Der Titel ist kurz – bestimmt der kürzeste, den ich bisher hatte. Nach mehreren Ausgaben, die sich mit einem ganzen Bibelbuch befassten, geht es jetzt um ein einziges Wort, und ein kurzes noch dazu: das Bindewort denn. Genauer gesagt geht es um das griechische Bindewort, das häufig mit denn übersetzt wird. Ich werde dieses griechische Wort als gár transkribieren.
Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST und als AUDIO PODCAST
Ein Bindewort, auch Konjunktion genannt, ist ein Wort, das Worte oder Satzteile verbindet und die Beziehung zwischen ihnen definiert. Das deutsche Wort denn bezeichnet normalerweise einen Grund für das, was im vorherigen Satzteil behauptet wird. Traditionell wird das griechische Wort gár ähnlich verstanden, wie diese beiden Zitate aus griechischen Lexika zeigen:
89.23 γάρ: markiert Ursache oder Grund von Ereignissen, obwohl die Beziehung in manchen Kontexten oft gering oder schwach ist – „denn, weil“. (Louw und Nida 1996: 779)
….. um den Grund für eine Aussage darzulegen, die normalerweise vorangestellt ist (Liddell 1996: 160).
Paulus liebt das Wörtchen denn
Zunächst betrachten wir jetzt ein Beispiel aus Römer 1, um die Wichtigkeit dieses Bindewortes zu illustrieren:
Ich bin ein Schuldner der Griechen und der Nichtgriechen, der Weisen und der Nichtweisen; darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen.
Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“
Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Wesen und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, sodass sie keine Entschuldigung haben. (Röm. 1,14-20; Betonung hinzugefügt)
Das ist also sieben Mal denn in wenigen Sätzen; offensichtlich befindet sich Paulus im Erklärungsmodus und liefert Gründe für das, was er behauptet. Ich werde kurz auf jedes Vorkommen von denn eingehen:
1. Warum ist Paulus bestrebt, das Evangelium zu predigen? Der Grund: Er schämt sich des Evangeliums nicht.
2. Warum schämt er sich des Evangeliums nicht? Der Grund: Es ist eine Kraft Gottes zur Erlösung.
3. Warum hat das Evangelium diese Kraft? Diesmal ist der angegebene Grund schwerer zu verstehen, aber es wird offensichtlich ein Grund genannt: Denn im Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart.
4. Aber dann, in Römer 1,18, geraten wir ins Stocken. Wir erwarten einen Grund, warum oder wie sich die Gerechtigkeit Gottes im Evangelium offenbart. Die Aussage des Paulus, dass der Zorn Gottes vom Himmel her offenbart wird, scheint keinen solchen Grund zu liefern. Um das Problem besser zu erkennen, kehre ich die Aussage um:
Der Zorn Gottes wird vom Himmel her über die Sünde der Menschen offenbart. Aus diesem Grund wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart.
Diese Begründung ergibt keinen Sinn. Ich habe mit diesem scheinbaren Bruch in der Argumentation des Paulus immer Mühe gehabt. Interessanterweise lässt die New International Version das gár in Römer 1,18 einfach weg. Dadurch wird das Problem unsichtbar, aber natürlich ist es damit nicht gelöst. Ich komme auf diesen Vers zurück.
5. Die restlichen Vorkommen von denn sind unproblematisch. Warum wird der Zorn Gottes offenbart? Oder vielleicht besser: Wie wissen wir, dass die Menschheit die Wahrheit – willentlich – unterdrückt? Der Grund (in meinen Worten): Sie könnte es besser wissen; manche Wahrheit über Gott ist ja offensichtlich. [Genau genommen verwendet Paulus hier ein anderes Bindewort als gár, allerdings eins mit ähnlicher Bedeutung.]
6. Warum ist diese Wahrheit offensichtlich? Der Grund: Gott hat sie offenbart.
7. Wie hat er diese Wahrheit offenbart? Die Antwort: Die Schöpfung ermöglicht ein grundlegendes Verständnis der göttlichen Natur.
Statistik
Das Wort gár ist im griechischen Neuen Testament ein wichtiges Wort. Laut Logos Bibelsoftware erscheint es 1009 Mal. Die English Standard Version (ESV) übersetzt es 972 Mal mit for (= denn); zusätzliche 21 Mal wird ein Synonym wie since oder because verwendet. Es gibt also eine bemerkenswerte Beständigkeit; es gibt nur 16 Fälle, in denen eine wirklich abweichende Übersetzung gewählt wurde.
