Wandel (im Sinne von Gehen) ist eine viel gebrauchte Metapher in der Heiligen Schrift. Die Bedeutung ist klar: Es geht um Lebenswandel, die Art und Weise, wie wir das Leben leben; Unser Wandel ist unser Lebensstil. Paulus verwendet die Metapher ausführlich im Kolosserbrief und im Epheserbrief. Wandeln ist sogar das Hauptthema der gesamten zweiten Hälfte des Epheserbriefes: Wandelt würdig der Berufung (Eph. 4,1), wobei Paulus erklärt, was das konkret heißt. Während unseres diesjährigen Urlaubs verbrachte ich einige Zeit damit, über dieses Konzept in den beiden Briefen des Paulus nachzudenken.
Diesen Brief gibt es in Englisch auch als VIDEO PODCAST
Anmerkung: Die Metapher funktioniert in Deutsch nicht so gut wie in Griechisch und in englischer Übersetzung: walk. Aus dem Grund wird in deutschen Bibeln oft mit leben oder Leben übersetzt. Die Metapher geht dann verloren. Ich verwende aus dem Grund hier die Menge-Bibel, die wörtlicher übersetzt.
Die Bedeutung der Metapher
Aber zuerst, was ist eine Metapher? Einfach gesagt, eine Metapher ist ein „Bildwort“. Sie macht einen Vergleich. Du bist ein Schwein! In gewisser Weise erkennt die Person, die die Aussage macht, eine Ähnlichkeit zwischen dem Tier, das wir Schwein nennen,und der so angesprochenen Person.
Aber nur in gewisser Weise. Wir können es zu weit treiben (diese Person rollt wahrscheinlich nicht buchstäblich im Schlamm herum). Das, worauf sich die Metapher bezieht, ist dem Bild, das verwendet wird, nicht in jeder Hinsicht ähnlich. Die Ähnlichkeit beschränkt sich in der Regel auf einen oder wenige Punkte.
Allerdings können Metaphern sehr reichhaltig sein, und sie sind flexibel. Es lässt sich oft mehr herausarbeiten als die reinen Parallelen zwischen Bild und Objekt. In neuen Kontexten bringt sie neue Einsichten hervor. Wie Eugene Peterson es in einer Predigt über Jesus als den Weg ausdrückte (eine weitere Metapher):
Aber irgendwann begreifen wir: Eine Metapher ist gleichzeitig das, was sie sagt, und ist es nicht … Eine Metapher tut etwas, was die Präzision einer Definition oder Erklärung nicht tut: Sie besteht darauf, dass wir uns dem Sprecher anschließen und an der Schaffung einer neuen Bedeutung teilnehmen. Metaphern aktivieren unsere Vorstellungskraft. Wir fangen an, Verbindungen herzustellen, indem wir das, was wir sehen, mit etwas verbinden, das wir nicht direkt vor uns sehen, wir verbinden das Sichtbare mit dem Unsichtbaren. (Peterson 2017: 340f)
“Wandelt in Ihm”
Was will Paulus uns mit seiner Metapher sagen? Mein Ausgangspunkt war Kolosser 2,6f:
Wie ihr nun den Herrn Christus Jesus angenommen habt, so wandelt nun auch in ihm; bleibt in ihm festgewurzelt und baut euch in ihm auf und werdet fest im Glauben, wie ihr unterwiesen worden seid, und laßt es an reichlicher Danksagung nicht fehlen.
Hier gibt es (mindestens) zwei große Überraschungen. Ich habe bereits eine einfache Definition der Metapher vorgeschlagen: Wandeln ist, wie wir das Leben leben. Aber was bedeutet es, in ihm zu wandeln? Der Ausdruck findet sich nirgendwo sonst in der Bibel; er wird nur im Kolosserbrief verwendet.
Geht es um den Ort oder den Raum, wo wir wandeln – die häufigste Verwendung der Präposition in?
Geht es um die organische oder mystische Vereinigung mit Christus, wie in Römer 6?
Will die Ergänzung in ihm die Art und Weise, wie wir wandeln sollen, das Wesen des Wandels, definieren (so dass wir frei übertragen könnten: wandeln wie Christus, Christus-ähnlich)? So funktioniert „wandelt in der Liebe“ (Eph. 5,1). Dort prägt die Liebe das Gehen. Es gibt noch weitere Beispiele mit „wandelt in …“, die wir so verstehen können: wandelt in Weisheit (Kol. 4,5), in Sünden seid ihr gewandelt (Vergangenheitsform; Kol. 3,5-7; ebenfalls in Eph. 2,1f) und in guten Werken wandeln (Eph. 2,10).
Einige dieser Beispiele können auch so verstanden werden, dass sie definieren, was den Weg, der beschritten wird, und damit den Lebensstil, der gelebt wird, ausmacht: Er besteht entweder aus Positivem wie guten Werken oder Negativem wie Übertretungen und Sünden.
