Nebukadnezars Babylon

Daniel 4,26f berichtet, wie Nebukadnezar eines Tages auf dem Dach seines Palastes spaziert. Der Ausblick reißt ihn mit: „Das ist das große Babel, das ich erbaut habe zur Königsstadt durch meine große Macht zu Ehren meiner Herrlichkeit.“ Ein brandneues Buch über Babylon von Olof Pedersén (2021) hilft uns zu verstehen, weshalb der König so ergriffen war. Nach der Lektüre des Buches bin ich fast versucht, Nebukadnezar zuzustimmen.

Die dritte und letzte Folge, die sich mit der kanaanäischen Religion und Mythologie in der hebräischen Bibel befasst, verschiebt sich. Ich möchte zunächst über ein aufregendes und brandneues Buch berichten, das uns jenes Babylon zeigt, das Nebukadnezar baute.

Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST und als AUDIO PODCAST

Das Buch

Babylon: The Great City fasst zusammen, was wir über die Architektur Babylons wissen, basierend auf Ausgrabungen seit dem 19. Jahrhundert bis hin zu den neuesten veröffentlichten Ergebnissen. Die E-Book-Version ist als kostenloser Download erhältlich.

Zugegeben, die meisten Leser werden das Buch als überdetailliert empfinden. Es handelt sich um eine seriöse archäologische Studie. Alles ist genau vermessen, beschrieben und verortet.

Dennoch, wenn jemand die Stätte des alten Babylons besuchen möchte, ist dieses Buch Pflichtlektüre; es gibt keinen besseren Führer zum Ort. Und selbst wer keine Reise in den Irak plant – was wohl auf die meisten von uns zutrifft – gewinnt mit diesem Buch. Es ist mit brillanten digitalen Rekonstruktionen illustriert.

Aus urheberrechtlichen Gründen kann ich sie in dieser Ausgabe nicht wiedergeben, aber ich biete eine kurze Übersicht über meine persönlichen Highlights an. Am besten, du lädst das Buch herunter und schaust dir zumindest die unten aufgelisteten Abbildungen an; die Mühe lohnt sich.

Nabopolassar

Aber zuerst etwas Hintergrund. Als Nebukadnezar geboren wurde, war Babylon bereits eine alte Stadt. Ihre erste Erwähnung außerhalb der Bibel stammt aus der Zeit um 2300 v. Chr. 1. Mose 10,10 und 11,1ff legen nahe, dass sie wesentlich älter ist. Es ist jedoch die kurze Periode des neubabylonischen Reiches, die uns am besten bekannt ist; ältere Überreste der Stadt befinden sich meist im Grundwasserbereich und sind daher für Archäologen unerreichbar.

Das neubabylonische Reich wurde von Nebukadnezars Vater, Nabopolassar, gegründet. Dieser wurde 626 v. Chr. zum König von Babylon gekrönt, als Babylon noch Teil des assyrischen Reiches war. Während seiner ersten zehn Jahre auf dem Thron gelang es ihm, für Babylon die Unabhängigkeit zu erlangen.

Im Jahr 614 v. Chr. fielen die Meder, eine Kriegernation aus dem Nordosten, in das assyrische Kernland ein und zerstörten die Stadt Assur, eine der Hauptstädte Assyriens. Nabopolassar verbündete sich mit den Medern, und gemeinsam nahmen sie Ninive ein und zerstörten die Stadt (612 v. Chr.).

Die Reste der assyrischen Streitkräfte zogen sich in den Nordwesten zurück und hielten – mit ägyptischer Unterstützung – noch einige wenige Jahre durch. In der schicksalhaften Schlacht bei Karkemisch im Jahr 605 v. Chr. wurden sie jedoch ein für alle Mal besiegt.

Im selben Jahr starb Nabopolassar, und sein Sohn Nebukadnezar trat die Nachfolge als König an. Er regierte von 605 bis zu seinem Tod 562 v. Chr. Während seiner Regierungszeit führte Nebukadnezar ein beispielloses Bauprogramm durch.