Die folgende Abbildung zeigt die Verteilung des Wortes auf die Bücher des NT. Das Wort kommt am häufigsten im Römerbrief vor. Es erscheint auch oft in den Evangelien und in der Apostelgeschichte. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass es sich dabei um große Bücher handelt. Zieht man den Umfang der Bücher in Betracht, so fällt auf, wie oft das Wort in Römer, 1. und 2. Korinther, Galater und Hebräer vorkommt. Das macht Sinn: Diese Bücher argumentieren und erklären, und beinhalten daher viele Gründe; somit kommt das Wort gár oft vor.
Traditionelle Grammatik und moderne Sprachwissenschaft
Die bemerkenswerte Beständigkeit in der Übersetzung von gár bedeutet nicht unbedingt, dass der resultierende Text immer klar und unproblematisch ist, wie wir in Römer 1,18 bemerkt haben. An dieser Stelle stoßen wir an die Grenzen der Grammatik und der Regeln für Satzbau, wie sie traditionell verstanden wurden.
Das Problem einer Übersetzung besteht darin, dass die Bedeutung und Funktion eines deutschen Wortes nie vollkommen mit der Bedeutung und Funktion eines Wortes in einer anderen Sprache übereinstimmt. Es kann vorkommen, dass ein Wort zwei oder mehr unterschiedliche Bedeutungen hat. Es ist aber auch möglich, dass ein Wort nur eine Bedeutung hat, dass es aber kein deutsches Äquivalent gibt, das diese Bedeutung vollständig ausdrückt, deshalb begnügen wir uns damit, es in verschiedenen Kontexten unterschiedlich zu übersetzen. Oder das Ergebnis ist eine Übersetzung, die verwirrt, wie in Römer 1,18.
Die moderne Sprachwissenschaft verfolgt oft einen funktionalen Ansatz. Sie versucht, die Aufgabe oder die Funktion der Elemente in einem Text oder einer sonstigen Äußerung (Diskurs genannt) zu verstehen: Was soll ein Wort oder ein Ausdruck tun? Die Ergebnisse werden in einer so genannten Diskursgrammatik beschrieben; ich lese derzeit Steven Runges Discourse Grammar of the Greek New Testament (2010).
Ein Blick auf das Bindewort gár im Rahmen der modernen Linguistik liefert uns eine etwas breitere Definition dieses Wortes:
[Γάρ] stellt Material vor, das eine vorangegangene Aussage stärkt oder bestätigt … Mit anderen Worten, die aufgeführten Informationen bringen den Diskurs nicht voran, sondern ergänzen mit Hintergrundinformationen, die das Vorangegangene stärken oder unterstützen …
Γάρ stellt erläuterndes Material vor, das das Vorangegangene stärkt oder unterstützt. Es kann sich um einen kurzen Satzteil handeln oder auch um einen längeren Exkurs. Obwohl das unterstützende Material für den Diskurs wichtig ist, bringt es das Argument oder die Geschichte nicht voran. Stattdessen unterstützt es das, was vorausgeht, indem es Hintergrundinformationen oder Details bereitstellt, die benötigt werden, um zu verstehen, was folgt. (Runge 2010: 52-3)
In diesem Licht wird es nachvollziehbar, dass Paulus in Römer 1,18 „gár“ verwendet. Er gibt keinen Grund für die vorangegangene Aussage an, aber er liefert notwendige Hintergrundinformationen, die uns helfen zu verstehen, warum die neue Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Evangelium notwendig war. Paulus malt ab Vers 18 ein düsteres Bild des moralischen Zustandes der Menschheit und wie Gott darauf reagiert, damit wir die Notwendigkeit des Evangeliums, das eigentliche Thema des Paulus zu dem er in Römer 3,21 zurückkehrt, besser erfassen können.
Zwei weitere Bindewörter
Für diejenigen, die sich für sprachliche Fragen interessieren, bieten die Verbindungen kai und dè zwei weitere faszinierende Beispiele. Kai wird im griechischen NT über 8000 Mal verwendet. Es wird normalerweise übersetzt mit und (über 6000 Mal in der ESV), aber manchmal auch mit aber (but). Dè wird über 2000 Mal verwendet. Es wird meistens übersetzt mit und oder mit aber, aber manchmal auch mit anderen Worten oder es wird nicht übersetzt.
