2. Mose 25-31 beschreibt eine Reihe von Gegenständen in und um die Stiftshütte. Die meisten sind nicht schwer zu verstehen. Einige jedoch sind herausfordernd. Wozu dienen die sogenannten Schaubrote, wörtlich „Brot des Angesichts“ oder „Präsenzbrot“? Und was ist die Bedeutung des Leuchters, jenes Kunstwerks aus Mandelblüten mit Knospen und Blättern? Damit befasse ich mich in dieser Ausgabe.
Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST und als AUDIO PODCAST
Elemente im Außenbereich
Das erste, was ein Israelit, der zur Stiftshütte kam, gesehen hat, war ein Zaun, der den Vorhof umgab. Der Zaun ist der erste von mehreren Hinweisen darauf, dass man sich Gott nicht beiläufig oder achtlos nähern kann, dass der Zugang begrenzt ist und dass Vorsicht und angemessene Vorbereitung geboten sind.
Beim Betreten des Vorhofes würde man sofort drei Objekte sehen können:
1. Der Brandopferaltar, der auf die Notwendigkeit der Sühne hinweist (ein anspruchsvolles Konzept; siehe CALS 79-81).
2. Ein Becken aus Bronze, das mit Wasser gefüllt war. Das erste, was die Priester beim Betreten des Heiligtums tun sollten, war sich Hände und Füße zu waschen (2. Mose 30,17-21). Dies symbolisiert die Notwendigkeit der Reinheit, wenn man sich Gott nähert.
3. Und natürlich, so wörtlich, das „Zelt der Begegnung“ (die Stiftshütte), das eigentliche Heiligtum, das sich jenseits von Altar und Becken befand.
Das Zelt der Begegnung
Wir haben es hier nicht mit einer großen Struktur zu tun. Der Vorhof maß etwa 50 m x 100 m; das Zelt selbst war gerade mal 5 m x 15 m groß. Es war vielleicht nicht so sehr Gottes Haus oder Wohnung, sondern der Ort, an dem er sich mit seinem Volk traf; 135 Mal wird es im Gesetz des Mose das „Zelt der Begegnung“ genannt (oft mit „Stiftshütte“ übersetzt).
Das Innere des Zeltes bestand aus zwei Abteilungen, die durch einen Vorhang getrennt waren: das Heilige und das Allerheiligste. Auch hier ging es darum, dass Gott (noch) nicht leicht zugänglich war. Gewöhnliche Israeliten durften das Innere des Zeltes nicht betreten; nur Priester durften hineingehen. Auch sie durften das Allerheiligste nicht betreten; nur der Hohepriester konnte dies tun und nur einmal im Jahr, am Versöhnungstag.
Die zunehmende Heiligkeit wurde auch durch die verwendeten Materialien symbolisiert. Während draußen alles verwendete Metall entweder Silber oder Bronze war, war im Inneren des Zeltes alles außer dem Zelt selbst aus Gold oder mit Gold bedeckt.
Elemente im Innenraum
Was befand sich im Inneren des Zeltes? Wenn der Priester das Zelt betrat, sah er auf der linken Seite den Leuchter und auf der rechten Seite den Tisch mit dem Schaubrot. Ich werde auf diese Elemente zurückkommen.
Geradeaus würde er den Räucheraltar und den Vorhang sehen, der die beiden Bereiche trennte. Offensichtlich war der Weg in Gottes Gegenwart nicht offen oder frei. Nur die Priester waren für den Eintritt qualifiziert, und das nur mit Weihrauch als einem dem Herrn wohlgefälligen Duft.
Durch den Vorhang blieb die Bundeslade unsichtbar. Sie enthielt die beiden Steintafeln mit den Zehn Geboten. Die Bundeslade war mit einem Deckel aus massivem Gold bedeckt, dekoriert mit zwei Cherubim, und das alles aus einem Stück (2. Mo. 25,17-19).
Der Deckel wird oft als Gnadenthron (Hebr. kapporet) bezeichnet. Das hebräische Wort kapporet leitet sich vom Verb kipper ab, das sühnen bedeutet. Es ist der Ort, an dem am Versöhnungstag Blut gesprengt wurde, um Sühne zu leisten (3. Mo. 16,14-17). Von zwischen den beiden Cherubim sprach Gott mit Mose (2. Mo. 25,22).
