherib im Krieg
Im Laufe seiner Geschichte hatte das assyrische Reich viele kleinere Stadtstaaten und Königreiche in sich aufgenommen. Von diesen wurde erwartet, dass sie jährlich beträchtliche Tributzahlungen leisteten. Diese Last war schwer. Das machte die Vorstellung attraktiv, sich vom assyrischen Reich zu lösen, auch wenn die Assyrer bei der Unterdrückung von Rebellion rücksichtslos und brutal vorgingen. Dennoch kam es immer wieder zu Aufständen, vor allem, wenn ein neuer König den Thron bestieg. Dies geschah auch 705 v. Chr., als Sanherib seinen Vater Sargon als König von Assyrien ablöste.
Bevor er König wurde, war Sanherib für die Verwaltung des Reiches zuständig gewesen, während Sargon sich um die Feldzüge gekümmert hatte. Sanherib war selbst an keiner dieser Kampagnen beteiligt gewesen, so dass niemand von ihm als Militärführer viel erwartete. Diese Einschätzung sollte sich als schwerer Fehler herausstellen. Schon bald stellte Sanherib seine Fähigkeiten als Anführer der Armee unter Beweis.
Sein erster Feldzug im Jahre 703 v. Chr. führte ihn nach Babylon, wo Merodach-Baladan die Macht ergriffen hatte (Merodach-Baladan wird in 2. Könige 20,12 und Jesaja 39,1 erwähnt; er sendete eine Botschaft zu Hiskia). Zwei Jahre später, 701 v. Chr., wandte sich Sanherib den aufständischen Nationen im Westen seines Reiches zu. Ermutigt durch Ägypten (Assyriens Hauptrivale im Westen) hatten sich dort die Stadtstaaten Tyrus und Sidon, die Philister, Juda und andere gegen die assyrische Herrschaft aufgelehnt. Sanherib befasste sich zunächst mit Tyrus und Sidon, besiegte die Ägypter und Philister weiter südlich und fiel danach in Juda ein.
Wir sollten die biblischen Berichte über diesen Angriff nicht missverstehen. Das Ergebnis war für Juda verheerend. Jerusalem wurde auf wunderbare Weise gerettet, aber ein großer Teil des Landes wurde verwüstet und zerstört. So beschreibt Jesaja die Folgen der Invasion:
Euer Land ist verwüstet, eure Städte sind mit Feuer verbrannt; Fremde verzehren eure Äcker vor euren Augen; alles ist verwüstet wie beim Untergang Sodoms. Übrig geblieben ist allein die Tochter Zion wie ein Häuslein im Weinberg, wie eine Nachthütte im Gurkenfeld, wie eine belagerte Stadt. Hätte uns der HERR Zebaoth nicht einen geringen Rest übrig gelassen, so wären wir wie Sodom und gleich wie Gomorra. (Jes. 1,7-9)
Sanherib beschreibt den Feldzug so:
Und Hiskia, der Judäer, der sich meinem Joch nicht unterworfen hatte: 46 seiner starken, ummauerten Städte und die kleinen Ortschaften in ihrem Umfeld, ohne Zahl, belagerte ich und nahm sie ein, indem sie mit Sturmböcken und Belagerungsgeräten zerstört wurden, und indem sie zu Fuß, durch Minen, Tunnel und Breschen angegriffen und gestürmt wurden. 200.150 Menschen, groß und klein, männlich und weiblich, Pferde, Maultiere, Esel, Kamele, Rinder und Schafe ohne Zahl brachte ich von ihnen weg und betrachtete sie als Beute. (Hiskia) selbst sperrte ich wie einen Vogel im Käfig in Jerusalem, seiner königlichen Stadt, ein. Ich warf einen Erdwall gegen ihn auf – denjenigen, der aus dem Stadttor kam, sandte ich zu seinem Elend zurück. Seine Städte, die ich beraubt hatte, schnitt ich von seinem Land ab und gab sie Mitinti, dem König von Aschdod, Padi, dem König von Ekron, und Silli-bêl, dem König von Gaza. Und so verminderte ich sein Land. Ich erhöhte den bisherigen Tribut, und ich legte ihm die Übergabe des Landes und Steuer auf – Geschenke an meine Majestät. Was Hiskia betrifft, die furchtbare Pracht meiner Majestät überwältigte ihn. Die Araber und seine Söldnertruppen, die er zur Stärkung Jerusalems, seiner königlichen Stadt, eingesetzt hatte, ließen ihn im Stich. Neben den dreißig Talenten Gold und achthundert Talenten Silber, Edelsteinen, Antimon, Juwelen, großen Karneolen, elfenbeineingelegten Sofas, elfenbeineingelegten Stühlen, Elefantenhäuten, Elefantenzähnen, Ebenholz, Buchsbaum, allerlei wertvollen Schätzen, sowie seinen Töchtern, seinem Harem, seinen männlichen und weiblichen Musikern – die brachte er mir nach Ninive, in meine königliche Stadt. Um Tribut zu zollen und Knechtschaft anzunehmen, sandte er seine Boten aus. (wie zitiert in Hanson 2017)
Manches in diesem Text ist überraschend. Sanheribs Bericht gibt keine Niederlage zu, sondern beansprucht Erfolg. Sanherib behauptet, dass Hiskia ihm einen beträchtlichen Tribut nach Ninive schickte. Der biblische Bericht spricht zwar von einem Tribut, zumindest in 2. Könige 18,4-6. Der Text vermittelt aber den Eindruck, dass der Tribut am Anfang der Invasion, vor Sanheribs Abreise, und in Lachisch, nicht in Ninive, übergeben wurde. Die beiden Hauptfragen lauten daher:
- Wurde Sanherib besiegt oder nicht?
