Als Ausdruck kommt „das Bild Gottes“ nur einmal in der Bibel vor, in 1. Mose 1,27. Im Alten Testament findet diese Idee leicht anders formuliert auch in 1. Mose 5,1 und 9,6 Erwähnung. Das ist nicht viel. Daraus ergibt sich eine Herausforderung bei der Auslegung. Im Laufe der Jahrhunderte haben die Interpreten darüber debattiert, worin genau dieses Bild besteht, ohne sich einigen zu können. Ist es unsere rationale Kapazität? Ist es die Sprache oder das abstrakte Denken? Ist es unsere Fähigkeit zur Beziehung oder zur Liebe? Ist es unsere Fähigkeit, eine Beziehung zu Gott einzugehen? Oder ist es eine von mehreren anderen Optionen, die vorgeschlagen worden sind?
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Diese Pattsituation ist umso bedauerlicher, als diese Idee von tiefer und sogar revolutionärer Bedeutung zu sein scheint. Glücklicherweise hat Richard Middleton eine außerordentlich gründliche Studie mit dem Titel The Liberating Image: The Imago Dei in Genesis 1 veröffentlicht (2005; Imago Dei ist lateinisch und bedeutet Bild Gottes). Sie ist alles andere als einfach zu lesen, aber sie bietet eine brillante Diskussion, die nichts außer Betracht lässt.
Auf die falsche Fährte
In der Auslegungsgeschichte des Ausdrucks Bild Gottes ist Folgendes schiefgelaufen. Zunächst kamen die Interpreten zu dem Schluss, dass der unmittelbare Kontext nicht definiert oder erklärt, was der Ausdruck bedeutet. Daraufhin analysierten sie die genaue Bedeutung der verwendeten hebräischen Begriffe, was jedoch nicht viel hergab. Schließlich begangen sie, über das Bild Gottes philosophisch und eher spekulativ nachzudenken, weitgehend losgelöst vom Bibeltext. Häufig ging man dabei quasi „anatomisch“ vor: Welcher Teil von uns (unserer Seele) ist dieses Ebenbild Gottes?
Im 20. Jahrhundert schlug der Theologe Karl Barth ein beziehungsorientiertes Verständnis des Bildes vor: Wir sind Gott darin gleich, dass wir beziehungsfähig sind. Sein Vorschlag hat viel für sich (es ist ein schöner Gedanke, und Gott ist schließlich eine Beziehung). Allerdings ist überhaupt nicht klar, ob der Text dies im Sinn hat. [Anmerkung: Man könnte argumentieren, dass die letzte Zeile in 1. Mose 1,27, „und schuf sie als Mann und Weib“, eine Erklärung für das Bild in den ersten beiden Zeilen liefert, wie wenn man „das heißt, …“ lesen sollte. Es ist jedoch unklar, wie Mann und Frau das Bild Gottes sein sollen, wenn man bedenkt, dass Gott ohne Geschlecht und weder männlich noch weiblich ist. Außerdem würde dies logischerweise zu der Schlussfolgerung führen, dass die meisten Tiere ebenfalls nach Gottes Ebenbild geschaffen sind, da sie ja auch männlich und weiblich sind. Es ist also wahrscheinlicher, dass wir die dritte Zeile als Ergänzung lesen sollen: „Und er schuf sie nicht nur zu seinem Bild, sondern auch als Mann und Frau“.]
Middleton gelingt es, überzeugende Argumente für eine andere Deutung dieses Bildes zu finden, indem er (a) den literarischen Kontext auf das gesamte Kapitel, 1. Mose 1, und sogar darüber hinaus ausdehnt und (b) den historischen und kulturellen Kontext, d.h. die Welt des alten Orients, berücksichtigt. Mit anderen Worten, der Kontext führt uns schließlich zu einer Definition des Begriffs, wenn wir nur ein wenig weiter schauen als 1. Mose 1,26-27.