Die Bundeslade und ihr Deckel repräsentierten also die Gegenwart Gottes an diesem Ort – was sie zum wichtigsten Objekt im gesamten Heiligtum machte. Vielleicht aus diesem Grund stellt der Text von 2. Mose 25-31, in dem die Anweisungen für den Bau der Stiftshütte gegeben werden, die Bundeslade an die erste Stelle, obwohl sie von jedem, der das Heiligtum betrat, zuletzt erreicht wurde.
Auffallend und höchst ungewöhnlich in der antiken Welt war die Abwesenheit eines Gottesbildes im Heiligtum. Kein Bild konnte Gott gerecht werden, und er konnte nicht manipuliert werden, wie es ein sichtbares Abbild der Gottheit implizierte. Die Gegenwart Gottes war real, aber sie war unsichtbar.
Es kann gut sein, dass wir uns die Bundeslade als Teil seines Throns vorstellen sollen:
Es ist daher wahrscheinlich, dass die Bundeslade den Fußschemel von Gottes Thron darstellte, den man sich oberhalb von ihr vorstellte. In der Tat wird sie in 1. Chronik 28,2 metaphorisch so beschrieben. (Sarna 1991: 160f)
Schließlich spricht das AT davon, dass Gott auf oder über den Cherubim thront (z.B. 1. Kö. 19,15). Die Cherubim waren Wächter, so die Vorstellung, die gleichzeitig den Thron hielten und stützten.
Die Bundeslade als Fußschemel erklärt auch das Vorhandensein vom Gesetz in ihr (in Form der zwei steinernen Tafeln mit den zehn Geboten; 2. Mo. 25,16). In der antiken Welt war es üblich, den Text wichtiger Verträge unter den Füßen eines Gottes aufzubewahren.
Die Stiftshütte war also wohl nicht die eigentliche Wohnstätte Gottes, sondern der Ort, an dem sich auf einzigartige Weise Himmel und Erde trafen – damals der einzige derartige Ort auf der Erde.
Der Leuchter (2. Mo. 25,31-40)
Die restlichen zwei Gegenstände werden nicht erklärt; wir müssen mit Vorsicht vorgehen. Ich biete deswegen eher eine Reflexion über ihre mögliche Bedeutung als eine direkte Exegese an.
Eine Funktion des Leuchters ist eine praktische. Das Innere des Zeltes war ein dunkler Ort. Damit ein Priester dort irgendetwas tun konnte, war Licht hilfreich oder unter Umständen essenziell. Aber bestimmt ist mehr beabsichtigt. Ich sehe vier wahrscheinliche Anspielungen.
1. Symbol für Israel. In Sacharja 4 steht der Leuchter für Israel; in Offenbarung 1 stehen die sieben Leuchter für sieben Gemeinden. Beide Verweise sind viel später als das Buch 2. Mose, legen aber dennoch nahe, dass der Leuchter in der Stiftshütte ein Symbol für Israel sein könnte. Ähnlich wie die Gemeinde im NT hat sie ihren Platz in der Gegenwart Gottes. Sie ist:
2. Licht der Welt. Wichtig dabei ist: Dieses Licht stammt nicht von Israel; das Volk ist der Träger des Lichts, aber es erzeugt nicht selbst das Licht: „Das Licht der Menora ist Zeugnis dafür, dass die göttliche Gegenwart inmitten Israels wohnt“ (Sarna 1991: 165). Die Lampen brauchen Öl, um Licht zu spenden. In Sacharja 4 wird das Öl für den Leuchter ausdrücklich mit dem Geist Gottes in Verbindung gebracht (Sach. 4,6). Das Öl fließt von zwei Ölbäumen, die Serubbabel, den Statthalter, und Josua, den Hohepriester, darstellen, die zwei Gesalbten des Herrn. Ob Gemeinde oder Israel, ohne diesen Geist und ohne diese Gegenwart gibt es kein Licht.
3. Das Licht des Lebens. In der Schrift werden Licht und Leben zuweilen miteinander verbunden; das „Licht des Lebens“ ist ein fester Ausdruck (Hiob 33,30; Ps. 36,9 und 56,13; Joh. 1,4 und 8,12). Schließlich ist eine Flamme ein treffendes Bild für das menschliche Leben, so wie das Erlöschen einer Flamme ein Bild für den Tod ist (2. Sam. 14,17 und 21,17). Die Hardware, ob Leuchter oder Körper, ist noch da, aber das Leben ist weg.