Im weiteren Verlauf dieser Ausgabe befasse ich mich mit der Architektur des „neuen“ Babylons, insbesondere den Stadtmauern und Palästen, wie sie von Nebukadnezar rekonstruiert und erweitert wurden.

Das neue Babylon: Form, Größe und Substanz

Bevor ich mich Pederséns Buch zuwende, sollte ich eine Behauptung von Herodot, einem griechischen Historiker (ca. 484-425 v. Chr.), erwähnen, die manchmal immer noch wiederholt wird. Bei der Beschreibung Babylons nennt er „eine Mauer, die dreiundachtzig Fuß [wörtlich: 50 Ellen, ca. 25 m] dick und dreihundertdreiunddreißig Fuß [wörtlich: 200 Ellen, ca. 100 m] hoch war“ (Herodot 1920; Hist. 1.178.3).

Hundert Meter hohe Mauern? Unwahrscheinlich. Archäologische Ausgrabungen legen nahe, dass er sich etwa um den Faktor zehn geirrt hat. Pedersén (2021: 28-33, 70f) bietet Berechnungen für die Höhe von Stadtmauern an. Je nach Mauer (Innenmauer, Außenmauer, Mauer am Wasser) und Stadtteil waren die Mauern zwischen 7 und 15 m hoch, in Teilen des Palastbereiches möglicherweise bis zu 30 m. Dennoch waren die Befestigungen beeindruckend und durchdacht, wie wir sehen werden.

Im Folgenden werde ich zunächst eine Illustration erwähnen, bevor ich sie kommentiere.

Abb. 1.1 Babylon vor Nebukadnezar (Pedersén 2021: 11)

Abb. 1.2 Babylon nach Nebukadnezars Erweiterung (Pedersén 2021: 11)

Die ursprüngliche Form der Stadt entsprach in etwa der eines Rechtecks, in dessen Mitte der Euphrat von Norden nach Süden floss. Ihre Größe betrug etwa 4,5 km2 (Pedersén 2021: 12).

Nebukadnezar fügte ein neues Viertel im Osten hinzu und verdoppelte so die Größe auf 9,5 km2 (ebd.). Die gesamte Stadt war von einem etwa 80 m breiten Wassergraben umgeben. Beachte die Erweiterung im Bereich des Palastes (der blaue Pfeil zeigt auf das berühmte Ischtar-Tor, auf das ich noch zurückkommen werde).

Karte von Babylon (Pedersén 2020)

Nicht nur die Verdoppelung der Größe ist bemerkenswert, sondern ebenso die Veränderung des Baumaterials. Wie Pedersén schreibt:

Die grundlegenden traditionellen Baumaterialien in der Flussebene von Mesopotamien basierten zum großen Teil auf Lehm oder Schlamm. Am häufigsten wurde für die Gebäude in Babylon der ungebrannte Lehmziegel verwendet … mit Mörtel und Putz aus Lehm. Lehmziegel wurden aus mit Stroh und Spreu vermischtem Lehm hergestellt, der in eine Holzform gegeben und dann eine Zeit lang zum Trocknen beiseite gestellt wurde. (Ebd.: 33)

Gebackene oder gebrannte Ziegel und die Verwendung von Asphalt als Mörtel waren ebenfalls bekannt, wurden aber meist nur für „nasse“ Orte verwendet, wo die Mauern in direktem Kontakt mit Wasser stehen würden – was Lehmziegel aus offensichtlichen Gründen nicht gut vertragen.

Nebukadnezar hingegen baute einen Großteil seiner Gebäude mit gebrannten Ziegeln. Diese halten sich wesentlich besser. Außerdem ermöglichte das Backen von Ziegeln die Herstellung von glasierten Ziegeln, die für die Dekoration verwendet wurden, für die das neue Babylon berühmt ist.

Ziegel, die während Nebukadnezars Herrschaft hergestellt wurden, waren etwas größer als zuvor. Gebrannte Ziegel maßen normalerweise 33 mal 33 cm und waren bis zu 10 cm hoch; ungebrannte Ziegel waren 34 mal 34 mal 12 cm groß (ebd.: 34). Man beachte, dass dies deutlich größer ist als die heute verwendeten Ziegel; es waren schwere Steine.