Middleton argumentiert, dass die Bedeutung des Gottesbildes nicht anatomisch, sondern funktional zu verstehen ist. Das heißt, es geht nicht so sehr darum, was Menschen sind oder haben oder tun können, sondern darum, was ihr Auftrag ist: nämlich, in der Schöpfung Gott als König zu vertreten. Wie Middleton (2005: 27) sagt: „In dieser Deutung bezeichnet die Imago Dei das königliche Amt und die königliche Berufung der Menschen als Vertreter und Beauftragte Gottes in der Welt, denen Autorität gewährt wird, an Gottes Herrschaft oder Verwaltung der Ressourcen und der Geschöpfe der Erde teilzuhaben“. Damit schlägt Middleton keine neue Idee vor, aber er argumentiert so umfassend, dass sein Buch meiner Einschätzung nach die Frage überzeugend klärt.
Klare Hinweise in 1. Mose 1
Wie sich herausstellt, und anders als es die Interpreten oft empfunden haben, ist der unmittelbare Kontext des Satzes keineswegs frei von Hinweisen auf seine beabsichtigte Bedeutung. Sowohl in 1. Mose 1,26 als auch in 1,28 wird das Bild mit der Vorstellung von Herrschaft oder herrschen verbunden. Und im weiteren Kontext von 1. Mose 1 ist Herrschaft ausüben genau das, was Gott tut, indem er dem „Rohmaterial“ der Urschöpfung Form, Ordnung, Funktion und Inhalt verleiht. Wenn Menschen als Gottes Ebenbild geschaffen sind, liegt es auf der Hand, dass sie dasselbe tun sollen.
Eine solche funktionale Interpretation des Bildes findet Bestätigung in der Tatsache, dass es Gott an anderer Stelle in Genesis 1 ebenfalls darum geht, Funktionen zuzuweisen, am offensichtlichsten bei der Erschaffung der himmlischen Lichtquellen am Tag 4, um über Tag und Nacht zu regieren (!), so 1. Mose 1,16-17. Gott delegiert Macht, was er am Tag 6 ebenfalls tut.
Middletons Buch zieht viele weitere Elemente in Betracht, aber die Schlussfolgerung ist klar: Dass der Mensch nach Gottes Bild geschaffen ist, bedeutet, dass er ihn repräsentiert und in Gottes Namen kreativ und schöpferisch Macht ausübt.
Bestätigung aus dem Alten Orient
Die Ausdehnung des Kontexts auf den alten Orient bestätigt Middletons Schlussfolgerung. Sie verleiht dem Begriff auch Tiefe und bringt den subversiven und revolutionären Charakter des Konzepts zum Vorschein.
Erstens: Ein König im alten Orient stellte in entlegenen Teilen des Reiches ein Bild von sich selbst auf, um seine Autorität zu repräsentieren. In gewisser Weise tun wir dies auch heute noch: Eine Botschaft oder ein Konsulat zeigt wahrscheinlich ein Porträt ihres Königs, ihrer Königin oder ihres Präsidenten. Als König der Schöpfung stellt Gott ebenfalls ein Bild seiner selbst in den irdischen Bereich – aber es ist ein lebendiges Bild, nicht nur eine Statue.
Übrigens: Wahrscheinlich gibt es einen Zusammenhang mit dem gesetzlichen Verbot, Gott in irgendeiner Form visuell als Bild oder Statue darzustellen; schließlich hat Gott ein solches Bild bereits zur Verfügung gestellt.
Zweitens: Sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien galt der König selbst als Bild und Darstellung eines Gottes auf Erden, mit dem ausdrücklichen Auftrag, auf Erden zu regieren und die Ordnung aufrechtzuerhalten, wie es sein Gott im Himmel tat. Dies legt nahe, dass die Aussage in 1. Mose 1,27 für die ersten Leser durchaus verständlich war: Sie erteilt allen Menschen – nicht nur dem König – königliche Würde und Gottebenbildlichkeit!
Das Ergebnis ist eine subtile, aber verheerende Kritik an dem, was die Völker in der damaligen Welt über das Wesen dieser Welt glaubten, insbesondere in Form ihrer jeweiligen Schöpfungsmythen. Diese Erzählungen werden entlarvt als verzerrende Ideologie. Sie dienen dazu, das Gesellschaftssystem und die absolute Macht des Königs zu rechtfertigen. Über den subversiven Charakter der ersten Kapitel in 1. Mose und ihre Kritik an den Schöpfungsmythen schrieb ich bereits in Die verlorene Welt von 1. Mose 1-11 (2016), aber es gibt noch mehr zu sagen.
