Ich lese das Prophetenlexikon fleißig weiter und werde in zwei Wochen abermals darüber berichten. Es ist keine einfache Lektüre. Für diesen Monatsbrief, so kam es mir vor, empfiehlt sich ein leichteres Thema (es ist ja Sommer): Was das mediterrane Klima, in dem ich lebe, mich über die Bibel lehrt.
Es ist zwar so, dass meine Erfahrung sich nicht auf Israel, sondern auf Spanien, am westlichen Ende des Mittelmeerraumes, bezieht. Ich nehme an, dass das Klima hier etwas gemäßigter ist, da der Atlantik nahe ist. Die Winter werden somit etwas milder und die Sommer etwas weniger heiß sein. Es gibt trotzdem viele Aspekte, die mich an die Bibel erinnern. Das Leben hier vermittelt mir ein Gefühl dafür, wie manches in biblischen Zeiten gewesen sein muss. Vegetation und Landwirtschaft sowie auch die Jahreszeiten und die Landschaft in Israel und in Spanien (und dazwischen) haben vieles gemeinsam.
Diesen Brief gibt es in Englisch auch als Video Podcast
1. Frieren
Die erste Lektion kommt vielleicht unerwartet. Normalerweise verbinden wir Spanien oder Israel nicht mit Kälte. Im Vergleich zu Nordeuropa, wo Eis und Frost Wochen oder Monate lang andauern können, ist es hier natürlich auch nicht kalt. Allerdings sind die Häuser im Norden gut isoliert und gut geheizt. Es mag draußen richtig kalt sein, aber drinnen kann man sich wieder aufwärmen.
Viele Häuser im Süden Spaniens kennen weder Isolation noch Doppelverglasung. An einem schönen Tag im Januar kann es früh morgens draußen um die 5 °C sein. Am Nachmittag werden vielleicht angenehme 18 °C erreicht. Die Temperatur im Haus liegt dann etwa bei 11 °C, es sei denn, wir heizen. Das geht aber nur im Wohnzimmer. Und im ersten Winter gab es keine Heizmöglichkeit. Mit anderen Worten, wir froren noch nie so wie hier in Spanien. Es ist mit Abstand das kälteste Land, in dem wir jemals wohnten.
Das war für die alten Israeliten wahrscheinlich nicht anders. Ich nehme an, dass ihre Häuser nicht besser waren als unseres. Und dazu kommt noch, dass die meisten Israeliten in den Bergen gelebt haben, über 800 m. Das ist schön im Sommer, aber kalt im Winter.
Wo wir wohnen, gibt es nie Schnee. Wo die Israeliten wohnten, war Schnee zwar etwas Bemerkenswertes, aber durchaus Bekanntes: Benaja erschlug einen Löwen „an einem Tage, an dem Schnee gefallen war“ (2. Sam. 23,20; Menge). Schnee gab es anscheinend oft genug, dass man sich darauf vorzubereiten hatte: „Sie braucht für ihre Hausgenossen vom Schnee nichts zu fürchten; denn ihr ganzes Haus ist in Scharlachwolle gehüllt“ (Spr. 31,21; Menge).
Dass Petrus sich im Hof des Hohepriesters am Feuer wärmte, während Jesus drinnen verhört wurde, kann ich gut nachvollziehen (Mk. 14,54). Und die Hirten auf dem Felde am Heiligabend? Brrr… (Gut, vielleicht wurde Jesus nicht im Dezember geboren; aber auch in jenem Monat waren Hirten draußen bei der Herde – und froren!)
2. Andere Jahreszeiten
Allerdings kommt die Natur hier nicht im Winter, sondern im Sommer zum Stillstand, wobei vieles abstirbt. Während im Norden die Natur im Frühjahr wieder zu leben beginnt, hüllen sich die Felder im Süden im Sommer monatelang in braune Gewänder. Bis der Regen wiederkommt. Vom späteren Herbst bis in den Frühling wächst die Ernte heran.
Der meiste Regen fällt in den Wintermonaten. Im Sommer regnet es oft gar nicht. So definiert sich das mediterrane Klima: Die Sommer sind trocken und heiß, und die weitaus größte Regenmenge fällt im Winterhalbjahr.
Im Sommer sind die Wetterberichte langweilig.
Eine weitere Eigenschaft des mediterranen Klimas: die Regenmenge kann von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich sein. Unsere ersten beiden Winter hier waren sehr nass (und dadurch auch kalt). Die Blüte im Frühling war somit umso reicher. Im letzten Winter hingegen regnete es wenig.