Das tönt chaotisch. Warum zwei verschiedene Wörter, die beide sowohl und als auch aber bedeuten können? Auch hier, wie bei denn, liegt das Problem nicht in der griechischen Sprache oder in ihrem Wortschatz, sondern in der Übersetzung.
Die Diskursgrammatik bietet einen Ausweg. Die beiden Wörter haben unterschiedliche und klar definierte Funktionen im Griechischen. Leider lässt sich das nicht so einfach ins Deutsche übersetzen. Aber für einen griechischen Leser gab es überhaupt kein Problem für das Verständnis. Dè zeigt an, dass der Autor seinen Diskurs einen Schritt weiter entwickelt und etwas Neues hinzufügt; kai macht das nicht:
Καί … verbindet zwei gleichwertige Elemente und bestimmt sie dazu, eng miteinander in Verbindung zu stehen. (Runge 2010: 24; aus diesem Grund liegt die häufige Übersetzung mit und nahe, weil das Wort eine ähnliche Funktion hat).
Während Konnektive wie und und einige weitere verbindende Wörter den Hörer anweisen, Informationen miteinander zu verbinden, vermitteln manche Bindewörter das Gegenteil und erteilen dem Leser die Anweisung, zum nächsten Punkt überzugehen. Wir werden diese Konnektive „Entwicklungsmarker“ nennen, weil sie darauf hinweisen, dass das so markierte Material eine neue Entwicklung in der Erzählung oder in der Argumentation darstellt … (Dooley und Levinsohn 2001: 93)
Δέ ist ein koordinierendes Bindewort wie καί, aber es beinhaltet die zusätzliche Einschränkung, eine neue Entwicklung zu signalisieren … Καί, auf der anderen Seite, markiert keine Entwicklung … Die Nutzung von δέ stellt die Entscheidung des Autors dar, ausdrücklich zu signalisieren, dass das, was folgt, eine neue, eigenständige Entwicklung in der Erzählung oder in der Argumentation ist … (Runge 2010: 31)
Dies erklärt, warum Übersetzer zwischen und, aber und mehreren weniger häufigen Begriffen schwanken. Ob die durch kai oder dè verknüpften Elemente einen kontrastierenden Sinn haben (und daher am besten mit aber übersetzt werden) oder nicht (und deswegen die Übersetzung mit und sinnvoller ist), wird durch Inhalt und Kontext bestimmt, nicht durch den verwendeten Begriff.
Deshalb sind die zwei Wörter und und aber als Ersatz für die beiden griechischen Begriffe etwas dürftig. Das beste Äquivalent, um im Deutschen eine neue Entwicklung anzuzeigen, wäre vielleicht nun, dann oder sogar okay (Runge 2010: 29), wie in: „Ich habe mit dem Chef gesprochen, aber er wollte nicht auf mich hören. Nun, ich weiß nicht, was wir noch tun können. Nun, lasst uns dann das Beste daraus machen. Okay. Nun, dann lasst uns zum nächsten Thema kommen.“
Du bemerkst wahrscheinlich das Problem. Wenn ein Sprecher oder ein Text so weitermacht, wirkt das eher seltsam.
Das ist die Herausforderung für jeden Übersetzer. Es gibt keine Perfektion in dieser Welt: Die perfekte Übersetzung gibt es nicht.
Bild
Statistik: Logos Bible Software
Literaturangaben
Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. 1999. Revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)
Dooley, Robert A., and Stephen H. Levinsohn. 2001. Analyzing Discourse: A Manual of Basic Concepts (Dallas, TX: SIL International)
Liddell, H. G. 1996. A Lexicon: Abridged from Liddell and Scott’s Greek-English Lexicon (Oak Harbor, WA: Logos Research Systems)
Louw, Johannes P., and Eugene Albert Nida. 1996. Greek-English Lexicon of the New Testament: Based on Semantic Domains (New York: United Bible Societies)
Runge, Steven E. 2010. Discourse Grammar of the Greek New Testament: A Practical Introduction for Teaching and Exegesis (Bellingham, WA: Lexham Press)
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