Die Ideologie untergraben
Außerhalb Israels glaubte man also, dass nur der König den Göttern ähnlich sei. Daraus ergeben sich weit reichende soziale und politische Konsequenzen. Mesopotamien wurde von Stadtstaaten dominiert. Jeder Stadtstaat war ein Gesellschaftssystem mit dem König an der Spitze. Ein solches System bedarf der Rechtfertigung. Diese erfolgt in Form von Erzählungen und Mythen, in erster Linie der Schöpfungsmythen der Antike. 1. Mose beabsichtigt, diese Mythen zu untergraben.
Nahrung für die Götter. Ein gemeinsames Thema in den Schöpfungsmythen Mesopotamiens ist der Grund, weshalb die Menschen geschaffen wurden: um die Götter von schwerer Arbeit zu entlasten oder, genauer gesagt, um Nahrung für sie zu produzieren. Dies war die Daseinsberechtigung des Tempelsystems: Es existierte, um die Götter zu beköstigen. Anfangs erfüllten die Priester dabei die Hauptrolle. Später übernahmen Könige oft die Führung als Schutzpatrone der Tempel. Dies stärkte die königliche Macht und führte zu einer Gesellschaft, in der ein Großteil des Landes unter direkter Kontrolle des Tempels und des Königs stand. Infolgedessen bearbeiteten viele Menschen, zeitweise vielleicht sogar bis zu einem Viertel der Bevölkerung, dieses Land als Leibeigene. Der größte Teil der in diesem System produzierten Nahrungsmittel ging indes natürlich an das Tempel- und Palastpersonal, nicht an die Götter!
In 1. Mose 1 deutet nichts darauf hin, dass Gott etwas von seiner Schöpfung braucht oder will. Im Gegenteil: Während in den Schöpfungsmythen die Menschen geschaffen werden, um die Götter mit Nahrung zu versorgen, ist es in 1. Mose Gott, der die Menschen (und die Tiere; 1. Mo. 1,29-30) mit Nahrung versorgt!
Städte und Technik. Viele Erzählungen enthalten Hinweise auf die Gründung der ersten Städte und auf die Anfänge verschiedener Handwerksberufe und Technologien, wie Metallverarbeitung und Landwirtschaft. Man glaubte, dass diese Entdeckungen ein Geschenk der Götter wären; die Menschen wären dabei nur die passiven Empfänger. Wie Middleton (2005: 217) es ausdrückt:
Nach dem Weltbild der sumerisch-akkadischen Mythen handeln die Götter in der Geschichte und verändern den Lauf der menschlichen Angelegenheiten. Das Gleiche gilt für Könige als Vertreter der Götter auf der Erde. Es wurde jedoch davon ausgegangen, dass die überwiegende Mehrheit der menschlichen Rasse ein relativ vorbestimmtes Leben führte, geprägt von Nachahmung und Wiederholung, und dabei ihren göttlichen und menschlichen Oberherren verpflichtet waren und in einer Gesellschaftsordnung, in der sie keinen nennenswerten Handlungsraum und keine Freiheit hatten, zu Marionetten reduziert wurden.
Großstädte führten ihren Ursprung auf eine göttliche Einwirkung zurück. Babylon zum Beispiel wurde von Marduk als Zentrum der von ihm geschaffenen geordneten Welt und als irdisches Gegenstück zu seinem himmlischen Tempel und Palast gegründet (Babel bedeutet Tor der Götter). Eine solche Darstellung erklärt Stadt und König für unantastbar.
Offensichtlich enthält 1. Mose 1-11 ebenfalls solche Geschichten über Anfänge, aber mit einem überraschenden Unterschied. Der Ursprung sowohl der Städte als auch der Erfindungen in 1. Mose 4 und 10 ist menschlich, nicht göttlich. Wir sehen Menschen, die in ihrer von Gott gegebenen Rolle handeln und dabei Herrschaft ausüben. Allerdings zeigt sich in 1. Mose auch, dass Zivilisation und Erfindungen oft mit Machtmissbrauch und mit Gewalt in Verbindung stehen. Middleton (2005: 219, 226) weist darauf hin, dass es sich um eine entgleiste Herrschaft handelt: Macht wird über andere Menschen ausgeübt, nicht nur über die nichtmenschliche Schöpfung.