Der Unterschied war offensichtlich: weniger Blumen im Frühling, Unkraut, das weniger hoch wächst, und Felder, die früher als sonst braun werden. Manche Bäche in unserer Gegend sind dieses Jahr schon seit dem Sommeranfang trocken. Das erinnert an Elias Aufenthalt am Bach Krith während der dreijährigen Dürre, die er ankündigte (1.Kö. 17).
Es zeigt mir, wie verletzlich das Leben unter solchen Umständen sein kann. Mein Überleben hängt nicht davon ab, wie viel Regen im letzten Winter gefallen ist, aber für die Israeliten war dies anders.
3. Frühling
Was die Temperatur angeht, bleiben somit Frühling und Herbst die wahrhaft angenehmen Jahreszeiten – zwischen Kälte und Hitze, frieren und schwitzen. Dabei übertrifft der Frühling aber den Herbst, da er zusätzlich eine wunderbare Blütenpracht zu bieten hat. Alles ist grün, nicht braun, wie im Herbst.
Mit diesem Hintergrundwissen versteht man das folgende Liebesgedicht aus dem Buch Hohelied besser:
Mein Geliebter hebt an und ruft mir zu:
„Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm!
Sieh nur: der Winter ist dahin,
die Regenzeit vorüber, ist vergangen!
Die Blumen zeigen sich auf der Flur,
die Zeit der Gesänge ist da,
und der Turteltaube Ruf lässt sich im Land wieder hören;
der Feigenbaum setzt seine Knospen an,
und der Reben Blüte spendet ihren Duft. (Hld. 2,10-13; Menge)
4. Verdorrtes Gras
Der mediterrane Sommer ist hart für Gras und andere Kräuter, besonders wenn diese an ungünstigen Stellen wie zum Beispiel auf Dächern wachsen. Darin erkannten manche biblischen Schriftsteller ein Bild für die Vergänglichkeit des Lebens:
Alles Fleisch ist Gras
und all seine Schönheit wie die Blume des Feldes:
das Gras verdorrt, die Blume verwelkt,
wenn der Hauch des HERRN sie anweht. (Jes. 40,6b-7a; Menge)
…wie Gras auf den Dächern und wie Getreide,
das versengt ist, ehe es aufschießt. (Jes. 37,27; Menge)
5. Staub
Mit der Dürre und dem Absterben der Vegetation kommt der Staub. Er ist im Sommer allgegenwärtig. Eine unbefestigte Straße führt an unserem Haus vorbei. Jedes Auto, das diese Straße befährt, verursacht eine Staubwolke. Natürlich gab es im biblischen Israel keine Autos, die vorbeifuhren. Es reicht aber auch der Wind, um denselben Effekt zu erzeugen.
Die trockenen Sommer erhöhen auch die Erosionsgefahr, besonders wenn die Hänge abgeholzt wurden und Überweidung stattfand. Genau das war in großen Teilen des Mittelmeergebietes der Fall. Ist der Wald einmal weg und die fruchtbare Erde weggespült, dann bleiben felsiger, karger Boden und eine durchklüftete Landschaft: sichtbare Zeichen menschlicher Misswirtschaft.
6. Zypressen und Eichen
Die mediterranen Eichen unterscheiden sich klar von Eichen im Norden Europas. Sie sind immergrün, d.h. im Winter wie im Sommer tragen sie Blätter. Diese Blätter sind relativ klein und dick, offensichtlich eine Anpassung an die trockenen und heißen Sommer. Junge Bäume tragen Blätter mit gestachelten Rändern. Nur die Eicheln verraten, dass wir es mit Eichen zu tun haben: Sie sehen fast genauso aus wie Eicheln im Norden.
Die Zypresse ist auch immergrün, gehört aber zu den Koniferen, wie Tannen und Fichten. Heutzutage schätzt man sie vor allem wegen ihrer dekorativen Wirkung (man denke an die Toskana) und als Heckenpflanze.
Es ist oft nicht einfach, Bäume und andere Pflanzen in der Bibel zu identifizieren. Aus dem Grund ist es nicht sicher, dass „Zypresse“ oder „Eiche“ in unserer Bibel immer genau jenen Baum meint. Klar ist allerdings, dass beide Baumarten geschätzt wurden, und nicht nur ihres Holzes wegen. Eichen wie Zypressen bieten Schatten und Schutz vor der Hitze, eine unbezahlbare Ressource im mediterranen Sommer.
Vor kurzem war ich zu einer Hochzeit eingeladen. Die eigentliche Trauung fand am Nachmittag draußen auf dem Feld statt. Es war für Juni nicht einmal ein ausgesprochen heißer Tag, aber auf diesem Feld war es richtig warm. Zum Glück trafen wir uns im Schatten einiger Eichen. Da auch noch eine leichte Brise wehte, war es dort überraschend angenehm – ganz anders als in wenigen Metern Entfernung.