4. Der Baum des Lebens. Nicht zuletzt: mit seinen sieben Armen und den Mandelblüten sieht der Leuchter wie ein stilisierter Baum aus. Er stellte aller Wahrscheinlichkeit nach den Baum des Lebens dar. Als solcher würde er die Vorstellungen von Licht und Leben treffend verbinden. Das würde auch deutlich machen, dass wahres Leben nur vom Gott Israels erhalten werden kann.
Das Schaubrot oder Brot der Gegenwart (2. Mo. 25,23-30)
Der goldene Tisch mit den zwölf Broten wird ebenfalls nicht erklärt. Wörtlich heißt es im Text „Brot des Angesichts“, wobei Angesicht oft Gegenwart bedeutet. Aber wessen Gegenwart ist gemeint? Die zwölf Brote (3. Mo. 24,5f) stehen offensichtlich für die zwölf Stämme Israels. Aber nach 2. Mose 25,30 sollten sie dieses Brot „auf den Tisch … vor mein Angesicht“ setzen. Es ist also die Gegenwart Gottes gemeint.
Wurden diese Brote Gott als Nahrung oder Opfergabe dargeboten? Oder erinnerten sie daran, dass Israel auf Gottes Versorgung angewiesen war? Sollten wir an die Zeile im Vaterunser denken, „unser tägliches Brot gib uns heute“?
Die erste Möglichkeit ist unwahrscheinlich. Gott braucht kein Essen und Trinken. Er selbst spendet diese Dinge. Das Brot wird von den Priestern gegessen, nicht von Gott. Die zweite Möglichkeit ist wahrscheinlicher: Die Brote drücken die Abhängigkeit Israels aus, ähnlich wie wir das in der betreffenden Zeile aus dem Vaterunser tun.
Möglicherweise ist auch etwas anderes gemeint, vor allem, wenn wir die Schüsseln, Schalen, Kannen und Becher auf dem Tisch in unsere Überlegungen einbeziehen (2. Mo. 25,9; Nu. 4,7). Es wird manchmal spekuliert, dass diese Gefäße eine Funktion bei der Zubereitung des Brotes hatten, obwohl dies im Text nicht deutlich wird. Es heißt jedoch, dass manche Gefäße für Räucherwerk gedacht sind, manche für das Trankopfer (Wein und Öl, die als Opferzusatz ausgegossen wurden). Allerdings gibt es keine Anweisungen für irgendwelche Trankopfer innerhalb der Stiftshütte. In Bezug auf den Räucheraltar sind Trankopfer sogar ausdrücklich verboten (2. Mo. 30,9).
Das Bild, das so entsteht, ist das eines gedeckten Tisches. Jemand ist zu Hause. Es gibt Essen und Trinken auf dem Tisch. Vielleicht drückt es Gottes Gastfreundschaft aus: Kommt und esst; alles ist vorbereitet. Er sehnt sich nach der Gemeinschaft mit seinem Volk, das durch die Priester repräsentiert wird. Sie essen das Brot und ihre Anteile an den Opfern in Gottes Gegenwart – und tragen diese Gegenwart in die Volksgemeinschaft Israels hinein.
Ich schließe mit einer allgemeinen Aussage über die Stiftshütte aus dem NIV Application Commentary zum Buch 2. Mose:
Die Anwendbarkeit der Stiftshütte muss aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Anstatt uns zu sagen, was wir tun sollen [offensichtlich befolgen wir die genauen Anweisungen heute nicht], sagt sie uns, warum wir es tun sollen. Es ist die Stiftshütte als Ganzes, die wir versuchen sollten, umzusetzen. (Enns 2000: 557)
Und das heißt: Die Begegnung mit Gott ist das höchste Ziel.
Bildnachweis
TiBine. 2014 <https://pixabay.com/de/photos/brot-lebensmittel-gebacken-399286/> CC0
Jingming Pan. 2021 <https://unsplash.com/photos/iYsrkq5qq0Q> CC0
Congerdesign. 2017 <https://pixabay.com/de/photos/abendmahl-gottesdienst-2606046/> CC0
Literaturangaben
Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. 1999. Revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)
Enns, Peter. 2000. Exodus, The NIV Application Commentary (Grand Rapids, MI: Zondervan)
Sarna, Nahum M. 1991. Exodus, The JPS Torah Commentary (Philadelphia: Jewish Publication Society)