Königtum. Ein Königtum wurde als eine göttliche Institution dargestellt. Ein faszinierendes mesopotamisches Dokument ist die sumerische Königsliste. Sie listet alle Könige auf, die in Sumer (der Zivilisation, die den frühesten assyrischen und babylonischen Reichen vorausging) seit Beginn der Schöpfung regierten. Zweimal besagt dieser Text, dass das Königtum vom Himmel herabkam, zuerst ganz am Anfang und ein zweites Mal direkt nach der Sintflut. Wie kann man gegen das argumentieren, was die Götter verordnet haben?
Die Geschlechtsregister in 1. Mose 5 bieten eine offensichtliche Parallele zur sumerischen Königsliste, aber wiederum mit einem überraschenden Unterschied. Die aufgeführten Personen sind keine Könige, sondern „gewöhnliche“ Menschen. Wo das Gottesbild auf alle Menschen und nicht nur auf den König angewandt wird, sind alle Menschen wichtig. Bemerkenswerterweise, als Israel schließlich eine Monarchie wurde, geschah das auf menschliche Initiative; Gott war mit diesem Schritt nicht glücklich. Offensichtlich hatte das Königtum in Israel einen anderen Status als bei den Nachbarvölkern. Nochmals Middleton (2005: 219):
Die Schrift ist auch klar, dass die Thora nicht vom israelitischen König verkündet wird (im Gegensatz zum babylonischen Hammurapi). Das biblische Gesetz (sei es im Exodus, im Levitikus oder im Deuteronomium) wird durchweg der Vermittlung durch Mose zugeschrieben, während es die vorrangige Pflicht des Königs ist, die Thora zu studieren und sich nicht durch übermäßige Erweiterung seiner Macht oder seines Reichtums über andere Israeliten zu erheben (5. Mo. 17,14-20). Diese Vorstellung einer begrenzten Monarchie – begrenzt in ihrer historischen Entstehung und in ihrer Dauer, begrenzt durch das Gesetz JHWHs und durch prophetische Kritik – ist radikal und einzigartig, nicht nur in Mesopotamien, sondern im gesamten alten Orient. Die unverwechselbare Anwendung der Vorstellung der Imago Dei auf die gesamte Menschheit steht somit in tiefer Harmonie mit der antimonarchischen Tendenz der prophetischen Tradition in Israel.
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Weltreich. Immer wieder erlangte einer der Stadtstaaten Mesopotamiens die Herrschaft über benachbarte Gebiete und Städte. Er konnte sogar zu einem bedeutenden Imperium heranwachsen (wie es den Babyloniern und den Assyrern gelang). Auch dies bedurfte einer Rechtfertigung, die ebenfalls durch Schöpfungsmythen und andere Glaubensvorstellungen geliefert wurde.
Der König war der Vertreter der Götter. Als solcher war er dazu berufen, barbarischen Völkern jenseits der Grenzen des Reiches (d.h. der Welt des Chaos) die Ordnung etwa von Marduk oder Assur aufzuzwingen. Damit zog man Parallelen zu den Handlungen der Götter am Anfang der Schöpfung. Auch sie mussten den Mächten des Chaos widerstehen und sie besiegen und Ordnung schaffen. Das Motiv eines solchen Chaoskampfes (eines gewaltsamen Kampfes gegen personifizierte Chaoskräfte) ist in den Schöpfungsmythen weit verbreitet.
Es ist bemerkenswert, dass ein solcher Einsatz von roher Gewalt und Zwang in 1. Mose 1 vollständig fehlt. Selbst Gottes Schöpfungsgebote sind eher liebevoll als zwanghaft; man könnte sich sogar fragen, ob es sich dabei wirklich um Befehle oder vielleicht fast eher um Einladungen handelt: eine Einladung, zu werden und zu sein. Der Text deutet sicherlich darauf hin, dass die Art von Herrschaft, zu der Menschen berufen sind, absolut nichts mit Tyrannei, Ausbeutung oder Weltreich-Gründung zu tun hat.