In der „Mittagshitze“ (siehe das nachfolgende Zitat aus 1. Mose 18) sind solche Bäume Gold wert:
Da zog Abram mit seinen Zelten weiter und nahm seinen Wohnsitz unter den Terebinthen [oder Eichen] Mamres, die bei Hebron stehen; dort baute er dem HERRN einen Altar. (1. Mo. 13,18; Menge)
Dann erschien ihm der HERR bei den Terebinthen [oder Eichen] Mamres, während er gerade um die Zeit der Mittagshitze am Eingang seines Zeltes saß. (1. Mo. 18,1; Menge)
7. Dornen und Disteln
Statt des Dorngestrüpps werden Zypressen emporwachsen und statt der Nesseln Myrten sprießen; und das wird für den HERRN zum Ruhme dienen, zu einem ewigen Denkzeichen, das nicht ausgetilgt wird. (Jes. 55,13; Menge)
Wie in diesem Zitat aus dem Buch Jesaja sichtbar wird, sind Dornen und Disteln das Gegenstück zu Zypressen und anderen erwünschten Bäumen. Sie sind Symbole sowohl für die Sünde wie auch für den nachfolgenden Fluch.
Die mediterrane Flora zählt überdurchschnittlich viele Disteln und andere Pflanzen mit Stacheln und Dornen. Diese können richtig groß und, na ja, stachelig werden. Wenn ein Acker nicht länger bearbeitet wird, sind es Pflanzen wie diese, die das Feld überwuchern. Das kann dazu führen, dass dieses Feld nicht mehr bearbeitet werden kann: Es wird unbegehbar. Genau das passierte, als das Land entvölkert wurde, erstmals durch die assyrische Invasion im Jahre 701 v. Chr. und dann nochmals während des babylonischen Exils. Jesaja übertrieb nicht, als er schrieb:
Und es wird zu der Zeit geschehen: Wo jetzt tausend Weinstöcke stehen, tausend Silberstücke wert, da werden Dornen und Disteln sein, dass man mit Pfeil und Bogen dahin gehen muss. Denn im ganzen Lande werden Dornen und Disteln sein, dass man auch zu all den Bergen, die man jetzt mit der Hacke zu behacken pflegt, nicht kommen kann aus Scheu vor Dornen und Disteln, sondern man wird Rinder darüber treiben und Schafe es zertreten lassen. (Jesaja 7,23-25; Luther 1984)
8. Ölbäume
Zum Abschluss komme ich nicht daran vorbei, etwas über die Ölbäume zu schreiben. Hier im Süden Spaniens gibt es sie überall. Spanien ist weltweit der größte Produzent von Oliven. Ein Grund, weshalb sie im Süden so häufig angebaut werden: Sie wachsen und tragen Frucht, ohne dass sie Bewässerung brauchen. Ein weiterer Grund: Die Menschen hier schätzen besonders das Öl aus eigener Produktion.
Viele Familien besitzen ein Stück Land mit Ölbäumen. Die Pflege dieser Bäume wird ernst genommen. Viel Zeit und Arbeit wird investiert, um die Bäume zurückzuschneiden und das Land zu pflügen, damit Wasser und Nahrungsstoffe den Bäumen zu Gute kommen und nicht dem Unkraut. Und die Menschen sind stolz auf ihr Öl. Unser Nachbar und Vermieter verschmäht das Öl, das in den Läden verkauft wird, und zwar nicht billiges Zeug, sondern virgin extra. Er denkt nicht daran fremdes Öl zu kaufen. Nur das reine und wahrhaft kaltgepresste Öl der örtlichen Mühle ist gut genug.
Nichts in der Bibel deutet darauf hin, dass die Israeliten in Sachen Öl ähnlich heikel und wählerisch waren, aber Olivenöl war ein wichtiges Hauptnahrungsmittel und Brennstoff für die Lampen.
Heute wie damals werden Zweige kultivierter Rassen, die viel und gute Frucht tragen, eingepfropft in den Stamm wilder Ölbäume, die stärker, aber weniger produktiv sind. Dies bildet den Hintergrund für das Bild, das Paulus im Römer 11 verwendet: die Heidenchristen als eingepfropfte Zweige.
Das ungewöhnliche im Bild: Paulus kehrt den üblichen Vorgang um. Die Heidenchristen sind Zweige des wilden Ölbaums, die in den kultivierten Baum eingepfropft werden – etwas, was kein vernünftiger Bauer je machen würde. Im Kontext bildet es einen weiteren Grund, weshalb die Heidenchristen in Rom ihren jüdischen Geschwistern nicht mit Stolz und Verachtung entgegentreten sollten.
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