Pedersén (2021: 88) bietet eine Schätzung der Anzahl der Ziegel, die für den gesamten Mauerbau (einschließlich der äußeren Palastwände) nach Nabopolassar verwendet wurden: 209.500.000 ungebrannte Lehmziegel und 384.000.000 gebrannte Ziegel, ein Gesamtvolumen von 6.955.000 Kubikmetern.

Die Stadtmauern

Abb. 2.10-2.12 Die doppelte Lehmziegelmauer (ungebrannt) zurzeit Nabopolassars und ihre Erweiterung unter Nebukadnezar (Pedersén 2021: 54)

Vor Nebukadnezar war die Stadt von einer doppelten Mauer aus ungebrannten Lehmziegeln umgeben. Nebukadnezar fügte eine dritte Mauer aus gebrannten Ziegeln an der Wasserfront hinzu.

Die alte Stadt war also von einer doppelten Mauer aus Lehmziegeln und einer weiteren Mauer aus gebrannten Ziegeln umgeben, insgesamt drei. Der neue, äußere Stadtteil, der von Nebukadnezar gebaut wurde, hatte eine statt zwei Lehmziegelmauern (plus eine Mauer aus gebrannten Ziegeln, also insgesamt zwei). Wie erwähnt, war die gesamte Stadt von einem 80 m breiten Graben umgeben.

Abb. 2.7 Die drei Mauern (Pedersén 2021: 51)

Dies machte es schwer, Babylon anzugreifen. Man musste den Graben überqueren und dann die Ufermauer durchbrechen (wo kein Platz zum Stehen, geschweige denn zum Operieren war). Wäre dies gelungen, wäre man zwischen der durchbrochenen Mauer und einer Lehmziegelmauer eingeschlossen gewesen, wiederum mit wenig Platz zum Manövrieren, und – in der alten Stadt – mit immer noch zwei Mauern zum Durchbrechen.

Palastbereich und Ischtar-Tor

Abb. 2.21 Der Palastbereich während der Herrschaft Nabopolassars, von Norden aus gesehen (Pedersén 2021: 64)

Abb. 2.25 Der Palastbereich in der späten Regierungszeit von Nebukadnezar, von Norden aus gesehen (Pedersén 2021: 66)

Nebukadnezar ersetzte den bestehenden Südpalast und fügte einen weiteren Palast im Norden sowie umfangreiche Befestigungsanlagen in diesem Bereich hinzu. Der Südpalast war ursprünglich aus ungebrannten Lehmziegeln gebaut und wurde komplett neu errichtet. Er zählte fast 600 Räume und mehr als 50 Höfe.

Auf den Abbildungen ist im Hintergrund die berühmte Zikkurat oder der “Turm von Babel” zu sehen. Die Pfeile in Abb. 2.25 zeigen auf das neu erbaute Nordtor und das rekonstruierte Ischtar-Tor dahinter. Letzteres war ursprünglich aus Lehmziegeln gebaut, wurde aber von Nebukadnezar mit gebrannten Ziegeln neu gebaut.

Abb. 3.23 Der Nordpalast mit Terrasse und Befestigungsanlagen (Pedersén 2021: 114)

Der Nordpalast wurde in den alten Graben hineingebaut, der dazu weiter nach außen verlegt wurde. Der Nordpalast hatte eine nach Westen gerichtete Terrasse von etwa 200 mal 300 m (ebd.: 114). Wahrscheinlich befanden sich hier die legendären Hängenden Gärten.

Abb. 2.31 Prozessionsweg, der zum Ischtar-Tor führt (Pedersén 2021: 76)

Abb. 2.32 Ischtar-Tor (Pedersén 2021: 77)

Die sogenannte Prozessionsstraße führt vom ersten Tor (Nordtor) durch das Ischtar-Tor hinauf in die Stadt. Die Entfernung zwischen den beiden Toren beträgt 180 m. Die Wände, die den Weg hier säumen, waren wunderschön mit Löwen verziert. Das Tor selbst war mit blau glasierten Ziegeln und Ochsen und Drachen verziert (siehe Abbildungen unten).

