Wie studiere (und unterrichte) ich ein größeres Bibelbuch?

Das Entscheidende gleich zu Beginn: Ein größeres Buch erfolgreich studieren geht nur, wenn wir es zur Priorität erklären und Zeit dafür freimachen; sonst passiert nichts.

Damit will ich nicht in das „Du solltest!“ Horn blasen. Lieber würde ich deinen Appetit anregen.

Stell dir vor, dass es dir im Laufe des kommenden Jahres gelingt, ein größeres Buch der Bibel intensiv zu erforschen und vielleicht sogar eine oder mehrere Unterrichtsstunden zu dem Thema vorzubereiten. Wie würde sich das anfühlen? Was würdest du gewinnen? Wie würde es sich auf deine Beziehung zu Gott auswirken?

Was hier als größeres Buch zählt, hängt vor allem davon ab, was du bisher gemacht hast. Wenn es für dich eine neue Idee ist, kommt vielleicht ein längerer Brief wie zum Beispiel Römer, 1. Korinther oder Hebräer in Betracht. Falls du etwas mehr in Angriff nehmen möchtest, könnte es ein Evangelium oder das Buch Apostelgeschichte sein. Wenn du schon Erfahrung hast, besonders wenn du in einem Bibelkurs mitarbeitest, zieht es dich möglicherweise zu den ganz großen im Alten Testament.

Diesen Brief gibt es in Englisch auch als Video Podcast

Meine Erfahrung

Falls du in einem Bibelkurs wie der SBS mitarbeitest, hast du vielleicht keine Wahl: Es gehört zu deinem Job. So habe ich angefangen, in meinem ersten Jahr als Schulmitarbeiter. Wir waren ein Team von vier. Jedes Buch der Bibel musste unterrichtet werden. Für einige Wochen hatten wir Gastreferenten, aber es blieben etliche Wochen und Bücher übrig, in die wir uns teilen mussten. Ich erinnere mich nicht so gut, welche Bücher ich im Neuen Testament unterrichtete. Ich weiß aber noch, dass ich im Alten Testament unter anderem 1. Mose und Jesaja übernahm.

Das war, milde gesagt, etwas viel. Ich erinnere mich, wie ich eines Abends in einem Hotelzimmer auf dem Rückweg von der Hochzeit meiner Schwester mich bemühte, das 1. Buch Mose ein weiteres Mal durchzulesen. Ich meine, dass ich es insgesamt als Teil meiner Vorbereitung schaffte, dieses Buch etwa zehn Mal vollständig durchzulesen. Das ist nicht wirklich viel, wenn man ein bestimmtes Buch unterrichten möchte. Später während dieser Schule, als ich Jesaja unterrichten sollte, war ich immer noch am Ringen, selber das Buch zu begreifen. Besonders Jesajas herrliche Visionen der entfernten Zukunft stellten eine Herausforderung dar: wunderschön, aber wie sollte man sie verstehen? So hatte ich wenig Zeit und Energie übrig, den eigentlichen Unterricht vorzubereiten und zu gestalten.

Diese zwei Unterrichtswochen, zu 1. Mose und zum Buch Jesaja, wurden kein Riesenerfolg, aber immerhin bildeten sie einen Anfang. Später nahm ich den Faden wieder auf. Ich wählte das Buch Jesaja als Thema für meine Diplomarbeit (genau genommen ging es darin um die Auslegung eschatologischer Prophetie im Alten Testament, wobei ich vor allem Bibelstellen aus dem Buch Jesaja sozusagen als Übungsmaterial benutzte). Mein Supervisor, Ron Smith, bestand darauf, dass ich das gesamte Buch 50 Mal durchlesen sollte. Das hört sich nach viel an, da ich aber sechs Monate Zeit hatte, brauchte ich für diese Aufgabe nur zwei Nachmittage jede Woche. Das half mir, das Buch wesentlich besser zu verstehen – und zu unterrichten. Kein Buch der Bibel habe ich öfter unterrichtet, und jedes Mal bildete das, was ich gelernt hatte, indem ich den Text 50 Mal las, die Grundlage.

Das 1. Buch Mose griff ich einige Jahre später wieder auf, als mir klar wurde, dass wir unseren Studenten bei den Anfangskapiteln dieses Buches mehr Hilfe bieten sollten. Bei diesem Buch ist es nicht so sehr der Text, der schwierig ist, denn ein großer Teil des Buches erzählt eine fast kinderleichte Geschichte. Die Herausforderung sind die Fragen, die bei modernen Lesern dieses Buches aufkommen. Ich wollte im Unterricht eine hilfreiche Übersicht über gute und brauchbare Antworten anbieten. Dazu musste ich viel Material durcharbeiten, das sich mit Themen wie Wissenschaft und Evolution, Weltbildern der Alten Welt und Gattungsfragen (um was für eine Art Text handelt es sich?) befasst.

