Wo haben die Israeliten das Rote Meer durchquert? Oder sollten wir besser fragen: Was genau haben sie durchquert? Und wo ist der Berg, wo Gott sich laut Überlieferung Israel offenbarte? Schon lange befasst sich die Bibelwissenschaft mit Fragen wie diesen. Für viele moderne Gelehrte gehört all dies allerdings zum Reich der Legenden und Mythen; nichts davon ist wirklich geschehen, und somit erübrigen sich die geografischen Fragen.
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James Hoffmeier sieht das anders. In einem seiner Bücher, Ancient Israel in Sinai: The Evidence for the Authenticity of the Wilderness Tradition (2005; siehe auch Byers 2008b), befasst er sich intensiv mit diesen Fragen. Er findet historische Belege und Hinweise dafür, dass die Israeliten aus Ägypten kamen und Zeit in der Sinai-Wüste verbrachten, bevor sie im Land der Verheißung ankamen.
Die Beantwortung der geografischen Fragen ist indes alles andere als einfach. Man kann kaum erwarten, dass eine Gruppe von Wanderern, selbst eine sehr große Gruppe, in der Wüste viele Hinweise für Archäologen hinterlassen hat, die ihnen sagen, dass sie da waren und die es möglich machen ihre Identität festzustellen.
Welche Belege gibt es? Hoffmeier findet sie in der historischen Geografie, in ägyptischen Texten und im biblischen Bericht über den Auszug Israels und die Wüstenwanderung.
Welches Meer?
Mich hat fasziniert, wie sehr sich die Geografie des betreffenden Gebietes verändert hat. Die Küste des Mittelmeers liegt heute deutlich weiter nördlich als zur Zeit Mose. An der Grenze zwischen Ägypten und der Sinai-Halbinsel gab es deutlich mehr Wasser. Mehrere Seen sind seither ganz oder weitgehend ausgetrocknet.
Es ist daher sinnlos, sich eine aktuelle Karte der Gegend anzusehen, um herauszufinden, wo die Israeliten möglicherweise durch das Meer gegangen sind. Zu viel hat sich verändert. Es ist jedoch möglich, zu rekonstruieren, wie die Region in der Vergangenheit aussah. Hoffmeier bietet eine solche Rekonstruktion für die Zeit des Exodus an und nutzt sie, um Israels Bewegungen, als sie aus Ägypten kamen, zurückzuverfolgen. Dies ermöglicht es ihm, eine überzeugende Ortsangabe für die Durchquerung des Meeres vorzuschlagen.
Zunächst ist es aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass der hebräische Text nie vom Roten Meer spricht. Er bezieht sich immer wieder auf Yam-Suph, wörtlich übersetzt das Schilfmeer. Die Septuaginta (die griechische Übersetzung des AT) übersetzt diesen hebräischen Ausdruck als Rotes Meer. Diese Bezeichnung wird auch im NT verwendet, ist aber nicht das, was der hebräische Text sagt. Das Vorhandensein von Schilf (oder Papyrus) deutet auf flaches Wasser hin, während das Meer, das heute das Rote Meer genannt wird, sehr tief ist. Daher ist es unwahrscheinlich, dass bloßer Wind, wie stark auch, einen Durchgang durch das Wasser hätte öffnen können, wie der Text andeutet (2. Mo. 14,21). Das Rote Meer, genauer gesagt der Golf von Suez, wird daher wohl kaum das Meer des Exodus sein (wie in Byers 2008a argumentiert).
Es gibt weitere Gewässer, näher am Land Goschen, wo die Israeliten ihre Reise begannen; die vereinfachte Skizze zeigt ihre etwaige Lage in der Antike. Von Süden nach Norden gab es: die Bitterseen, den Timsah-See, die Ballah-Seen und eine Lagune.
Die Ballah-Seen und die Lagune wurden durch eine relativ schmale Landbrücke getrennt. Sie wäre der kürzeste Weg nach Kanaan gewesen, aber sie wurde von einer ägyptischen Festung gut verteidigt (Hoffmeier 2005: 90-94). Hoffmeier argumentiert, dass das biblische Migdol ein weiteres Fort in unmittelbarer Nähe war und den Weg ebenfalls überwachte. Baal-Zefon (übersetzt Baal des Nordens, der den Seen möglicherweise ihren Namen Ballah gab) und Pi-Hahirot (übersetzt Mündung des Kanals) lagen ebenfalls in der Nähe der Ballah-Seen (ebd.: 95-109). Darüber hinaus weist Hoffmeier nach, dass das ägyptische Äquivalent von Yam-Suph, obwohl manchmal als allgemeiner Begriff für ein Biotop (Papyrussumpf) verwendet, häufiger als geografischer Name zu dienen scheint und sich vermutlich auf die Ballah-Seen und ihre Feuchtgebiete bezieht (75-89). Er schlägt daher vor, dass das Schilfmeer in Exodus 14 sich im Gebiet der Ballah-Seen befindet.