Eine der Drachen, die das Ischtar-Tor schmücken (Van der Crabben 2012a)

Tempel

Es muss zu dieser Zeit mehr als 40 Tempel in Babylon gegeben haben, aber nur acht sind ausgegraben und vier rekonstruiert worden (Pedersén 2021: 139). Der beeindruckendste von ihnen war die Zikkurat, ein Turm oder Tempel, der zwischen dem Südpalast und dem Marduk-Tempel weiter südlich lag.

Abb. 4.18 Die Zikkurat (Pedersén 2021: 162)

Die Zikkurat maß am Boden etwas mehr als 90 mal 90 m. Sie bestand aus einer 15 m dicken Mauer aus gebrannten Ziegeln, die einen Kern aus ungebrannten Lehmziegeln umgab. Ihre Höhe wird ebenfalls auf gut 90 m geschätzt. Wenn man bedenkt, dass Babylon in einer Ebene lag, war die Zikkurat ein beeindruckendes Wahrzeichen. Die oberste Ebene war mit intensiv blau glasierten Ziegeln verziert, die die Verbindung zum Himmel und zu den Göttern symbolisierten. Die Plattform oben ist der Ort, zu dem die Götter herunterkamen, um mit den Menschen zu kommunizieren.

Babylon in moderner Perspektive

Abb. 3.34 Palastbereich, Blick nach Süden (Pedersén 2021: 125)

Nehmen wir uns einen Moment Zeit, um uns die Aussicht vorzustellen, dann können wir nachvollziehen, dass Nebukadnezar bei seinem Spaziergang vom Anblick überwältigt war.

Beeindruckend – und doch … Nach heutigen Maßstäben war das neue Babylon mit seinen 9,5 Quadratkilometern und vielleicht 200.000 Einwohnern (‚Babylon‘ 2021) nicht einmal eine große Stadt. Die meisten von uns leben besser und komfortabler als Nebukadnezar, zu seiner Zeit der reichste und mächtigste Mann der Welt. Es wäre falsch gewesen, sich von seinen Errungenschaften allzu sehr beeindrucken zu lassen. „Das ist erst der Anfang“, wäre eine mögliche Antwort auf Nebukadnezars Selbstverherrlichung in Daniel 4:27.

Babylon heute (Abb. 4.49 in Pedersén 2021: 162)

Was damals grandios war, ist es heute nicht mehr. Was heute (oder morgen) grandios wirkt, wird in einer späteren Zukunft nicht mehr so wahrgenommen. Was Gott im Sinn hat, seine Antwort auf Babylon, ist eine Gemeinschaft, die von Liebe und Weisheit statt von Imperium und Herrschaft geleitet wird. Diese Gemeinschaft hat das Potenzial, all das weit zu übertreffen.

Lassen wir uns nicht zu sehr von Glanz und Gloria heute oder gestern oder morgen beeindrucken. Das alles ist erst ein Anfang.

Literaturangaben

Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. 1999. Revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)

‘Babylon’. 2021. Wikipedia <https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Babylon&oldid=1026230476> [accessed 1 June 2021]

Herodotus. 1920. The Histories, ed. by A. D. Godley, trans. by A. D. Godley (Medford, MA: Harvard University Press, 1920)

Pedersén, Olof. 2020. ‘Babylon: City Area and Gates’ <https://uppsala.app.box.com/s/cgm386mr39f0we39y8v49ktecc664k0k/file/722124240853> [accessed 2 June 2021]

———. 2021. Babylon: The Great City (Münster: Zaphon Verlag) <http://public.eblib.com/choice/PublicFullRecord.aspx?p=6577470> [accessed 1 June 2021]

Van der Crabben, Jan. 2012a. ‘Dragon of the Ishtar Gate’, World History Encyclopedia <https://www.worldhistory.org/image/732/dragon-of-the-ishtar-gate/> [accessed 8 June 2021] CC BY-NC-SA 4.0

———. 2012b. ‘Lion of Babylon, Ishtar Gate’, World History Encyclopedia <https://www.worldhistory.org/image/724/lion-of-babylon-ishtar-gate/> [accessed 8 June 2021] CC BY-NC-SA 4.0

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