Aber keines der soeben angeführten Beispiele befindet sich in unmittelbarer Nähe zu „wandelt in ihm“, und es ist überhaupt nicht klar, dass sie eine ähnliche Bedeutung (oder das direkte Gegenteil) zum Ausdruck bringen.
Daher ist eine andere Interpretation wahrscheinlicher. Die Wiederholung von in ihm in Verbindung mit festgewurzelt in Kolosser 2,7 legt nahe, dass es um einen Bereich geht, den wir nicht verlassen sollen, wenn wir uns bewegen (d.h. leben): Wir wandeln in ihm, während wir in ihm verwurzelt sind. Das gibt „wandelt in ihm“ eine ähnliche Bedeutung wie „bleibt in mir“ (Joh. 15,7). Es handelt sich um die notwendige Voraussetzung, um richtig wandeln (leben) zu können.
Damit sind wir schon bei der zweiten Überraschung in Kolosser 2,6f: ein Paradoxon. Wandelt, „in ihm, … in ihm festgewurzelt und baut euch in ihm auf“, heißt es. Zwei weitere Metaphern, aber während wandeln Bewegung impliziert, suggerieren festgewurzelt und baut euch auf Unbeweglichkeit.
Durch die Vermischung seiner Metaphern hat Paulus eine seltsame Art des Wandelns erfunden: zu wandeln und dabei fest in Christus verwurzelt zu sein!
Wandeln
Paulus verwendet den Begriff wandeln wiederholt in den praktischen Abschnitten des Kolosserbriefes und des Epheserbriefs, allerdings ohne die Erweiterung in ihm. Diese Verwendungen sind einfacher zu verstehen.
Aber erinnern wir uns an die Wirkung der Metapher. Indem ein Bild verwendet wird, gibt uns der Text mehr, nicht weniger, als wenn eine einfache und wörtliche Sprache verwendet würde.
Um diese Eigenart von Metaphern zu illustrieren, schließe ich mit fünf Einsichten, die ich beim Meditieren über die Idee des Wandelns (wir sind im Urlaub viel gewandert!) gewonnen habe:
1. Wandeln ist linear. Die Linie ist meistens nicht gerade, aber sie ist eine Linie. Aus diesem Grund ist wandeln eine so zutreffende Metapher für das Leben. Das Leben basiert auf Zeit, die ebenfalls linear ist: Der Zeitpfeil bewegt sich konsequent und unerbittlich vorwärts.
2. Wandeln impliziert eine Richtung und oft auch ein Ziel. Wenn wir unterwegs sind, wissen wir normalerweise, wohin die Reise geht. Und im Leben?
3. Wandeln findet oft auf einer Straße oder einem Weg statt. Es ist möglich, querfeldein zu laufen, aber es ist schwieriger, und wir können am Ende auf eine Barriere stoßen, die wir nicht überwinden können, wie z.B. Wasser oder undurchdringliche Dornenbüsche. In den Bergen kann es gefährlich sein, den Weg zu verlassen.
4. Wandeln macht man Schritt für Schritt. Es ist nicht möglich, mehr als einen Schritt gleichzeitig zu machen. Egal, wie lang oder wie weit der Weg ist, in jedem Moment machen wir nur einen Schritt. Das Leben ist etwas komplexer als dieses Bild, aber es besteht ebenfalls aus vielen kleinen „Schritten“, die zum größten Teil nacheinander, nicht gleichzeitig, getan werden müssen.
5. Beim Wandeln kann man sich verirren. Eine Karte ist hilfreich. Eine solche Karte für das christliche Leben ist genau das, was Paulus mit diesen beiden Briefen vermitteln will. In seinem einleitenden Gebet im Kolosserbrief formuliert er sein Ziel für die Empfänger: Dass ihr „erfüllt werden möchtet … damit ihr so, wie es dem Herrn würdig ist … wandelt“ (Kol. 1,9f; vgl. Eph. 4,1).
Das sollte auch unser Ziel sein, und beide Briefe zeichnen ein Bild von dem, was das beinhaltet (und ausschließt!).
Literaturangaben
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Bibelzitate, wenn nicht anders angegeben: Die Heilige Schrift übersetzt von Hermann Menge. 1994. Neuausgabe (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft)
Peterson, Eugene H. 2017. As Kingfishers Catch Fire: A Conversation on the Ways of God Formed by the Words of God (London: Hodder & Stoughton) Kindle Edition
Ryken, Leland, Jim Wilhoit, Tremper Longman, Colin Duriez, Douglas Penney, and others (eds.). 2000. Dictionary of Biblical Imagery (Downers Grove, Ill: InterVarsity Press)