Der Reiseverlauf beschrieben in 4. Mose 33,6-8 (Zürcher Bibel) bestätigt diese Schlussfolgerung:
Und von Sukkot zogen sie weiter und lagerten in Etam, das am Rand der Wüste liegt. Und von Etam zogen sie weiter und kehrten um nach Pi-Hachirot, das gegenüber von Baal-Zefon liegt, und sie lagerten vor Migdol. Und von Pi-Hachirot zogen sie weiter und zogen mitten durch das Meer in die Wüste, und sie gingen drei Tagesreisen weit durch die Wüste von Etam und lagerten in Mara.
Die Israeliten sind anfangs in südöstlicher Richtung gewandert, kamen nach Etam, und kehrten um, Richtung Norden. (Ich zitiere hier die Zürcher Bibel, weil sie, anders als z.B. die Lutherbibel, das hebräische Verb richtig übersetzt: sie kehrten um.) So lässt sich erklären, dass sie einige Tage später ein zweites Mal nach Etam kamen.
Der Golf von Akaba: Eine unmögliche Alternative
Manchmal stößt man auf einen ganz anderen Vorschlag für die Route des Exodus. Darin wird der Golf von Akaba als das durchquerte Meer ausgewiesen. Dies hängt mit der Vorstellung zusammen, dass sich der Berg Sinai im Land Midian und damit im heutigen Saudi-Arabien befunden haben soll. Galater 4,25, „den Berg Sinai in Arabien“, wird als weiterer Beleg aufgefasst, indem man fälschlicherweise annimmt, dass der Begriff Arabien im Galaterbrief genau wie heute die arabische Halbinsel, das Gebiet östlich vom Golf von Akaba, bezeichnet (Arabien umfasste in der Römerzeit aber auch die Sinai-Wüste; Franz 2008).
Tatsache ist, dass die Midianiter weit verstreut lebten (in 4. Mose 25 finden wir sie bis in die Ebene Moabs); es ist offen, wo Jethro, der Schwiegervater Mose, lebte, auf jeden Fall nicht in unmittelbarer Nähe des Berges. Wenn Mose in 2 Mose 3 zum ersten Mal zum Berg kommt, deutet nichts daraufhin, dass der Berg sich in Midian befindet.
Außerdem ist der Golf von Akaba schlichtweg zu weit weg, um das Meer von Exodus 14 zu sein. Hoffmeier schätzt die Entfernung, die jemand zu Fuß durch die Wüste zurücklegen könnte, auf 26 bis 37 km pro Tag (2005: 120). Es hätte viele Tage gedauert, um zum Golf zu gelangen, und in 2. Mose 13,20-14,2 und 4. Mose 33 sind nicht viele Stationen bis zur Durchquerung des Meeres aufgeführt. So bleibt auch unklar, wohin die Israeliten sich in 2. Mose 14,1 umkehrten und wie sie zweimal den gleichen Ort (Etam) erreichten.
Die Lokalisierung des Schilfmeers im Norden, wie Hoffmeier es tut, macht mehr Sinn.
Der Berg Sinai
Nachdem sie Ägypten hinter sich gelassen hatten, zogen die Israeliten nach Süden in die Wüste, zum Berg Sinai. Dies führt zur nächsten Frage: Wo war dieser Berg?
Ich war auf dem Berg, der häufig und traditionell als Berg Sinai bezeichnet wird. Gebel Musa, so nennen ihn die Einheimischen, arabisch für den Berg Mose. Franziska und ich waren 2001 dort, als wir für ein paar Wochen durch Israel reisten und einen Abstecher in die Sinai-Wüste machten. Wir wanderten nachts hoch, um bei Sonnenaufgang oben auf dem Gipfel zu sein. Der Sonnenaufgang auf dem Sinai hat den Ruf, spektakulär zu sein. Die Wanderung war es sicherlich; ich betrachte sie als eine der schönsten, die wir je gemacht haben.
Die Ankunft auf dem Gipfel war weniger spektakulär. Dort waren bereits Hunderte von Menschen, die auch auf den Sonnenaufgang warteten. Als wir aufhörten, uns zu bewegen, wurde uns eiskalt (es war April, und der Berg ist 2285 m hoch). Und leider…. fand der Sonnenaufgang nicht statt. Nun ja, die Sonne ist natürlich aufgegangen, aber wir waren an dem einen Tag im Jahr dort, an dem es auf dem Berg Sinai wolkenbedeckt war. Es gab also nichts zu sehen. Die Wanderung hat sich aber trotzdem gelohnt.