- Wann und wo erhielt Sanherib einen Tribut von Hiskia?
Sieg oder Niederlage?
Die erste Frage ist nicht schwer zu beantworten. Sanheribs Bericht ist Propaganda. Er setzt die Ereignisse so positiv wie möglich in Szene. Sein Schweigen spricht lauter als seine Worte. Warum sagt uns Sanherib nicht, dass er Jerusalem und seinen König eingenommen hat? Warum hat er ihn nur „wie einen Vogel im Käfig“ eingesperrt?
Mattys Dissertation bestätigt diese Zweifel an der Version von Sanherib. Matty zog alle offiziellen Inschriften über die Feldzüge von Sanherib in Betracht, nicht nur die über den Angriff auf Juda. So ließ sich feststellen, was in solchen Feldzügen „normal“ oder „typisch“ war und was in Sanheribs Bericht über Hiskia und Jerusalem „abnormal“ ist.
Es war sicher nicht normal, einen besiegten König in seiner Stadt – und als König – zurückzulassen. Bei anderen Gelegenheiten machte Sanherib sehr deutlich, dass der König sich ihm persönlich unterwarf. Normalerweise wurde ein solcher König daraufhin hingerichtet und ersetzt.
Dass Sanheribs „Sieg“ über Hiskia nicht ganz der Erfolg war, als den Sanherib ihn zu verkaufen versuchte, zeigt auch die höchst ungewöhnliche Tributzahlung. Sie ist zu groß, um eine normale jährliche Abgabe zu sein. Es handelt sich wohl um eine Sonder-Abgabe, die als Ausdruck der Übergabe oder Unterwerfung einmalig bezahlt wurde. Aber in solchen Fällen stellte sich der König, der sich unterwarf, immer persönlich vor, um den Tribut zu übergeben und seine Unterwerfung zu beweisen. Er kam entweder aus seiner Stadt heraus, hieß den assyrischen König in seinem Palast willkommen oder reiste nach Ninive, um sich dort persönlich zu präsentieren. Es sollte eine demütigende Erfahrung sein, die sicherstellte, dass der betroffene König seine Stellung nicht vergessen würde. Hiskias Tribut wurde offenbar ohne Hiskias persönliches Erscheinen übergeben und akzeptiert – ein weiterer Kompromiss des assyrischen Königs.
Obwohl das alles den biblischen Bericht über die göttliche Intervention und die Errettung Jerusalems (Jes. 37,36) nicht beweist, dient es indirekt als Bestätigung für die biblische Darstellung: Kurz vor dem Ziel scheiterte Sanherib und musste die Eroberung Jerusalems aufgeben.
Der Tribut
Das erklärt natürlich noch nicht den Tribut oder die Frage, wann und wo er übergeben wurde. So äußert sich das Buch Könige über den Tribut:
Im vierzehnten Jahr des Königs Hiskia zog herauf Sanherib, der König von Assyrien, gegen alle festen Städte Judas und nahm sie ein. Da sandte Hiskia, der König von Juda, zum König von Assyrien nach Lachisch und ließ ihm sagen: Ich hab Unrecht getan, zieh weg von mir. Was du mir auferlegst, will ich tragen. Da legte der König von Assyrien Hiskia, dem König von Juda, dreihundert Zentner Silber auf und dreißig Zentner Gold. So gab Hiskia all das Silber, das sich im Hause des HERRN und in den Schätzen des Hauses des Königs fand. Zur selben Zeit zerbrach Hiskia, der König von Juda, die Türen am Tempel des HERRN und das Goldblech, das er selbst hatte darüber ziehen lassen, und gab es dem König von Assyrien. Und der König von Assyrien sandte den Tartan und den Rabsaris und den Rabschake von Lachisch zum König Hiskia mit großer Heeresmacht nach Jerusalem und sie zogen hinauf. (2 Kö. 18:13-17a)
Es wird oft vermutet, dass Hiskia diesen Tribut zahlte, um Sanherib zu überreden, Juda nicht anzugreifen. In diesem Fall hätte Hiskia aber völlig umsonst bezahlt. Wie sonst könnten wir die Berichte miteinander in Einklang bringen?