Kurzgefasst:
Die gesammelten Beweise legen nahe, dass sich das biblische Imago Dei auf den Status oder das Amt der Menschheit als von Gott autorisierte Verwalter bezieht, die mit der königlich-priesterlichen Berufung betraut sind, Gottes Herrschaft auf Erden durch die Ausübung kultureller Macht zu repräsentieren. Darüber hinaus schlug ich vor, dass diese Interpretation des Bildes, bei der der Menschheit ein Anteil an Gottes Herrschaft gewährt wird (weshalb gesagt werden kann, dass sie dem göttlichen Herrscher gleich sind), der schlüssigen Vision von Menschen als bedeutenden historischen Akteuren in der Urgeschichte (1. Mo. 1-11) zugrunde liegt und fruchtbar als eine Form des ideologischen Widerstands gegen mesopotamische Traditionen verstanden werden kann, die den Status und die Rolle der Menschheit abwerten. (Middleton 2005: 235)
Eine radikal andere Gesellschaftsvision
Das Ergebnis solcher Überzeugungen „ist nicht einfach, dass die biblischen Schriftsteller eine andere Vorstellung von Gott hatten als ihre Nachbarn (obwohl dies nicht ausgeschlossen ist), sondern dass sie andere Vorstellungen davon hatten, welche Art von Gesellschaftsordnung von Gott bestimmt war, nämlich eine, die das Gedeihen des menschlichen Lebens förderte, anstatt die Mächtigen auf Kosten der Schwachen zu schützen“ (Middleton 2005: 195).
Eine praktische Umsetzung dieser gesellschaftlichen Vision besteht darin, dass der Landbesitz in Israel breit gestreut war. Im Buch Josua hat jedes männliche Mitglied jedes Stammes bei der Landverteilung Anspruch auf ein Stück Land als Erbe. Die Institution des Jubeljahres im Gesetz sollte dieses Erbe sichern. Land sollte sich nicht in Form von Großgrundbesitz in den Händen einiger weniger reicher Landbesitzer ansammeln, sondern alle 50 Jahre an die ursprüngliche Eigentümerfamilie zurückgegeben werden.
Aber was ist mit den Frauen? Es war eine patriarchalische Zeit; die Ausgangslage war nicht gerade optimal. Aber immerhin: Wir lesen in 4. Mose 27 und 36 über die Töchter Zelofhads (sie werden auch in 4. Mo. 26,33 und Josua 17,3 erwähnt).
Was ist ihre Bedeutung? Warum bekommen die Töchter von Zelofhad so viel Aufmerksamkeit? Sie waren fünf Schwestern, deren Vater gestorben war, ohne einen männlichen Erben zu hinterlassen. Sie hatten die Kühnheit, in der Versammlung aufzustehen und sich an Moses zu wenden und um eine Zuteilung von Land zu bitten.
Und wie antwortet Gott? „Und der HERR sprach zu ihm: Die Töchter Zelofhads haben recht geredet. Du sollst ihnen ein Erbgut unter den Brüdern ihres Vaters geben und sollst ihres Vaters Erbe ihnen zuwenden“ (4. Mo. 27,6-7).
Hier wird sichtbar, dass Frauen in Israel eine Stimme hatten. Sogar Gott hört auf sie. Daraus ergibt sich das Potenzial einer ungewöhnlich egalitären Gesellschaft. Nach der Eroberung Kanaans bleibt es den Stämmen überlassen, sich selbst zu regieren.
Liberté, égalité, fraternité. Die Franzosen brauchten weit über 3000 Jahre, um auf die gleiche Grundidee zu kommen, komprimiert in dieser so schön klingenden Formel. Vielleicht ist es besser, sie nicht auf eine politische und ideologische Formel zu reduzieren (die sich zu leicht missbrauchen lässt), aber die Grundidee ist durch und durch biblisch.
Jeder Mensch ist nach dem Bilde Gottes geschaffen und deshalb dazu berufen, königliche Autorität auszuüben – aber nicht durch Gewalt oder durch die Beherrschung anderer.
Kein Wunder, dass Middleton sein Buch The Liberating Image, das befreiende Bild, nannte!
Bildnachweis
Michelangelo. Ca. 1511. “The Creation of Adam” https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Creaci%C3%B3n_de_Ad%C3%A1m.jpg> [Accessed 30 April 2020] Public Domain
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FDRMRZUSA. 13. September 2018. “Mesopotamia c. 1200 BC” <https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mesopotamia_1200_BC.jpg> CC BY-SA 4.0
Falco <https://pixabay.com/photos/avignon-france-provence-1603343/> CC0
Literaturangaben
Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. 1999. Revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)
Middleton, J. Richard. 2005. The Liberating Image: The Imago Dei in Genesis 1 (Grand Rapids: Brazos Press)
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