Meine Erfahrung mit dem Buch Offenbarung ist wieder ganz anders. Viele Jahre wollte ich dieses Buch nicht unterrichten; ich bevorzugte es, Gastreferenten einzuladen. Ich wollte das Buch erst dann unterrichten, wenn ich mir ausreichend Zeit würde nehmen können, es kennen zu lernen und auch Sekundärliteratur zu lesen. Diese Möglichkeit bot sich erst im Herbst 1998. Keiner der üblichen Referenten stand für die nächste Schule zur Verfügung. Außerdem gab es mehrere Monate, in denen ich nicht viel Unterricht vorzubereiten hatte. Das war meine Chance. Seit jenem Herbst habe ich das Buch immer wieder unterrichtet.

Vielleicht bist du kein Lehrer. Aber auch wenn du nicht unterrichtest, bildet das intensive Studium eines größeren Bibelbuches eine wertvolle Chance: Wachstumshormone für dein geistliches Leben.

Zielsetzung und zeitliche Planung

Wenn du dir die Zeit nehmen könntest, welches Buch würdest du gerne besser kennen lernen? Welches Buch macht dich neugierig, welches Buch interessiert dich? Überlege dir ein Buch, und lese das, was folgt, in Hinblick auf dieses Buch.

Jetzt, der letzte Monat des Jahres, ist eine passende Zeit, dein Studienprojekt zu planen. Vielleicht gibt es zwischen Weihnachten und Neujahr etwas mehr Freiraum als sonst. Danach beginnt ein neues Jahr. Egal ob du sofort nach Weihnachten oder erst am 1. Januar anfängst, wichtig sind: eine klare Zielsetzung und eine realistische Zeitplanung.

Zeitliche Planung. Welchen Zeitrahmen kannst du dir vorstellen? Für Offenbarung hatte ich einen Rahmen von drei oder vier Monaten, in denen ich viel Freiraum hatte, das Buch zu studieren. Bei Jesaja hatte ich sogar ein halbes Jahr Zeit. Wer nicht an einer Bibelschule studiert oder mitarbeitet, kann sich das natürlich nicht leisten. Welche Zeitspanne kannst du dir vorstellen, und wie viel Zeit kannst du dir pro Woche oder pro Monat für dein Projekt nehmen?

Klare Zielsetzung. Am besten erarbeitest du selbst deine Ziele. Wahrscheinlich wird dazu der Wunsch gehören, das Buch zu verstehen und daraus Konsequenzen für dein Leben zu ziehen, d.h., eine praktische Anwendung. Vielleicht hast du konkrete Fragen zum Buch, auf die du eine Antwort suchen möchtest.

Wenn zu deiner Zielsetzung gehört, dass du das Buch unterrichten möchtest, willst du dir wahrscheinlich einen Unterrichtsplan erarbeiten, damit du andern helfen kannst, das Buch besser zu verstehen.

Sei SMART

Jetzt bist du nur noch wenige Schritte von einem SMART Ziel entfernt. „SMART“ ist ein Akronym, das in Englisch fünf wichtige Kriterien für eine effektive Zielsetzung zusammenfasst:

  • S specific: konkret und spezifisch
  • M measurable: messbar
  • A attainable: erreichbar
  • R relevant: wesentlich
  • T time orientated: zeitlich festgelegt, d.h., dein Ziel braucht eine Zeitangabe

Vielleicht ist dein Ziel noch nicht klar genug formuliert. Welche konkreten Schritte wirst du gehen? Zum Beispiel: das Buch X mal lesen, eine Stunde (oder auch zwei) eine ausgewählte Stelle studieren, eine bestimmte Einführung oder einen Kommentar zum Buch lesen.

Diese Auflistung hilft dir auch dabei, zu prüfen, ob dein Plan durchführbar („attainable“) ist. Wenn du die benötigten Stunden zusammen zählst, kommt die Zahl dir dann realistisch vor?

Ein wesentlicher letzter Schritt: erfasse deine Ziele schriftlich. Ziele, die man sich aufschreibt, haben eine wesentlich größere Aussicht erreicht zu werden als die, die nur in unserem Gedächtnis existieren.

Welche sind die Schlüsselfragen?