- Möglicherweise gab es zwei Tributzahlungen. Das würde den Konflikt beseitigen, ist aber unwahrscheinlich. Hiskia war schon überfordert, einmal zu zahlen; wie konnte er nochmals eine so hohe Summe zahlen, nachdem die Invasion sein Königreich und seine Wirtschaft verwüstet hatte?
- Es kann sein, dass Sanherib den Zeitpunkt und den Ort der Übergabe falsch darstellt. Es ist jedoch schwer zu erkennen, warum er dies tun würde; anders als bei der Frage, was mit Hiskia und Jerusalem geschah, stellt es ihn nicht in ein besseres Licht.
- Es könnte sein, dass Sanherib in diesem Punkt die Wahrheit spricht. Es ist wichtig zu sehen, was der biblische Text nicht sagt. Die Verhandlungen begannen in Lachisch, aber wir wissen nicht, wann und wo der Tribut gezahlt wurde.
Der einzige Zeitbezug ist „zur selben Zeit“ (Vers 16). Das ist vage und ungenau. Beachte, dass Vers 13 eine allgemeine Aussage ist und die gesamte Kampagne in Juda zusammenfasst: Um diese Zeit [der Invasion] zahlte Hiskia einen Tribut. Und beachte die Verwendung eines ähnlichen Ausdrucks in 2. Könige 20,12:
Zu dieser Zeit sandte Merodach-Baladan, der Sohn Baladans, der König von Babel, Brief und Geschenke an Hiskia; denn er hatte gehört, dass Hiskia krank gewesen war. (Hervorhebung hinzugefügt)
Das ist auch vage und ziemlich weit gefasst. War dies vor oder nach dem Angriff (es kann kaum während der Invasion gewesen sein)? Es wird üblicherweise angenommen, dass die Boten vor dem Angriff kamen, weil Merodach-Baladan 703 v. Chr. aus Babylon vertrieben wurde. „Zu dieser Zeit“ ist daher ein Ausdruck mit einer gewisser Flexibilität. Wir sollten auch 2. Könige 19,37 beachten: Zwei seiner Söhne töteten Sanherib. Im biblischen Text klingt es so, als wäre dies kurz nach dem Feldzug in Juda geschehen. Aber es geschah 681 v. Chr., etwa 20 Jahre später. (Immer noch ein schlimmes Ende, wenn man von den eigenen Kindern ermordet wird.)
Offensichtlich ist die Darstellung im Buch Könige nicht an einer detaillierten Chronologie interessiert.
Es bleibt somit die reale Möglichkeit, dass die Tributzahlung zu Beginn des Angriffs eingeleitet, aber erst nachträglich abgeschlossen wurde.
Interessanterweise, obwohl die Darstellung in Jesaja 36-37 fast Wort für Wort identisch ist mit der in 2. Könige 18 und 19, fehlen die Verse 2. Könige 18,14-16 in Jesaja. Hat Jesaja diese Verse gelöscht? Hat das Buch Könige sie eingesetzt? Es ist schwer zu sagen, aber im letzten Fall könnte die Tribut-Episode aus einer anderen Quelle stammen.
All dies führt zu zwei Fragen:
Warum setzt das Buch Könige die Tributverse an den Anfang? Vielleicht, weil es den Grund für die Invasion beleuchtet. In der Schriftstelle direkt davor (2. Könige 18,9-12) lesen wir von einer anderen assyrischen Invasion durch König Salmanassar, der in das Königreich Israel einfiel, Samaria belagerte und die Bevölkerung in Gefangenschaft wegführte – weil sie Gott ungehorsam waren. Das ist nicht der Grund für die Invasion von Sanherib. Sanherib kommt nicht, weil Hiskia gegen Gott rebelliert hat, sondern weil er gegen den assyrischen König rebelliert hat. 2. Könige 18,7 scheint das sogar positiv zu bewerten. Hiskias Eingeständnis, „Ich habe Unrecht getan“ (18,14), bezieht sich nicht auf Gott, sondern auf Sanherib.
Warum würde Hiskia immer noch zahlen, nachdem Sanherib gegangen war? Matty geht davon aus, dass die assyrische Armee nicht vollständig besiegt wurde. Da sie an mehreren Orten gleichzeitig gekämpft hatte, könnten ein oder mehrere Teile der Armee noch eine Gefahr bedeuten. Eine andauernde assyrische Präsenz in Juda oder in der Nähe würde eine Bedrohung darstellen. Es bestand die Möglichkeit, dass Sanherib zurückkehren würde, um zu beenden, was er begonnen hatte. Um dies zu verhindern, wurde der Tribut gezahlt, so Matty, und wie sich herausstellte, beendete diese pro-Forma Unterordnung die Bedrohung.