Also standen wir da, wo Mose stand? Niemand weiß es. Der Reiseverlauf in 2. Mose und in 4. Mose 33 geben Hinweise auf die Entfernung, die die Israeliten zurückgelegt hatten, um zum Berg Sinai zu gelangen. Wie bereits erwähnt, schätzt Hoffmeier eine Tagesreise auf 26 bis 37 Kilometer (2005: 120). Das spricht für eine Lage im südlichen Sinai (ebd.: 115-148), wo Gebel Musa sich befindet. In dieser Region gibt es jedoch weitere Berge, die in Frage kommen.
Die Israeliten in Ägypten und in der Wüste
Hoffmeier gibt weitere Hinweise, dass die Thora authentische Erinnerungen an die Wüstenwanderung der Israeliten bewahrt. Diese Erzählungen lassen sich deswegen nicht als Frucht schöpferischer Phantasie einer späteren Zeit erklären. Zu den Hinweisen gehören israelitische Namen, die ägyptischen Ursprungs sind (wie Hofni und Pinhas; Hoffmeier 2005: 223-228), sowie Begriffe und Elemente, die mit der Stiftshütte in Verbindung stehen und auf ägyptischen Ursprung oder Einfluss hinweisen (ebd.: 209-221).
Wie Hoffmeier (ebd.: 248-249) gegen Ende seines Buches zusammenfasst:
Diese Studie versucht die Aufmerksamkeit auf die Ereignisse in der Wüste im Lichte archäologischer Beweise, Textmaterialien, Geografie, Toponymie und persönlicher Namen zu lenken. Wir haben gezeigt, dass die Geografie des Exodus dank neuer Daten aus dem Nord-Sinai geklärt wurde. Die Details des Reisens und Lebens im Sinai, wie die Thora sie darstellt, stimmen gut mit dem überein, was über den Sinai bekannt ist. Die Stiftshütte ergibt als mobiles Heiligtum für das Volk auf dem Weg Sinn, und Prototypen aus Ägypten sind dem Zeltheiligtum des Exodus ähnlich … Es wurde auch eine überraschende Anzahl von Wörtern ausgewiesen, die Objekte in der Stiftshütte und die Kleidung der Priester bezeichnen und die ägyptischer Etymologie sind. Ebenso hatte eine überraschende Zahl von Individuen des Exodus und der nachfolgenden Generationen ägyptische Namen. Wenn die Israeliten nicht in Ägypten gewesen wären, wie erklären wir dann diese Elemente? Sicherlich hätte ein Schriftsteller aus der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. in Judah oder Babylon diese ägyptischen Begriffe nicht gekannt, geschweige denn auf ägyptische Städte (wie Ramses) hingewiesen, die Jahrhunderte zuvor verlassen worden waren. Es scheint zweifelhaft, dass ein Schriftsteller aus der Spätzeit daran interessiert gewesen wäre, historische und kulturelle Details zu erforschen, nur um die Darstellung authentisch erscheinen zu lassen für ein Publikum, das den Unterschied nicht erkennen würde!
Bildnachweis
Sinai: https://pixabay.com/en/sinai-desert-egypt-travel-1947342/, CC0
SuezCanal-EO.JPG, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:SuezCanal-EO.JPG, Public Domain
Odie5533 (10 Feb. 2009), “Gulf of Suez map”, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gulf_of_Suez_map.jpg, CC BY-SA 3.0
Sunrise: https://pixabay.com/en/sinai-dessert-sunset-2796451/, CC0
Aerial: https://pixabay.com/en/red-sea-egypt-sandstorm-67618/, CC0
Literaturangaben
Byers, Gary (19. Aug. 2008a), “New Evidence from Egypt on the Location of the Exodus Sea Crossing: Part I,” http://www.biblearchaeology.org/post/2008/08/19/New-Evidence-from-Egypt-on-the-Location-of-the-Exodus-Sea-Crossing-Part-I.aspx#Article
Id. (23. Aug. 2008b), “New Evidence from Egypt on the Location of the Exodus Sea Crossing: Part II,” http://www.biblearchaeology.org/post/2008/08/23/New-Evidence-from-Egypt-on-the-Location-of-the-Exodus-Sea-Crossing-Part-II.aspx#Article
TVZ Theologischer Verlag (2007), Zürcher Bibel (Zürich: TVZ Theologischer Verlag)
Franz, Gordon (10. June 2008), “Is Mount Sinai in Saudi Arabia?” http://www.biblearchaeology.org/post/2008/06/10/Is-Mount-Sinai-in-Saudi-Arabia.aspx
Hoffmeier, James K. (2005), Ancient Israel in Sinai: The Evidence for the Authenticity of the Wilderness Tradition (New York: Oxford University Press)
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