Wie du konkret vorgehen solltest, hängt vor allem davon ab, wie deine Rahmenbedingungen sind, wie viel Erfahrung du hast und wieviel Zeit du investieren kannst. Darüber hinaus ist das Buch, das du dir vorgenommen hast, entscheidend. Es gilt, die wesentlichen Fragen zu bestimmen, und diese sind für jedes Buch verschieden. Einige Beispiele:

  • Der 1. Johannesbrief beweist eindeutig, dass Einfachheit täuschen kann. Trotz der einfachen Sprache dieses Buches ist der Inhalt alles andere als einfach. Die Art und Weise, wie Johannes Kreise zieht und dabei seine Grundgedanken ohne klaren Aufbau wiederholt und entfaltet, verwirren mich. Wenn dieser Text mein Studienprojekt wäre, würde ich Themen markieren und versuchen, seine Ideen so anzuordnen, dass ich seinen Gedankengang nachvollziehen könnte. Besser gesagt, es würde mir wahrscheinlich helfen, die Kreise in einen linearen Gedankengang oder einen „Mind Map“ umzuformen.
  • Ganz anders Hesekiel: Das Buch ist klar strukturiert, die einzelnen Abschnitte sind relativ groß. Zudem ist das Buch inhaltlich stark wiederholend, auch wenn die verwendeten Formen der Kommunikation eine große Bandbreite aufweisen. Als wesentliche Fragen ergeben sich somit: Wozu diese fast monotone Wiederholung? Und wie unterscheidet sich die Form der Kommunikation von Abschnitt zu Abschnitt?
  • Im Gegensatz zu Hesekiel bietet das Buch Jeremia auf den ersten Blick ein verwirrendes chronologisches Durcheinander. Um hier durchzublicken, müsste ich zuerst für jeden Abschnitt, der dies zulässt, herausfinden, wo im Lebenslauf Jeremias er seinen Platz hat.
  • Jesaja redet sowohl von der nahen wie auch von der entfernten Zukunft. Im zweiten Fall dreht sich vieles um eine neue Zeit- und Weltordnung, in der Jahwe König sein wird. Es ist – milde gesagt – nicht immer einfach, diese beiden Aspekte, nahe und ferne Zukunft, auseinander zu halten. Oft vermischen sie sich, bisweilen sogar im gleichen Vers, oder überschneiden sich. Eine wesentliche Frage in diesem Buch ist deshalb: Wo geht es um das, was für Jesaja zeitlich nah war und somit jetzt Geschichte ist (z.B. Bedrohung durch Assyrien und Babylonien, Exil), und wo geht es um Eschatologisches, um das, was Gottes Endziel betrifft? Wo vermischen sich beide Aspekte? Und darüber hinaus: Wie sollten wir die eindrucksvollen Bilder verstehen, die Jesaja verwendet, um von einer neuen Welt zu reden?
  • Bei den historischen Büchern stellt sich die Frage, was ihre Absichtund ihre Botschaft sind.
  • Wenn wir uns mit den Büchern Mose befassen, müssen wir uns fragen, wie wir die Gesetze und Gebote deuten sollten, und welche Gültigkeit (wenn überhaupt) sie heute für uns haben.

Da so viel vom Buch und von dir abhängt, ist es nicht möglich, eine Vorgehensweise festzulegen, die für jeden brauchbar ist (aber siehe die einfache Planungsvorlage am Ende dieses Textes). Gerade deswegen ist es sinnvoll, sich vorab einen Plan mit zeitlichem Rahmen und klarer Zielsetzung zu überlegen. Es lohnt sich auch, von Zeit zu Zeit zu überlegen, wie du vorankommst, damit du Ziele und Zeitplanung eventuell anpassen kannst. Vielleicht braucht dein Projekt mehr Zeit als gedacht. Vielleicht musst du manches streichen, damit du fertig wirst.

Praktisch

Einige weitere Anregungen:

  • Es wurde schon gesagt, aber es ist eine Wiederholung wert: Nimm ein Buch, für das du dich besonders interessierst oder das dich neugierig macht.
  • Lies das Buch mehrmals durch; wie viele Male, das sollte in deiner Zielsetzung festgelegt sein. Schon nur durch das wiederholte Lesen wirst du dein Wissen und dein Verständnis erheblich erweitern, egal, was du sonst noch machst.
  • Markiere den Text mit Farbstiften. Zum Beispiel: Wiederholungen, Namen (Personen und geografische Namen), Bilder (Metaphern usw.).
  • Falls du den Text zum Markieren ausdruckst: Formatiere breite Seitenränder; so schaffst du Raum für Notizen. Ich verwende dieses Format – der ausgedruckte Text mit Randbemerkungen – oft für meine Unterrichtsnotizen.
  • Stelle dir eine Liste zusammen mit Fragen, Problemen, Themen oder Abschnitten, über die du mehr wissen möchtest, usw. Eine gute Frage ist Gold wert! Schreibe sie auf, bevor du sie vergisst. Oft wirst du nicht auf alle Punkte deiner Liste eingehen können, aber wenigstens kannst du auswählen.
  • Lies einen Kommentar oder sonstige Literatur zu deinem Buch. Viel hängt von deinem Interesse und von der Zeit ab, die dir zur Verfügung steht. Es gibt immer mehr zu lesen, als die Zeit zulässt, und nicht alles ist hilfreich. Sei deshalb klug in deiner Auswahl.
  • Entscheide dich, welche Abschnitte dich besonders interessieren.
  • Dieser Link zu einem Ordner auf Google Drive führt zu Studienmodulen für Galater und Epheser wie auch zur Anleitung Entdecke die Bibel 2.0. Vielleicht findest du darin weitere Ideen für dein Studienprojekt. Wenn du ein Studium wie hier beschrieben zum ersten Mal durchführst, könnte Galater oder Epheser sogar ein guter Anfang sein.

Unterrichtsvorbereitung

Ich schreibe hier keine Anleitung zur Unterrichtsvorbereitung; es soll ja kein Buch werden. Für ein paar zusätzliche Fragen ist allerdings noch Raum. Wenn Unterricht auch Ziel deines Projekts ist, überlege dir:

  • Was hat dich interessiert oder gar fasziniert?
  • Was war aufregend oder inspirierend?
  • Was war für dich eine Entdeckung? Was hast du Neues gelernt?
  • Was muss man wissen, um dieses Buch zu verstehen? Welches Hintergrundwissen ist hilfreich?
  • Welches sind die offensichtlichen Fragen, die deine Schüler oder Zuhörer sich zu diesem Buch stellen werden?

Noch ein Gedanke: Der Unterrichtsplan ist nicht etwas, das wir aus dem Nichts erstellen. Er ist eher etwas, das wir entdecken. Er existiert im Ansatz schon: im Buch, in deinen Zuhörern, in Gottes Gedanken. Wenn wir diese drei zusammenbringen – was wir im Buch finden, was wir über die Zuhörer wissen, was der Geist Gottes flüstert – nehmen Inhalt und Form des Unterrichts allmählich Gestalt an. Sie brauchen weitere Bearbeitung, aber der Entwurf, die grobe Form, ergibt sich (fast) wie von selbst, wenn du dich mit Text und Zielgruppe auseinandersetzt. Denn du willst ja, dass deine Zuhörer dieses Buch verstehen.

Wenn du wenig Vorbereitungszeit hast

Da wir beim Thema Unterrichtsvorbereitung sind: Die Vorbereitungszeit ist immer zu kurz, und manchmal (es kommt immer wieder vor) ist sie selbst viel zu kurz.

Schnell zum Entwurf. Im letzten Fall ist es wichtig, möglichst bald einen ersten Entwurf für den eigentlichen Unterricht zu erstellen. Mit Hilfe dieses Entwurfs können wir uns konzentrieren auf Informationen und Ressourcen, die wir unbedingt brauchen, und auf Probleme und Fragen, für die wir unbedingt eine Antwort benötigen.

Vorsicht mit Abkürzungen. Vielleicht hast du Zugriff zu den Notizen, PowerPoints und sonstigen Unterlagen von anderen. Sei vorsichtig. Ich komme nicht gut zurecht, wenn ich versuche, fremde Notizen oder einen fremden PowerPoint zu verwenden. Ich übernehme oft Ideen. Die Unterlagen anderer helfen mir auch, Wichtiges nicht zu übersehen. Ich muss mir die fremden Inhalte aber gründlich aneignen, damit es „mein“ Unterricht wird. Sonst fehlt etwas – finde ich; die innere Überzeugung und Leidenschaft vielleicht. Viel Erfolg!

Planungsvorlage

Das Buch, das ich studiere:

Zeitrahmen: von                                 bis

Stunden pro Woche/Monat:

Wann nehme ich mir Zeit:

Ich möchte das Buch ….. Mal durchlesen

Sekundärliteratur (Einführung, Kommentar), die ich mir vornehmen will:

Einige wesentliche Fragen zu diesem Buch:

Was ich besser verstehen möchte:

Neue Fragen und Probleme, die sich mir beim Studium stellen:

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