Warum kehrte Sanherib nach Ninive zurück?
Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Weil seine Armee vernichtet worden war. Aber auch das wird im Text nicht explizit gesagt:
Und in dieser Nacht fuhr aus der Engel des HERRN und schlug im Lager von Assyrien hundertfünfundachtzigtausend Mann. Und als man sich früh am Morgen aufmachte, siehe, da lag alles voller Leichen. So brach Sanherib, der König von Assyrien, auf und zog ab, kehrte um und blieb zu Ninive. (2. Kö. 19,35-36; im Grundtext heißt es nicht „so“, sondern „und“: und Sanherib brach auf)
Ereignis B (Sanherib brach auf) folgte auf Ereignis A (Vernichtung der assyrischen Armee). Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass B durch A verursacht wird. Es könnte so sein, aber sicher ist es nicht. Es gibt vier Möglichkeiten:
- Der Tribut überzeugte Sanherib, den Angriff zu beenden. Nicht wahrscheinlich, denn nichts im Text deutet darauf hin.
- Nach Jesajas Prophezeiung würde Sanherib den Angriff beenden wegen eines Gerüchts, das er hören würde: „Siehe, ich will einen Geist über ihn bringen, dass er ein Gerücht hören und in sein Land zurückziehen wird, und will ihn durchs Schwert fällen in seinem Lande“ (2. Kö. 19,7). Mehr dazu später.
- Der König von Ägypten (im engeren Sinne bezieht sich der Text statt auf Ägypten auf „Kusch“ oder Nubien) war im Anmarsch: „Der König von Assyrien hatte nämlich gehört über Tirhaka, den König von Kusch: Siehe, er ist ausgezogen, mit dir zu kämpfen.“ (2. Kö. 19,9). Es gibt Leute, die meinen, dass Sanherib sich deshalb zurückzog.
- Die Vernichtung der Armee. Das mag sehr wohl eine Rolle gespielt haben, aber in Jesajas Prophezeiung ist es nicht die Vernichtung seiner Armee, sondern das Gerücht, das Sanherib zum Rückzug veranlasst.
Matty kommt zu dem Schluss, dass das Gerücht der wahre Grund für Sanheribs Rückkehr war. Viele Ausleger argumentieren, dass der Inhalt des Gerüchts der Bericht über den ägyptischen Aufmarsch ist, aber Matty argumentiert dagegen. Der Text sagt dies nicht aus. Ein ägyptischer Versuch, sich in die Kampagne einzumischen, wäre wohl kaum eine Überraschung gewesen. Und es wäre nicht allzu besorgniserregend gewesen, wenn man die Schwäche des bisherigen ägyptischen Engagements anschaut. Nach den Worten des Rabshakeh war Ägypten ein zerbrochener Rohrstab, „der jedem, der sich darauf stützt, in die Hand dringen und sie durchbohren wird“ (2. Kö. 18,21).
Vor allem aber wäre ein ägyptischer Angriff ein schlechter Vorwand (und ein schlechter Moment), das Land zu verlassen; genau in einer solchen Situation braucht es den Oberbefehlshaber. Man kann Sanherib vieles vorwerfen, aber er war kein Feigling. Wenn irgendein Gerücht Sanherib dazu hätte bewegen können, das Land zu verlassen, so Matty, dann eins über erneute Unruhen in Babylon – ein Ort in der Nähe der Heimat und von größerer Bedeutung für Assyrien als Jerusalem oder Ägypten. Das würde es in der Tat rechtfertigen, nach Hause zu eilen.
Babylon war für Sanherib sein ganzes Leben lang eine Last. Seine erste Kampagne, 703 v. Chr., beschäftigte sich mit Babylon, und er musste zweimal zurückkehren, im Jahr 700 (im Jahr nach den Kämpfen in Juda!) und im Jahr 689. Am Ende dieses dritten Feldzuges ließ er Babylon vollständig zerstören (möglicherweise die Erfüllung von Jesaja 21).
Es war vergeblich. Nur 75 Jahre später stieg Babylon zur Weltmacht auf und besiegte Assyrien für immer.
Literaturangaben
Deutsche Bibelgesellschaft (1984), Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)
K. C. Hanson (2007), Sennacherib Prism: Column Three, http://www.kchanson.com/ANCDOCS/meso/sennprism3.html (accessed: 21 Jan. 2018)
Nazek Khalid Matty (2016), Sennacherib’s Campaign against Judah and Jerusalem in 701 B.C.: A Historical Reconstruction. Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft: Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, Vol. 487 (Berlin & Boston: De Gruyter)